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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0091
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BESPRECHUNGEN.

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stellen. Das aber nähme zu viel Raum in Anspruch. Ich greife daher nur einiges
Grundsätzliche heraus da, wo es mir (hoffentlich!) gelungen ist, Pfeiffers Absich-
ten, Ansichten und Methoden zu erkennen.

Für ihn bedeutet das lyrische Gedicht in erster Linie „Kundgabe" (S. 13 f.), es
besitzt „Ichcharakter" (S. 45), ist „zurückbezogen auf einen Lebenszustand" (S. 26).
Schon die Sprache erfüllt, nach Heidegger, diese Funktion (in der Tat!), vor allem
aber das Gedicht als Ganzes soll sein „Bekundung zuständlicher Befindlichkeit" (S.
49), offenbare „typisches Existenzbewußtsein" (S. 33). „Im lyrischen Gedicht ist
wesensnotwendig ein ,Subjekt' als ,Ichpol' der ausgedrückten Befindlichkeit mitgegen-
wärtig" (S. 41). Mir scheint, daß damit der Begriff des Lyrischen eine allzu enge
Fassung erfährt: Das alles paßt im strengen Sinne nur auf die subjektive Stim-
mungs- und Bekenntnislyrik. Gewiß wird jede Erklärung oder Definition sich auf
das reine Phänomen, auf die Idee des Gegenstandes beschränken und Misch- und
Mittelformen, zunächst wenigstens, ausschalten müssen. Es fragt sich aber, ob hier
nicht ganze Gebiete echter Lyrik nebenausfallen. Oder wie will Pfeiffer jene Art
des modernen Gedichtes einordnen, die nicht der Selbstaussprache des Dichters
dient, sondern in der 3. Person Dinge beschreibt und auf ihr Wesen hin durchsich-
tig zu machen sucht? Was besagt es, wenn auch hier der Schöpfer hinter dem Ge-
dicht zu erkennen bleibt! Das ist ja der Fall bei jedem Kunstwerk, mehr oder min-
der sogar bei außerkünstlerischen Äußerungen, liegt aber nicht in der besonderen
Absicht und Idee eines solchen Dinggedichts. Man wird sich nicht dadurch aus der
Verlegenheit ziehen wollen, daß man diese Art einfach zur Epik zählt; ihr Wesen
bleibt für unser Gefühl, trotz dem Mangel aller Selbstaussprache (auch solcher in
bildlich verkleideter Form), dennoch lyrisch. Zum mindesten hätte Pfeiffer diese
Schwierigkeit ausräumen müssen.

In anderer Weise noch, nämlich methodisch, scheint mir das Hereinziehen des
Dichters bei Pfeiffer bedenklich. Um Mißverständnissen auszubiegen, will ich auf
diesen Punkt näher eingehen.

Es ist durchaus berechtigt und sinnvoll, daß man über das einzelne Werk hinaus
weiterstrebt zur Gesamtpersönlichkeit des Dichters, zu seinem geistigen Kern.
Die „hinter" den Einzeläußerungen stehende Zentralerscheinung, zu der ich
durch Abstraktion aus einer Mehrzahl oder, günstigenfalls, durch Wesensschau an
einer einzigen Schöpfung vordringe, meist aber durch beides zugleich — diese Ge-
samtgestalt sammelt bisher lose Einzelzüge zu einheitlichem Bilde, das sich mir als
sinnhaltig einprägt. Solches Erfassen von „Gestalten", das Durchstoßen zum gei-
stigen Mittelpunkt ist der menschlichen Natur eingeboren. Schon das Kind deutet
eine Gebärde fast ausschließlich als Ausdruck eines Geistigen, und es fällt ihm über-
aus schwer, eine rein äußerliche Beschreibung davon zu geben. Wer nur den rech-
ten Blick besitzt, wird ganz von selbst blitzartig einen ganzheitlichen Persönlich-
keitseindruck empfangen, noch bevor, ja vielleicht ohne daß er überhaupt über die
Einzelzüge Klarheit gewinnt. Die Rechtfertigung des erschauten Bildes wird dann
erst hinterher, in eigentlich wissenschaftlicher, begründender Tätigkeit vorgenom-
men, indem wir das Bild nochmals Steinchen für Steinchen zusammensetzen und auf-
weisen, daß keines fehlt und kein wesentliches überzählig ist. Vielleicht weniger
unmittelbar intuitiv, grundsätzlich aber genau so verfährt übrigens die Naturwissen-
schaft, wenn sie Einzeldaten zu einem umfassenden und zugleich konzentrierenden
Bilde vereinigt, wie etwa die Wellentheorie des Lichts eines darstellt. Um einen
Vergleich zu gebrauchen: Wahrnehmen können wir nur die Bewegungen einer Glie-
derpuppe auf der Bühne; aus diesen Bewegungen aber schließen wir zurück auf die
Drähte hinter den Kulissen, und erst, wenn es uns gelingt, die Vielfalt der vorder-
 
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