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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0094
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80 BESPRECHUNGEN.

zu gewinnen durch eine sorgsame Individualanalyse führender Jungdeutscher, die
sofort in eine historische Betrachtung: wie die Jungdeutschen in ihre fragwürdige
Bewußtseinslage hineingekommen — weiterführen müßte.

Dies selbst fühlend hat Thrum die erste Hälfte seines Buches der Darstellung
des echten romantischen Problematikers gewidmet und seine Untersuchung zu einem
Vergleich beider Typen ausgebaut. Das Festhalten an der typologischen Betrachtung
stört auch hier. Von der Bedenklichkeit zu schweigen, geschichtlichen Gestalten,
die so lebendig und individuell gegenwärtig, durch Typologie nahe kommen zu
wollen — durch einen Vergleich beider Typen kann hier überhaupt wenig gewonnen
werden. Es kam nicht darauf an, Unterschiede zweier Typen festzustellen, sondern
Sinn und Ursprung der Zerrissenheit der Jungdeutschen zu erhellen. Wir wollen
sehen, wie die erfüllte Problematik der Romantik sich in die leere Zerrissenheit
der literarischen Helden der Jungdeutschen hinüberwandelt. Daß Thrum, diesem
Mangel abzuhelfen, ein Zwischenkapitel über Heine einschaltet, verstärkt nur das
Mißverhältnis einer Untersuchung, die für diesen eigentlich Zerrissenen, an dem
alles Wesentliche wäre zu erkennen gewesen, nur wenig Platz rindet.

So stellt Thrum drei Problemkreise hintereinander dar, die in sich selbst jeweils
genugtuend ausgefüllt werden. Die Problematik des Romantikers entspringt dem
ursprünglichen Drang, die Grenze des klassischen Menschen — daß das endliche Ich
nur durch Gestalten als Mikrokosmos im Makrokosmos oder durch handelndes
Fortschreiten im Endlichen am Unendlichen teilnehme — zu sprengen und das Ich
total dem Absoluten zu vereinen. Dieser nur in Mystik echt erfüllte Wille ästheti-
siert sich in dem Romantiker zu dem utopischen Ideal, das Ich als freies Moment
in den entfalteten Kosmos harmonisch einzubetten. Die romantischen Romane sind
Gestaltungen dieses Problems und der Versuche, es zu lösen. Die Frühromantiker
bleiben in der offenen Problematik; die Spätromantiker, wie besonders Eichendorff,
finden sich zurück in objektive Institutionen und Pflichten, worin das Ich das
Absolute im Endlichen verwirklicht, Kirche, Staat, Beruf.

Heine ist zuerst negativ und rettungslos problematisch. Ihm fehlt nicht die
Erfüllung einer Idee, sondern eine Idee überhaupt. Er ist zuerst wahrhaft zer-
rissen, durch Auseinanderstreben nicht mehr sinnvoll eingebundener Kräfte, von
Denken und Leben, von sittlicher Pflicht und sinnlichem Trieb. Er ist der erste
schlechthin chaotische Mensch in Deutschland, durch sein großes Talent, das ihn
zum wirksamsten Organ dieser Zerrissenheit macht, nur tiefer verflucht.

Die Zerrissenheit in der Literatur der Jungdeutschen ist nur ein letzter, in
sich selbst nicht mehr verstehbarer Ausfluß dieser Heineschen Problematik. Sie
wird von den Jungdeutschen nicht mehr hergeleitet aus notwendigen Schicksalen,
nicht mehr eindringlich und glaubhaft als Entwicklung eines Charakters dargestellt,
sondern ist der äußerliche Kult negativer Genialität, die sich unwahr an sich
selbst berauscht.

Thrum hat nicht versäumt, einige Hinweise zur Erklärung der Zerrissenheit
in den Jungdeutschen selbst zu geben. Die Spannung zwischen Geltungstrieb und
Geltung führt sie zur Verherrlichung einer sich überlegen dünkenden Weltver-
achtung. Das Aufkommen der politischen und wirtschaftlichen Realwelt, die ver-
spätete deutsche Aufklärung schaffen eine Lage, die problematischen Charakteren
günstig ist. Diese sehr komplizierte Lage und damit den Untergrund der jung-
deutschen Literatur zu entwickeln, wäre eine fruchtbare Aufgabe gewesen: das
Schicksal einer Generation zwischen zwei mächtigen Welten, der hohen, zeitüber-
legenen deutschen klassischen und idealistischen Kultur und der Moderne des
19. Jahrhunderts, der Welt der Forschung, Erfindung, Wirtschaft, Politik. Zeigt
 
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