Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0104
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
90

BESPRECHUNGEN.

Die besagten Grundbegriffe wollen bekanntlich den Gegensatz der Anschau-
ungs-(bzw. Seh-)weise der Renaissance und des Barock zum Ausdruck bringen, einen
Gegensatz, der sich innerhalb eines stetigen, in sich zusammenhängenden schöpfe-
rischen Kunstwerdens entfaltet. Ihrer Anwendung, um nicht zu sagen Übertragung,
auf den eklektischen Niederschlag der Bildkunst von etwa fünf Jahrhunderten in
späten und vielfach sehr freien Kopien, wie ihn die Malereien Pompejis und Her-
culanums anerkanntermaßen darstellen, stehen von vornherein schwere Bedenken
entgegen. Gewiß macht sich jeder Zeitstil auch in Kopien geltend, aber doch nur
in einem gewissen mehr äußeren Gepräge. Eine solche Übereinstimmung der Mal-
weise, im weitesten Sinne verstanden, zwischen den Bildern und den zugehörigen
verschiedenen Dekorationsstilen konnte schon Mau feststellen. Davon bleibt jedoch
die eigentliche Bildgestaltung unberührt, wenn sie z. B. im Hause des tragischen
Dichters innerhalb eines ziemlich gleichartigen dekorativen Systems tiefgehende
Unterschiede zwischen den darin eingeschlossenen Gemälden erkennen läßt. Allein
der Verfasser meint eine Wandlung des gesamten Bildaufbaues nachweisen zu kön-
nen, die sich unter die Wölfflinschen Begriffspaare bringen lasse, und zwar nach
Formensprache, Raumdarstellung, Struktur und Gliederung des Bildes. Nur die
Gegenbegriffe der Klarheit und Unklarheit seien auf die antike Kunst nicht an-
wendbar — bis zur letzteren hat es ihre malerische Gestaltung in der Tat niemals
gebracht! — und werden demnach fallen gelassen.

Zuvörderst mußten nun die vier bekannten (Mauschen) Dekorationsstile den
gegensätzlichen Grundbegriffen untergeordnet werden. Schon hier geht es nicht ohne
Spitzfindigkeiten ab. So wird die Form des zweiten Stils als malerisch (im Gegen-
satz zur linearen des dritten) erkannt, nicht nur weil sie eine illusionistische Be-
leuchtung der Scheinarchitekturen vortäuscht und auf genaue Ausführung der Einzel-
heiten verzichtet, was man noch zugeben kann, sondern auch weil die Wandfläche
hinter dieselben zurückgeschoben und der Raum dadurch tiefenhaft erweitert und
nicht in gegebenem Abstände flächenhaft abgeschlossen erscheint. Dieser Eindruck
und die von Wirth betonte Ungleichheit der gemalten Pfeiler- oder Säulenstützen
ist aber durch die angestrebte, wie in jedem solchen Falle, auf einen nur wenig ver-
rückbaren Standpunkt des Beschauers (in Pompeji meist des Eintretenden) berechnete
perspektivische Täuschung bedingt, die darum nicht immer malerisch im engeren
Sinne zu sein braucht. Ebenso wenig wird man von einer labilen (bzw. offenen)
Struktur sprechen dürfen, weil sich das Raumbild im nächsten Augenblick verändern
zu müssen scheint, oder von atektonischer Gliederung, weil das dekorative System
nicht jeder Wand streng angepaßt ist, sondern mitunter auf die Nebenwände über-
greift, und weil die Einzelheiten sich einem Gesamteindruck einfügen. Schließlich
sollen diese Bestimmungen sogar für den ersten Stil gelten, da er sich nur durch
die Art der technischen Nachahmung (wirklicher Quaderschichtung, Inkrustation
und Architektur) von dem zweiten unterscheide, während er doch in Wahrheit
echten Reliefcharakter trägt und darum keine Bilder aufnimmt. Besser passen die
Gegenbegriffe auf den dritten Stil. Seine Form wird als linear, seine Raumanschau-
ung als flächenhaft — was keineswegs durchweg zutrifft, z. B. nicht im Hause des
Lucr. Fronto —, sein Aufbau als stabil (bzw. tektonisch), seine Gliederung als ein
Nebeneinander (Koordination) der Einzelheiten bestimmt, allerdings nur für seine
strengste mittlere Entwicklungsstufe. Die Unterschiede bleiben also fließende, und
selbst auf dieser kommen wenigstens am tabernakelartigen Mittelrahmen perspek-
tivische Wirkungen vor. Dem vierten Stil werden wieder die Grundeigenschaften
des zweiten zuerkannt, gesteigert zu einem malerischen Gewoge plastischer Zier-
formen in gelockertem symmetrischen (also „atektonischen"?) Aufbau und einem
Ineinander (Subordination) der Einzelformen und Farben. Doch so weit kommt es
 
Annotationen