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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0108
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BESPRECHUNGEN.

gäbe für den durch den knapp zubemessenen Textumfang beschränkten Herausgeber
des Stuttgarter Bandes bestand darin, zunächst aus dem tausendstimmigen Chor sich
gegenseitig bekämpfender Meinungen italienischer, deutscher, französischer und eng-
lischer Forscher diejenigen herauszuhören, die Anspruch auf Geltung und Ge-
wicht erheben durften, um dann seine eigene Kritik und sein eigenes Votum in der
strengen Auswahl der wenigen unzweifelhaft echten Werke der Öffentlichkeit vor-
zulegen.

Und das Resultat? — Ein einziges schmales Dutzend der auf Leonardos Namen
getauften Bilder hat die Feuerprobe bestanden und darf nunmehr als hundertmal ge-
siebtes Edelmaterial aus der Vorarbeit zweier Generationen internationaler For-
schung gelten. Ihm gliedert sich eine zweite Gruppe von 9 Werken an, die von maß-
gebenden Autoritäten Leonardo zugeschrieben, der modernen Kritik nicht mehr
standhalten, die jedoch durch ihre künstlerischen Qualitäten sichtbar aus der Menge
der zahllosen Nachahmungen der Schule herausragen. Der Reigen schließt mit einer
Auswahl der wichtigsten Werke der Schule, die, etwa 50 an der Zahl, die Kunst des
Meisters nur in schwachen Nachklängen, zum Teil auch schwer genießbaren Ver-
wässerungen weiterleben lassen und zu denen die hier eingefügte, an Qualität weit
überragende Budapester Reiterbronze sowie die wundervolle Berliner Flora ent-
schieden nicht gehören.

Alles übrige, das sich in öffentlichen und privaten Sammlungen seiner Abstam-
mung mit der allen Bastarden eigenen Prätention rühmt, von willigen Pseudokennern
oft um klingenden Lohnes willen als echt „expertisiert", wird von dem Herausgeber
mit dem Mantel christlicher Nächstenliebe bedeckt, den Augen der Öffentlichkeit
entzogen.

Die weite Verbreitung, die der Band wie die ganze Sammlung dieser Klassiker
als unentbehrlicher Bestand aller Büchereien seit Jahrzehnten findet und finden wird,
überhebt den Referenten des eingehenden Berichtes über die Einzelstücke der vom
Herausgeber getroffenen Auswahl. Der klaren, übersichtlichen Disposition des
Ganzen entspricht die erfreuliche, alle Polemik verschmähende unparteiische Be-
richterstattung über die Ansichten der früheren Leonardoforscher. Nur hätte man
im einzelnen eine strengere Sichtung bei der Auswahl der Zitate gewünscht. Den
alten Entgleisungen notorischer Dilettanten wie Rosenberg, Thijs, Snida u. a. wird,
zumal angesichts der Knappheit des Raumes, mit erneuter Auffrischung zuviel Ehre
angetan. Und wenn allgemein anerkannte Autoritäten ersten Ranges wie Waagen,
Bode, Seidlitz, Moretti sich irren, so sind selbst diese Irrtümer lehrreicher als die
vagen Vermutungen der nicht Legitimierten, die sich zum Worte melden.

Der zweite, an äußerem Umfang größere Teil der Publikation ist den Zeich-
nungen gewidmet. Hier war die bange Wahl zwischen echt und unecht weniger
gefahrvoll. Denn der Vorrat an Originalen ist so ungeheuer, daß es sich, mit Aus-
schaltung aller irgendwie zweifelhaften Stücke, nur um eine Auswahl des Besten
vom Besten handeln konnte. Das Verlangen nach „Vollständigkeit" unter irgend-
einem Gesichtspunkt wäre hier eine unerfüllbare Forderung gewesen und wird es
noch auf lange hinaus bleiben. So sollen auch hier im einzelnen nicht die ab-
weichenden privaten Wünsche des Referenten geltend gemacht werden, da ein jeder
andere erheben könnte. Nur befremdet es, daß das schon lange als fraglich er-
kannte Bildnis der Isabella d'Este im Louvre (Nr. 275) trotz seiner argen Ver-
zeichnungen — wo hat Leonardo jemals eine Hand derartig unorganisch in den
Bildcomplex geordnet und derartig geistlose Parallelen gezeichnet? — abermals
unter die echten Stücke aufgenommen wurde. Gleiche Bedenken müssen dem höchst
verdächtigen Kompositionsentwurf zum Abendmahl in Venedig (Nr. 252) gegenüber
abermals erhoben werden. Andererseits vermißt man angesichts der überreich vor-
 
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