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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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Pensa, Mario: Ästhetik und Literarkritik der Gegenwart in Italien
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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0214
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MARIO PENSA.

kann, aber man lehnt entschieden alle außerästhetischen, empirisch ge-
wonnenen Prinzipien ab. Deshalb kann in Italien auch nicht mehr von
einer vergleichenden Methode oder einer Methode der Quellenforschungen
die Rede sein. Weiter kann heute weder einer ethnologischen noch einer
auf „die Landschaft" gerichteten, noch einer auf den „Stil" abzielenden
Methode das Wort geredet werden, weil die dazu berechtigenden Grund-
lagen äußerlich und willkürlich fundiert scheinen.

Was bisher in diesem Abriß dargelegt wurde, ist das Erbe, das die
neue Generation der italienischen Ästhetiker aus der jüngsten Vergan-
genheit übernimmt. Trotz der Fruchtbarkeit dieser Erbschaft bringt
sie auch eine Reihe ungelöster, aus ihr jedoch selbst entspringender
Fragen mit sich. Croce hat das unschätzbare Verdienst, uns auf der
einen Seite vom Positivismus, auf der anderen vom zugespitzten Ratio-
nalismus befreit zu haben. Seine philosophisch systematisierte Ästhetik
hat ein Vierteljahrhundert lang den italienischen Forschungen über
Kunstprobleme die Richtung gegeben. Aber sein System kann nicht mit
der Zeit Schritt halten, und neue Denkweisen wachsen über es hinaus.
Obwohl er zwei neue wichtige Einsichten in der Ästhetik im Laufe der
Zeit gewonnen hat, nämlich die Grundsätze des lyrischen Grundwesens
(1908) und des kosmischen Wertes der Kunst (1918)136), ist er doch
bei der „cognitio sensitiva", „la forma aurorale del conoscere"137) und bei
der Vierteilung der Geistestätigkeit stehengeblieben. Gentile hat uns eine
zeitgemäßere Philosophie gegeben, die die Geisteseinheit fundiert und
ihren dynamischen dialektischen Charakter stärker als Hegel hervorhebt,
die weiter den ewigen Trieb des Geistes zum Schaffen deutlicher zum
Bewußtsein bringt. In dieser Philosophie ist es schwer, das Ästhetische
als Individuelles zu bestimmen und seine Autonomie sicherzustellen.
Gentile ist dies im Ansatz gelungen, und zwar dadurch, daß er das
spezifisch ästhetische Verhalten des Logos als Subjektivität erklärt hat.
Wohl ist auf diesem Wege die autonome Begründung der aktualen
Ästhetik zu suchen; aber Gentile ist unterwegs stehengeblieben, und
anstatt diese Subjektivität mit allen Konsequenzen des dialektischen Ver-
fahrens zu deduzieren, hat er sie in einen seiner Philosophie fremden
Wert einmünden lassen, nämlich in den sensus, das Grundgefühl, den
Leib. Damit wären wir der naiven Erkenntnis wiederum nicht fern.
Aber liegt nicht doch im ganzen aktualen System die Lösung des Sub-
jektivitätsproblems zutage? Sie ist von einem Schüler Gentiles, von V.
Fazio-Allmayer, angedeutet worden"8). Das allgemeine Denken zeigt

136) Ästhetik, Tübingen 1930, Vorwort, S. LVII.

137) Vgl. Critica, 1933, Bd. XXXI, S. 1—19.

138) v. Fazio-Allmayer, La teoria della libertä nella filosofia di Hegel, 1920,
 
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