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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0316
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302

BESPRECHUNGEN.

der Beobachter jene Verwandlungsidee sich in tieferen Wesensschichten angeeignet
und einverleibt hat.

Stechows „Apollo und Daphne" enthält thematisch die Verwandlungsidee ge-
radezu in nuce, und das Thema ist auch von Warburg selber durchaus beachtet
worden. Schon in den Vorträgen der Bibliothek Warburg, 1926/1927 (Bd. 6), findet
sich eine philologisch vorzügliche Arbeit des holländischen Kunsthistorikers M. D.
Henkel, „Illustrierte Ausgaben von Ovids Metamorphosen" im 15., 16. und 17. Jahr-
hundert, die hier vorgearbeitet hat. So sehr also das Thema der Warburgschen Be-
trachtungsweise entgegenkommt, so sehr vermißt man — um es gleich vorweg zu
sagen — jene innerliche Aneignung der Verwandlungsidee, die einer solchen
Arbeit erst ihren wahren Tiefgang und ihre Notwendigkeit verbürgen würde. Ist
das Thema von Daphnes Flucht ein beliebiges Motiv, dessen Bildgeschichte zu
verfolgen wäre, oder kann an ihm vielleicht ein Urmotiv menschlicher Dramatik
aufgezeigt werden? Zu diesen Urmotiven hat gerade Warburg das Thema des
„Frauenraubes" gezählt und es wäre erwünscht gewesen, die Verknüpfung der ein-
maligen literarischen Gestaltfixierung mit dem Grundthema noch intensiver aufzu-
zeigen als es in den gelegentlichen Äußerungen bei Pollaiuolos Daphnebild (S. 20)
geschehen ist. Es ist von größter Bedeutung, an welchen Stellen in der ikono-
graphischen Entwicklung ein altes Motiv wieder über die Bewußtseinsschwelle tritt,
und erst durch diese Erkenntnis wird Ikonographie zur Ikonologie. Das hat wie-
derum vorbildlich Warburg an der Wandlung des Fortuna-Sinnbildes in seinem
Aufsatz „Francesco Sassettis letztwillige Verfügung" (Gesammelte Schriften Bd. I,
Leipzig 1932) aufgezeigt. Ohne das bleibt es letzten Endes bei einer Art Bild-
typenlehre, die post festum mit der Gesamtstilbewegung in Beziehung gebracht
wird. Eine mit der Geistesgeschichte vorokulierte Ikonographie. Diese Aufrichtig-
keit ist notwendig für die Selbstbesinnung derer, die sich im tiefsten von Warburgs
Lehre und Person über seinen Tod hinaus beschenkt fühlen. Und möge der Ver-
fasser jenes Buches wohl verstehen: jeder von uns könnte der Gefahr erliegen, der
— meines Erachtens — der Autor erlegen ist.

Der Fall liegt eigenartig: das Apollo-Daphne-Thema — so wie es seit Ovids
Darstellung in die Geschichte eingegangen ist — enthält in sich selbst schon ein
rein formales Thema, dasjenige der Verwandlung, des Transitorischen. Wie sich
nun eine Epoche zur Aufgabe der Darstellung eines Zeitmomentes in Sprache
und Bild verhält, muß erhellend für ihre ästhetische Denk- und Formungsweise
sein, wie nur wenige Themata. Auch von Stechow ist diese Eigentümlichkeit des
Ovidischen Motivs herausgearbeitet worden, wenn der Referent auch eine Grund-
besinnung über das Verhältnis von Handlungsablauf und Bildfixierung vermißt,
die erst das Ikonographische im Ästhetischen wirklich verankern könnte.

Auf 34 Tafeln entfaltet der Autor sein reiches Material, aus dem entnommen wer-
den kann, daß die Ovide-moralise-Darstellungen des 14. und 15. Jahrhunderts —
denn das Mythologische lebt ja nur in der moralischen Parabelgestalt weiter — dem
Gleichnischarakter des Inhaltlichen entsprechend die Szene in reiner, unbewegter
Zuständlichkeit vermitteln. Nicht eine Novelle wird entwickelt, sondern ein Sinn
wird aufgestellt. Diesem lehrhaften Ovid mischt sich im Lauf des Quattrocento ein
mehr erzählender bei, wie dies die köstliche burgundische Miniatur aus Christine
de Pisan (Abb. 9) zeigt, in der die Gestalten des Mythos in niederländischem
Kostüm durch die dörfliche Landschaft laufen. Bei Pollaiuolo geschieht der Um-
bruch ins Rhythmisch-Bewegte, in dem Zeit und Form (Ablauf und Fixierung) zu
einer gewissen Deckung gelangen. Im Augenblick, wo nun die Gestalt des rettenden
Flußgottes Peneios eingeführt wird, erhält die in ihrer Bewegungsrichtung über den
Bildraum hinausdrängende Fluchtbewegung ein neues Kompositionselement, das vor-
 
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