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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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Schmarsow, August: Geist und Seele im Rhythmus?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0349
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BEMERKUNGEN.

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saals, als habe er dem gepriesenen Geist einen Fluch nachgesandt, der auch bei
Ludwig Klages nicht stärker gegen die Ästheten losfahren könnte. Heute ist der
Geist ja schon an allem schuld. „Der Geist als Widersacher der Seele" lautet der
Titel eines tiefernsten Buches, an dem die siegesgewisse junge Generation noch
recht gründlich wird zu verdauen haben.

Wir jedoch fragen uns wohl befremdet: muß denn dem Geiste durchaus die
Rolle eines Widersachers der Seele zufallen, — jedweder Seele, an die er sich
heftet auf Gedeih und Verderb? — also nicht nur eines unbequemen Hausgenossen,
eines zuweilen widerhaarigen Gesellen, sondern geradezu eines Erbfeindes, der sie
schließlich gar mit Vernichtung bedroht, ja von vornherein als Meuchelmörder ein-
gedrungen war. Aus dem Mythos von der Seele wird ein Mimus mit gar mensch-
lichen Motiven vom Zuwiderwurzen. Und wir vermeinten doch, es handle sich
um unüberwindliche Mächte, den letzten Ratschluß der Metaphysik. — Wie kind-
lich meldet sich bei uns aus den Kasperletagen die neugierige Erage. Wenn die
Seele die einzige Lebensträgerin sein soll, und der Geist der leer ausgegangene,
aber wohl gar lebenshungrige Neider, so befällt er sie am Ende nur deshalb, weil
sie allein ihm eine Teilhabe am Leben gewähren kann. Unter solchen Umständen
darf es mit dem Giftmischen auch nicht zu schnell vonstatten gehen.

Bleiben wir also lieber, möglichst wenig voreingenommen, bei der Beobachtung
irgendwelcher rhythmisierten Körperbewegung, bei der wir nichts als die Leib-
Seele-Einheit voraussetzen, wie etwa beim Tanze. Und fragen uns weiter, wie sich
der Takt, diese „geistige Zutat", dabei benimmt. Ist er ein Rohling, so bemächtigt
er sich der Trommel oder der Pauke, um kräftig einmal dreinzuhauen und „Stop!"
zu gebieten; denn ihn ärgert das ungestörte Gewoge des Walzens. Mit einfachen
Schwingungen der Glieder, wie der symmetrisch-proportionale Bau der Menschen
sie ohnehin anheimgibt, wiederholen sich die Schritte. Sie mögen anfangs noch etwas
schwerfällig ausfallen, werden dann aber von selbst leichter und geschmeidiger,
und gehorchen, scheints, nur dem eigenen Antrieb des Augenblicks mit seiner Be-
wegungslust; mag auch das angelernte Vorbild eines Leiters noch dahinter stehen:
der Takt ist doch einverleibt, und regelt hier so unmerklich aus freien Stücken,
daß wir die völlige Befriedigung darin nicht verkennen dürfen. Lassen wir die
äußersten Fälle des Durchhaltens getrost außer Betracht; denn bis zur Erschöpfung
weitertanzen wird keines, es sei denn auf höheren Befehl, d. h. aus irgendeinem
religiösen Beweggrund, mit dem wir jetzt nichts zu schaffen haben. Hier finden
alle sichtlich ihr Genüge beim bloßen Vollzug allein. Und beim donnernden Takt-
schlag fahren sie alle zusammen; keiner gehorcht freudig. War das ein Geistes-
blitz als Störenfried?

Lassen wir dann ein einzelnes Paar von Tänzern auftreten, in Schauweite ein-
ander gegenüber, doch ohne jede Berührung dazwischen. Dem Einen nur leihen
wir die Maske des Geistes, dem Andern die der Seele, oder wenn das schon zu
nah ans Kasperletheater streift, so begnügen wir uns mit den Namen, oder auch
ohne sie. Da wird bald der eine zum Tonangeber, der andre zum getreuen Nach-
ahmer oder zum gefügigen Partner; sonst kennt man keinen andern Gegensatz
als den unvermeidlichen des Spiegelbildes. Und das ist schon auf dem Thespis-
karren der unfehlbare Unterschied von links und rechts. Und die leeren Rollen
können vertauscht werden, nur zur Abwechslung schon, und das dauert, bis die
sprachliche Unterscheidung zwischen „Er und Sie" kopfüber hereinfährt. Immer
jedoch liegt im rhythmischen Gleichklang die Genugtuung, und der Genuß der Ge-
meinschaft, — im Gegensatz nur vorübergehender Wetteifer oder ein kurzer
Triumph, der sich schnell wieder ausgleicht, solange nur die leibliche Annäherung
 
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