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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0358
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BESPRECHUNGEN.

träge von Muschgi) und Sarnetzki2) zu sprechen kommen. Solch grundsätz-
lichen Erwägungen verbunden ist eine eingehende Kennzeichnung der für die
Theorie der Literaturwissenschaft wichtigen Persönlichkeiten von Herder bis Wil-
helm Scherer. In Herder, so führt der Verfasser aus, sind so gut wie alle Ent-
wicklungsstufen der Literaturwissenschaft während des 19. und beginnenden 20. Jahr-
hunderts — wie vitalistisch-genetische Auffassung, Organismusgedanke, Milieu-
theorie, Nationalliteratur, Generationsbegriff — schon vorgebildet. Nach Goethe,
Schiller und der Romantik ist dann besonders Hegel mit Anhängern wie Gegnern
(Haym, Hettner) für die literarhistorische Methodik von besonderer Bedeutung.
Es beginnt die Wirkung der historischen Schule in Gervinus, für welchen die
Literaturwissenschaft nur ein Glied&der politisch gesehenen Kulturgeschichte ist,
mit politischer Zielsetzung und Zurückdrängung der ästhetischen Betrachtung. Es
folgt eine Zeit des „Sammeins und Hegens" (etwa Goedeke) und schließlich gibt
Scherer der Literaturwissenschaft eine neue Wendung. Der Vorwurf weitgehender
Rationalisierung des Dichterischen, eines ausgeprägten Philologismus (Jagd nach
Abhängigkeiten und Anklängen), treffe mehr Scherers Schüler als ihn selbst; in
ihm lägen vielmehr schon fast alle späteren methodischen Ansätze vorgebildet,
vor allem vertrete er die neue Forderung ästhetisch-psychologischer Würdigung von
Dichter und Dichtung. So legt Sch. einen trefflichen, gedrungenen Abriß der Lite-
raturwissenschaft vor als Ersatz für die gründliche Geschichte der Literaturwissen-
schaft, an der es noch immer fehlt.

Der Aufsatz von Hermann Gumbel über „Dichtung und Volkstum" rollt in
geschichtlichem Rückblick wie in systematischem Umblick das „Verhältnis der Tat-
bestände" auf, „welche durch jene zwei Worte bezeichnet sind". Zunächst erhebt
er die historisch-theoretische Vorfrage: „was heißt Volkstum, Volksgeist?" und
beleuchtet die Vieldeutigkeit dieser Begriffe, wie sie in maßgebenden Vertretern
seit etwa 1913 zum Ausdruck gekommen ist. Ein wichtiger Gesichtspunkt dabei
ist der Umstand, daß die Dichtung Bedingung und Voraussetzung so gut wie Folge
und Ausdruck des Volkstums sei. Stehen also Volkstum und Dichtung in „Funk-
tionsverhältnis" zueinander, so steht damit die Dichtung in „Funktionsverhältnis"
auch zu den anderen Bedingungen des Volkstums wie Rasse, Landschaft, Stammes-
tum, Familie, Sprache, Volksgut, Volkskunde. Alle diese Beziehungen werden in
stetiger Auseinandersetzung mit namhaften Wortführern kurz erörtert. Für das
Verhältnis von Volkstum und Dichtung ist aber vielleicht am schwerstwiegenden
die Frage, ob man unter „Volk" die unteren Volksschichten oder gerade die Bil-
dungsschicht verstehe. Demgemäß erfährt die Volksdichtung, die zur Kunstdichtung
in einem oft weit klaffenden Gegensatz steht, eine Plus- oder Minuswertung.
G. macht in heutiger Zeit besonders Hans Naumann den Vorwurf, die Kluft
zwischen Kultur- und Volksdichtung erst recht „ins Bewußtsein gehoben und be-
harrlich vertieft" zu haben. Nach Naumann ergebe erst das in die Unterschicht
abgesunkene Kulturgut das wahrhaft Volkstümliche; erst die Kultur der Unter-
schicht habe den eigentlich volkstümlichen Wert. G.'s Beitrag ist eine sehr wert-
volle Einführung in diesen wichtigen, verwickelten und zugleich in unserer Zeit viel
umstrittenen Fragenkreis.

Dem „Periodenprinzip in der Literaturwissenschaft" ist der Beitrag von Her-

1) „Das Dichterporträt in der Literaturgeschichte."

2) „Literaturwissenschaft und die Dichtung und Kritik des Tages.'
 
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