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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0364
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BESPRECHUNGEN.

12 Abschnitten mit vielen guten Belegen jedes der vier Gesetze in Anwendung auf
jedes der drei Hauptprobleme zeigt, gelingt es ihm, ihre heuristische, methodo-
logische und urteilsbildende Fruchtbarkeit aufs einleuchtendste zu erweisen. E.s
Darlegung erhärtet so in jeder Weise seine Behauptung: „auch der Literar-
historiker hat . . . einen wissenschaftlichen Verstand in sich auszubilden, der der
Gesetzgeber seiner Wissenschaft sein soll. Er hat von der Logik her die Gesetz-
mäßigkeit seiner Methode zu bestimmen".

Die Überlegungen zum „Problem der Stilgeschichte", wie der folgende Bei-
trag sie bringt, geben seinem Verfasser Josef N a d 1 e r Gelegenheit zu einer Fülle
ganz ungemein feinsinniger und tiefdringender Bemerkungen über den Stil der
Dichtung und des Dichters. Auf diese Einzelbeobachtungen möchte ich größeres
Gewicht legen als auf seine einleitenden Erörterungen über die Möglichkeit von
Stilgeschichte und den Anteil, der dabei induktiver und deduktiver Forschungs-
weise zufällt. Bauglieder und Wirkungsmittel des Wortkunstwerks läßt er in um-
sichtigster Kleinschau vor uns erstehen, dabei immer bedacht, wie aus ihnen dem
Forscher das Ergebnis „Stil" erstehe. Da ist der Sprachlaut, „Rhythmus wie Me-
lodie, Tonstärke, Tondauer, Tonhöhe, Klangfarbe der Vokale, Tempo der Rede,
gewollte Abstimmung der Konsonanten, klangliche Abstimmung der Worte",
Sprachsinn, etwa das „Verblassen des Bildhaften ins Abstrakte, das Wiederauf-
leuchten verblaßter Abtrakta zum Wörtlichen" u. v. a. Der so gerichteten Frage-
stellung sind Dichternamen — N. nennt besonders Kleist und Eichendorff —. die
„stilkritischen Gesamtnenner der bezüglichen Stileinheiten". Weiten Raum räumt
N.s Untersuchung den Hemmnissen bzw. Gefahren solcher Stilforschungen ein.
Dadurch etwa, daß der Forscher für die Umwelt eines Dichters angewiesen bleibt
wiederum nur auf literarische Denkmäler, er argumentieren muß von Buch zu Buch,
daß ihm m. a. W. die Kenntnis der jeweiligen Umgangssprache fehlt, besteht die
Gefahr, beim Dichter als. individuelle Stileigentümlichkeit anzusprechen, was Eigen-
heit der Umgangssprache war. So bleibt in vieler Beziehung der individuelle Stil
eines Dichters ein durchaus problematischer Begriff, denn „wir müßten zuvor ge-
lernt haben, das Unwillkürliche, Unbewußte im Stil, das sich dem Schaffenswillen
entzieht, unvergleichlich schärfer zu erfassen, als das bisher möglich war". N. weist
etwa auf die hieraus sich ergebenden Schwierigkeiten hin für Versuche, auf stil-
kritischem Wege eine Zeitfolge von Werken eines Dichters aufzustellen0) oder Ver-
fasserschaften zuzuweisen. Weitere Beschränkungen des individuellen Stilbegriffs
findet N. in der Wirkung von „Normen"; „jeder Schöpfer steht, wie immer Grenz-
fälle liegen mögen, unter dem Gesetz der Norm". Als Norm gilt N. erstens
Poetik, zweitens Publikum; beides seien soziologische Mächte und zugleich stil-
bildende Kräfte, denen sich kein Dichter entziehen könne und die „den schöpfe-
rischen Vorgang von der Wurzel her beeinflussen". Die Poetik einer Gruppe oder
eines Zeitalters ist als Modell oder Widerspiel, durch These oder Antithese stil-
bildende Kraft. Das Publikum aber, zu dem ja auch jede Art Kritik zählt, wirkt
als solche stilbildende Kraft, da jedes literarische Schaffen auf Teilnahme, auf Emp-
fang seitens einer Leser- und Hörerschaft angewiesen ist. Eine Einzelheit heraus-
zuheben: die staatliche Zensur prägte durch Zwang stilistische Eigentümlichkeiten,
die dem Dichter dann zuweilen sogar dort anhafteten, wo er der Zensur nicht
unterstand. Immer von neuem mahnt N. an Hand solcher Beispiele vor der Gefahr,

6) Ich darf vielleicht darauf hinweisen, daß ich selbst in meiner „Chronologie
der Novellen Heinrich von Kleists" (Weimar 1920) zur Bildung einer Entstehungs-
abfolge Momente von Kleists außerdichterischer Sprechgewohnheit, wie sie sich
mit Vorsicht aus den Werken selbst erschließen und cum grano salis aus seinen
Briefen erhärten lassen, verwendet habe.
 
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