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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0366
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352

BESPRECHUNGEN.

leuchtet dann an dem so umgrenzten Begriff Weltliteratur die für das Geistesleben
entscheidenden Züge. Mindestens für den Bereich Europas beobachte man den
gleichen Ablauf literarischer Stile (Gotik — Renaissance — Barock — Klassik —
Romantik usw.), und es sei nun die Aufgabe der Weltliteraturgeschichte zu unter-
suchen, worauf das zurückzuführen sei, und darzustellen, wie in diesem gleichen
Rhythmus die einzelnen Nationen dennoch ihre Eigenart bewiesen. Weiter: nicht
die gesamte Literatur sei als Weltliteratur anzusprechen, sondern einerseits nur
diejenige, die jeweils über die nationalen Grenzen in die Weite wirkt, und anderer-
seits diejenige, die über die zeitlichen Grenzen hinaus sich einen dauernden Wert
erwirbt (wobei freilich auch der „Ewigkeit" des schlechten Geschmacks — St. sagt:
„der ewige Kotzebue" — Rechnung zu tragen ist). So gibt es Weltliteratur des
Zeitlichen, Aktuellen und Weltliteratur des Oberzeitlichen, Ewigen. Wichtig ferner
ist für die Weltliteraturgeschichte zu beobachten, wann und wie und auf Grund
welchen Anlasses die einzelnen nationalen Literaturen in die Weltliteratur ein-
treten und wie sich in derselben ihre gebende und empfangende Rolle nach ihrer
Eigenart und dem jeweiligen Zeitpunkt verteilt. Denn es ist der Weltliteratur-
geschichte eigentümlich, die nationalen Literaturen als Glieder eines Körpers zu
betrachten; mit anderem Bild: „Weltliteratur ist eine Harmonie von Stimmen des
allerverschiedensten Klanges". Man will zur übernationalen Harmonie der Welt-
literatur von jeder Nation anderes, gerade nur ihr Eigentümliches hören. So wurzelt
jede einzelne Literatur tief im Erdreich der Nation, ragt aber mit ihrer Krone in
den ewigen Menschenraum; denn der Sinn der Weltliteratur in ihrer Gesamtheit
ist möglichst allseitige Entfaltung des Menschenbildes. Der deutschen Literatur
wurde es besonders schwer, in die Weltliteratur einzutreten, weil ihr Beitrag die
betonte Individualität ist, die der Allgemeinverständlichkeit gerade widerstrebt. Als
ihr dennoch dieser Schritt gelang, wurde gleichzeitig, vorbereitet durch Voltaire
und Herder, von Goethe auch die Idee der Weltliteraturwissenschaft aufgestellt.
Schließlich versöhnen sich aber in der Weltliteraturgeschichte und Weltliteratur-
wissenschaft übernationale, allgemeinmenschliche und nationale Ziele, verhilft die
Spiegelung im fremden Urteil doch oft genug zu klarerer Selbsterkenntnis, als sie
eine Nation aus sich allein heraus für gewöhnlich zu erlangen vermag. St. weiß in
seinem Aufsatz für die um den Begriff Weltliteratur kreisenden Fragen allseitig
befriedigende, tiefdringende Antwort zu finden.

Die Reihe der lebenswichtigsten literaturwissenschaftlichen Methodenfragen ab-
schließend, kennzeichnet Detmar Heinrich Sarnetzki „Die Literaturwissenschaft
und die Dichtung und Kritik des Tages" in ihrem wechselseitigen Verhältnis. Seine
Ausführungen gelten der Tatsache, daß jene drei geistigen Welten, ihrem Wesen
und Gegenstand nach zu engster Zusammenarbeit bestimmt, sich heutzutage mehr
als je fremd und kühl, wenn nicht gar feindlich gegenüberstehen. Einerseits werfen
sie sich in seltsamem Mißverstehen gegenseitig die Wesenseigentümlichkeiten ihrer
Arbeit als Schwächen vor, andererseits aber greifen sie auch in Mißkennung der
eigenen Artung über deren wesensnotwendige Grenzen hinüber und schwächen
dadurch die klare Bestimmtheit ihrer Stellung. Um Dichtung, Literaturwissenschaft
und Tageskritik aber gleichmäßig gerecht zu werden, beleuchtet S. in seinen höchst
temperamentvollen Ausführungen den Gesamtbefund dichterisch-literarischen Lebens
getrennt vom Boden sowohl der Dichtung aus wie von dem jener beiden Beschäfti-
gungen mit ihr. Indem er aber so jedesmal aufschlußreiche Blicke in die Tiefe
ihrer verschiedenen Wesensart eröffnet, läßt er auch in unparteiischer Kritik er-
kennen, durch welche Schwächen jeder der drei „Rivalen" — Dichter, Literatur-
wissenschaftler, Tageskritiker — die anderen zur Ablehnung reizt. Der Dichter will
oft genug mit Unrecht die einzig zuständige Kritik sich selbst vorbehalten wissen,
 
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