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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0372
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358

BESPRECHUNGEN.

festzuhalten sucht . . ." Diese geistesgeschichtliche Einordnung Q.s dürfte jetzt
wohl maßgeblich sein und bleiben. Ähnlich tiefgehend wird das Thema des Todes
behandelt, wobei auf die Trauerspiele neues Licht fällt: Ihre handelnden und
leidenden Personen entbehren jedes individuellen Selbstzwecks: „Sie sind nur die
ganz und gar allegorischen und transparenten Medien, durch die hindurch sich die
gültigen, objektiven moralischen Realitäten der Treue, der Beständigkeit, der Bos-
heit, des Wankelmuts manifestieren." F. geht weiter zu dem Thema „Wesen und
Schicksal des Menschen": Die subjektive Verzweiflung des O., durchaus im Mensch-
lichen selbst entsprungen, erscheint poetisch als eine jedermann in gleicher Weise
zugängliche objektive Feststellung über Menschen und Welt als „Gegenstände",
nicht auf persönliche Verhalte zielend, sondern auf allgemeine, typische. „Die
Summe von Sinn-Bildern für die Vergänglichkeit bleibt ein völlig inadäquater
Ausdruck für jenes Gefühl, das G. zwar keineswegs ganz und ausschließlich be-
herrscht, das aber gewiß das mächtigste Motiv seines Lebens und seiner Dichtung
war . . . Wo immer aber der Mensch im dichterischen Bilde auftritt, da geschieht
es in versachlichter Aufteilung in Eigenschaften und Attribute bzw. in die ob-
jektiven Mächte, die ihn regieren." — In dem Abschnitt über die bildliche Be-
nennung des menschlichen Körpers zeigt F., daß der deutsche dichterische Stil der
Renaissance und des Barock in wesentlichen Zügen noch zu den vorangegangenen
Jahrhunderten gehört, und daß wir meist die Einheit und Ganzheit der Gestalt
vermissen (Wölfflin hatte für die bildende Kunst der Zeit das Gegenteil dargelegt
und Strich dies Ergebnis für die Literatur zu übernehmen versucht). Das Ver-
bildlichen aller Einzelheiten führt zum Entgegenständlichen des Ganzen. — Die
Natur ist dank der anthropozentrischen Selbstsicherheit dieser Zeit nie Selbst-
zweck, sondern stets bewußt gehandhabtes Stilmittel. Man hat zwar bereits Distanz
zu ihr, sieht sie aber meist doch noch dinglich, sachlich.

Ein viertes Kapitel „Formelemente" interpretiert zunächst die Gleichnisse des
G., die als „allegorisch" dem „naiven" Gleichnis Homers und dem „symbolischen"
der Goethezeit — bei Kleist — entgegengesetzt werden. Bei G. muß einer sachlichen
Summe von Bedeutungen eine sachliche Summe von Versinnlichungen entsprechen,
während Homer nur ein tertium comparationis heraushebt und Kleist Eigentliches
und Bedeutung verschmilzt. Zu „Personifizierung und Beseelung" übergehend weist
F. nochmals darauf hin, daß „in die vielschichtige Struktur der barocken Geistig-
keit ... ein Stück mittelalterlicher Realismus hineinragt, der alles Individuelle und
Subjektive als das Einmalige und Nichtige verneint und den Begriff seiner All-
gemeinheit und Zeitlosigkeit wegen als das Wirkliche und Wertvolle verehrt. Das
schließt . . . nicht aus, daß dieser Realismus . . . nicht bereits erschüttert, seiner
objektiven metaphysischen Substanz . . . weitgehend beraubt und durch die leiden-
schaftlich und dunkel ihrer selber als letzter Wirklichkeit bewußt werdenden Sub-
jektivität bedroht ist". Dann wird das Stilmittel der Umschreibung, diese im Barock
so beliebte sinnreiche Technik des Uneigentlichen, analysiert und schließlich die all-
gemeine Struktur und ästhetische Funktion des Bildes bei G. zusammengefaßt:
Aus einem allgemeinen allegorischen Weltbild ergibt sich die Bildersprache der
Dichtung, die über der Realität des objektiven Seins ein anderes illusorisches Reich
mit Hilfe der Wörter aufbaut.

Als besonders gelungen muß der Exkurs über G.s rhetorische Prosa hervor-
gehoben werden. G.s Leichenreden „sind für die Erkenntnis seiner Weltanschauung
wie auch seines Stils von unschätzbarem Werte. Hier wird vollends deutlich, bis
zu welchem erstaunlichen Grade die Energie einer metaphysischen Traurigkeit und
eines leidenschaftlich Ewiges oder Nichts verlangenden Ernstes die aufgelöste, zer-
stiebende Vielheit der natürlichen und geschichtlichen Welt des Barock und den
 
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