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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 27.1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14172#0373
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BESPRECHUNGEN.

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objektivistischen Formalismus des barocken Stils zu durchdringen vermochte. Der
Rhetor O. war stärker als der Poeta . . . Hier wird der eigene weite Rhythmus,
der lange, kräftige Atem des Jahrhunderts spürbar, — des Jahrhunderts, dessen
größte Geister in all ihrer Erschütterung doch ihrer selbst noch unendlich gewiß
waren. Hier feiert der barocke Geist seine höchsten Triumphe. Mit einer wahrhaft
titanischen Anstrengung sucht er das auseinanderstrebende, sich unendlich ver-
selbständigende Dasein und Gewesensein noch einmal zusammenzufassen, zu be-
herrschen und sinnvoll zu machen — als Sinnbild und Spiegel einer objektiven,
unerschütterlichen Welt der Realia des Geistes, als Exemplum, als Allegorie und
als Emblem ... Im Rhetorischen schließlich tritt uns die zweckvoll, bewußt und
distanziert gestaltende Künstlichkeit noch einmal überzeugend entgegen, mit der
die Zeit den elementaren Gewalten des Chaos, die sie rings bedrohten, mit Hilfe
der Durchstilisierung und Durchformung des gesamten menschlichen Daseins Herr
zu werden suchte." Wichtiges sagt F. ferner über den (negativen) Geschichtssinn
des Barock, das „Gefühl, daß die höchsten Wahrheiten und Erkenntnisse zeit-
überlegen da seien und von der höheren Weisheit verflossener Jahrhunderte auch
ausgesprochen worden seien". Natur und Geschichte sind riesige Sammelkästen
metaphorisch-allegorisch-exemplarischer Gegenstände. Die Leichenreden G.s sind
gänzlich vom Stilgesetz der Allegorie beherrscht. Die barocke Allegorie aber ist
„ein Ausdruck des konsequenten Versuchs, die Kategorie der Subjektivität zu
ignorieren und das Dasein, Leben, Welt und Gott noch einmal dem objektiven
Aspekt einzuordnen".

Es kommt F. in dem ganzen Buche vor allem auf die allgemeine Struktur
und ästhetische Funktion der Bilder an. Er will zeigen, was das Bild in der
Barockdichtung soll, vermag, bewirkt, d. h. der Blick richtet sich auf das ästhetische
Phänomen. Auf die philologisch-historische Untersuchung und Einordnung, die nur
den mehr oder minder hohen Abhängigkeitsgrad — dessen ungefähren Stand
man weiß — hätte nachweisen können, hat F. verzichtet; mit Recht, denn dann
hätte er für die ungefähr 3000 Bilder nach Vorlagen in den Massen antiker und
neulateinischer Werke und — als Zwischenstufe —■ in den lateinischen Dichtungen
von G. suchen müssen, ein Unternehmen, dessen ungeheure Weite den Erfolg nicht
verlohnt hätte (an der Grenze, wo der Leerlauf begonnen hätte und der Erfolg dem
Arbeitseinsatz nicht mehr entsprechen konnte, ist hier Schluß gemacht dank jenem
richtigen wissenschaftlichen Taktgefühl, das wir heute mehr denn je brauchen, ver-
langen und schätzen). Auch hätte sich dadurch das Ergebnis über die ästhetische
Funktion der Bilder in nichts geändert. Diese aber ist von F. in ihrer Wurzel er-
faßt. Und auch die allgemeine stilgeschichtliche Stellung des G. ist — ebenso wie
die ideengeschichtliche — fest umrissen: „Er hat noch fast alle wesentlichen Stil-
elemente der in Opitz sich verkörpernden Renaissancepoesie, und gleichzeitig ist
virtuell die ganze kommende Entwicklung der hochbarocken Sprachform bei ihm
gegeben."

Ein wesentlicher Gesichtspunkt des Buches, der besondere Beachtung verdient,
besteht darin, daß zum Vergleich mit dem Barock immer wieder, in jedem Kapitel,
die Goethezeit herangezogen ist als ein zwar immer im Hintergrunde bleibendes,
aber stets lebendiges Gegenspiel. Hiermit tritt die Barockforschung über sich selbst
hinaus: Handelte es sich bis dahin um die Erkenntnis des Barock selbst, so wird
hier nun das Erkannte zu anderem in Beziehung gesetzt. Hier scheint ein Ansatz-
punkt zu liegen ähnlich dem, den Wölfflin gab. Aber während noch vor nicht langer
Zeit dessen Gegensatzpaare von Literarhistorikern übernommen wurden (trotz der
anderen Gattungsgesetze — denn Wölfflin gab Sehformen — und trotz des Um-
standes, daß die Kunstgeschichte keineswegs bei Wölfflin stehen blieb), ist das,
 
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