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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 33.1939

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Müller-Freienfels, Richard: Kunsterkenntnis und Kunstverständnis, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14216#0299

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Kunsterkenntnis und Kunstverständnis

Von

Richard Müller-Freienfels

(Schluß)

V. „Seelverstehen" im künstlerischen Erleben

Fragt man jemand, was er in seinem Kunstverstehen denn eigent-
lich „verstünde", so wird man in der Regel nur ganz pauschale Ant-
worten erhalten, etwa: „das Werk", oder die „Intentionen des Künstlers"
oder den „Gehalt". Werden dagegen speziellere Züge des Werkes als
Inhalt des Kunstverständnisses angegeben, so wird meist offenbar, daß
diese das Wesen des Werkes keineswegs erschöpfen. Das ist nicht zu
verwundern; denn in der Tat ist alles tiefere Verstehen wie wir früher
darlegten, „überrational" und folglich nur unvollkommen begrifflich zu
fassen. Das ist auch dort so, wo es sich um das Verstehen menschlicher
Charaktere handelt; auch dies geht weit über die begriffliche Faßbarkeit
hinaus, und wenn auch gewisse Einzelzüge zuweilen richtig hervor-
gehoben werden, sie müssen doch innerhalb der Ganzheit des Menschen
gesehen werden, die durchaus distinkt erfaßt sein kann, auch wo sie
nicht auf begriffliche Formel zu bringen ist. Das muß von einer wissen-
schaftlichen Psychologie eingeräumt werden, auch dort, wo sie trotzdem
versucht, dem Tatbestand des Verstehens näher zu kommen und die
Frage aufwirft, worauf denn im einzelnen Falle das Verstehen zielt.

Wir stellten zunächst nur ganz allgemein fest, daß das Verstehen
im Gegensatz zum Erkennen auf etwas „Inneres" geht, das sich in
den Außentatsachen, auf die sich das Erkennen vor allem richtet,
nur „ausdrückt". Dies jenseits der materiell-sensorischen „Gegeben-
heiten" Miterlebte jedoch kann zweifacher Art sein: es kann sich um
„Seele" und um „Geist" handeln, die wir kurz dahin unterscheiden, daß
die „Seele" individuell, der Geist „überindividuell", die Seele „subjektiv",
der Geist „objektiv", richtiger „übersubjektiv" ist; und v/eiterhin daß die
Seele teils bewußt, teils unterbewußt, der Geist jedoch teils bewußt, teils
überbewußt ist. Wie wir den Unterschied zwischen Seele und Geist im
einzelnen fassen, wird sich in unseren späteren Darlegungen zeigen.

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft XXXIII. 18*
 
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