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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Ewige Archaik: (über das Verhältnis bildender Kunst und Musik in den typischen Frühzeiten)
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0016
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G. F. HARTLAUB

schiedenen indischen, das China von gestern, Japan von vorgestern, auch
Tibet usw. — umfaßt Gesittungsformen archaischer Art, Daseinsverfas-
sungen, denen ursprünglich eine Kunst des archaischen Typus entsprach
— alles freilich längst nicht mehr rein, so wie im morgen- und abend-
ländischen Altertum oder in der vorkolumbischen Zeit Amerikas, sondern
vielfach überlagert und partiell auch schon in andersartige spätere Zu-
stände hinübergewachsen, die in der Kunst das „Archäo-Barocke" mit
allen möglichen Einflüssen vermischt zeigen. Im ganzen handelt es sich
aber auch hier um Beispiele einer „ewigen Archaik", keine endgültige Ent-
wicklung zu jener Zivilisationsstufe, die im Abendland sich durch das
Erreichen des klassischen Kunstideals kennzeichnet, höchstens um ein Zu-
rücksinken zu primitiveren Zuständen, ein „Fellachisieren", wie wir es vor
allem in Ägypten, aber auch bei gewissen Negerkulturen beobachten kön-
nen. Ewige Archaik tritt damit in Gegensatz zu denjenigen Entwick-
lungsstufen, die wohl auch das archaische Stadium durchlaufen, sich dann
aber in politischer, sozialer, religiöser, wirtschaftlicher Hinsicht zu be-
stimmten Freiheitsformen durchringen, welche vielleicht sich nur kurz
verwirklichen, aber doch alles Kommende durchdringen mit ihren mensch-
lichen Errungenschaften. Viel reinere Ausprägungen ewiger Archaik haben
wir im Altertum, vor allem in der jahrtausendealten Kultur und Kunst der
Ägypter, die in mehrfacher (auch sprachlich-literarischer) Hinsicht für
das Archaische und seine immanenten Wandlungen exemplarisch bleibt.

Bevor wir also uns jenen Kulturen zuwenden, die die sogenannten
Frühstufen nur durchmachen, um sie unter sich zu lassen — die abend-
ländischen —, müssen wir den Vertretern jener ewigen Anfänge einen
flüchtigen Blick schenken. Es ist für unsere Zwecke wohl möglich, sie zu-
sammenfassend zu betrachten und ihnen gleichsam dieselbe Frage vor-
zulegen, denn sie haben — bei aller gewaltigen Verschiedenheit im
einzelnen — doch, was die Grundzüge des Primitiven und Archaischen
angeht, gewisse Gemeinsamkeiten, die auch Spezialkenntnis nicht ver-
wischen kann.

Was uns vergleichende Musikwissenschaft, Kunstgeschichte der Vor-
und Frühkulturen von der Beschaffenheit und dem Verhältnis der Ohren-
und Augenkünste berichten, bestätigt in zahlreichen Einzelheiten unsere
schon grundsätzlich gewonnene Einsicht: die Entfaltung des Menschen
im Lauf seines Erdenwandels — worunter wir sowohl die lange, so-

bliebene Lebens- und Bewußtseinsformen, was bei den eigentlichen „Civilisations-
Kulturen" (wir sehen keinen Gegensatz zwischen beiden, sondern nur einen Ab-
stand) nicht mehr in dem Maße der Fall ist — selbst in dem ländlichen und pro-
letarischen Bevölkerungstell nicht! Darum lassen sich innerhalb der strengen Kano-
nik archaisch-abstrakter Zeichnung so häufig Durchbrüche primitiverer Anschau-
ung, etwa dessen, was wir die (primäre) Naturstufe des Impressionismus genannt
haben, nachweisen. So im Zweiströmeland, in Ostasien, Mexiko und Peru etc. —
 
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