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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Kluge, Otto: Der Humanismus als ästhetische Idee
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0112
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OTTO KLUGE

langen nach Schönheit im Geist eines erträumten Ideals, wandelt die
Formen des Lebens in Kunstformen. Aber doch nur bei den wenigen
freien Geistern, deren Christentum nicht die Begeisterung für die Antike
zurückdrängte. Luther gehört nicht zu ihnen. Er deutet, wie auch Murner
und Brant, die Zeitsymptome, die Verbreitung der Wissenschaften, die
Zunahme der Drucke pessimistisch. Man kann einwenden: Luther war
kein Humanist. Aber auch die eigentlichen Humanisten beurteilen den
Ablauf der Geschichte als fortschreitenden Verfall und flüchten mit ihrer
Entdeckerfreude und ihrem Wiedergeburtsverlangen, aber auch mit ihrer
Not und fatalistischen Hoffnungslosigkeit (Wessel Gansfoort, Agrippa
v. Nettesheim) in das Geistesreich eines Traumbildes.

An sich natürlich widerspricht die christlich-humanistische Lebens-
verneinung und der Verzicht auf den Genuß der Welt der antiken
Gefühlsweise. Nun vertrat aber die Spätantike in der Kultur des
Hellenismus ein Prinzip der Lebensfremdheit und Weltmüdigkeit, das die
Wurzel eines dem humanistischen analogen Denkens bildete. Die antike
Philosophie, fast ausschließlich dargestellt an ihren Repräsentanten Ari-
stoteles und Plato, pflanzte sich in der mittelalterlichen Glaubensphilo-
sophie und — durch das Medium des Neuplatonismus — in der huma-
nistischen Philosophie fort. Der Neuplatonismus weist zwar in seiner
Entwertung der sichtbaren Welt über die Antike hinaus; er rettete aber
anderseits die dem Piatonismus immanenten ästhetischen Werte, wie
denn die ästhetische Stellungnahme zur Welt, die spiritualistische Meta-
physik und der objektive Idealismus der Erkenntnislehre die Elemente
waren, die den Humanismus am Piatonismus anzogen. So erlebt die
durch die frühen Apologeten des Christentums umgebogene Antike in
der Ästhetik des Humanismus eine Wiedergeburt.

Diese beiden Faktoren, die weitreichende Ideengemeinschaft zwischen
Humanismus und dem durch die christliche Philosophie hindurchgegan-
genen Piatonismus einerseits, die am Jenseits orientierte Psychologie und
Glaubensverbundenheit mit der Kirche anderseits, erklären die Wahl
religiöser Stoffe in der Poesie der Humanisten4) und die wenig sinn-
liche Auffassung in ihrer Naturbetrachtung. Die religiöse Lyrik
eines Joh. Stigelius (1515—62) ist getragen von einer fast mystischen
Kontemplation, seine Liebespoesie mündet meist in eine Klage über das
Leid der Welt. Die Naturlieder sind mehr Gedankenkonzeptionen als
Gefühlsergüsse, den einen Lotichius vielleicht ausgenommen. In des Celtes
derber erotischer Dichtung sehen wir den mittelalterlichen Dualismus

4) O. Kluge, D. Dichtung des Hugo Qrotius i. Rahmen der neulat. Kunst-
poesie. Sehr. d. Amsterd. Akad. Leiden 1938 ff. 2, S. 36 ff., 3 pass. (Ästhet. Würdi-
gung der Renaissancelyrik).
 
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