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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Kluge, Otto: Der Humanismus als ästhetische Idee
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0132
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OTTO KLUGE

Schönheitssinn bildet, prüft der Humanist das Einzelne, zergliedert es,
vergißt dabei häufig den Genuß. Les Allemands ne savent pas composer.
Beide Richtungen haben ihre Berechtigung, beide ihre Gefahren. Das
echte künstlerische Schaffen wird durch die Antwort charakterisiert, die
Hans Pfitzner unlängst auf die Frage gab, ob es schwer sei gute Musik
zu schreiben: „Durchaus nicht. Entweder ist es sehr leicht oder es geht
überhaupt nicht". Die Leichtigkeit des Schaffens offenbart den schöpferi-
schen Geist, in dem die Phantasie das Moment der gedanklichen Freiheit
darstellt. Es ist nur so viel Freiheit im Geist, als Phantasie darin mög-
lich ist.

In jener merkwürdigen Zeitwende vom Trecento zum Cinquecento
spricht der alte Dialog zwischen Geist und Leben lauter zu uns. Er
rührt an Philosophen und Dichter, an Maler, Architekten und Musiker
und erfüllt sie mit Gleichnissen, damit sie Dasein, Welt und Dinge aus-
legen. Sie tun es nach ihren ästhetischen Gesetzen, einer Ästhetik
auf intellektueller Grundlage. Ästhetischen Gesetzen unter-
liegt ja die gesamte Kultur und Weltanschauung, keineswegs nur die
Kunst. Von dieser modifizierten künstlerischen Einstellung aus gesehen
erscheint der deutsche Humanismus, als Gesamterscheinung der klassi-
schen Zeit, der Antike näher verwandt als der italienische (s. o. S. 113),
sofern er sie besser verstanden hat: denn das wichtigste Mittel, eine alte
Kultur zu verstehen, ist die Sprache. Auch die Antike setzt die Gesamt-
bewertung ihrer eigenen Kultur nach der wissenschaftlichen und künst-
lerischen Seite unter einen Begriff, indem sie „artes" als Gemeinbegriff
für Künste und Wissenschaften faßt. Dem Griechen gelten Wahrheit und
Schönheit als unzertrennlich, für Welt und Schmuck hat er den gemein-
samen Ausdruck Kosmos.

Den Romanen war die Antike eine mehr oder weniger äußerliche
Sache, die sie mitmachten, deren Einwirkung sie sich aussetzten, weil
sie in ihr ein Exempel ihres eigenen Lebens- und Weltgefühls fanden.
Ihre Bildung war die griechische: Naturerziehung. Zu dieser Erziehung
aber brachte der freie Mensch Italiens, viel robuster als der griechische,
viel weniger spekulative und pessimistische Feinfühligkeit mit als der
antike Mensch. Er ersetzte dies Manko durch Aktivismus, Willen zur
Lebenssteigerung (virtü, eine echt antike „Pathosformel", A. Warburg)
und Hingabe an den Augenblick. Daher sucht die Renaissance die Freude
an der Welt und an schöner Form. Die Renaissance, die Kunst des form-
vollendeten Seins, „bietet uns jene befreiende Schönheit, die wir als ein
allgemeines Wohlgefühl und gleichmäßige Steigerung unserer Lebens-
kraft empfinden" (H. Wölfflin).

Aber dieser sinnesfrohe Lebensrausch zieht seine Kraft aus der
eigenen Natur, wird belebt von eigenem, dem edeln griechischen
 
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