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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Kluge, Otto: Der Humanismus als ästhetische Idee
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0133
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DER HUMANISMUS ALS ÄSTHETISCHE IDEE

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nicht kongenialen Geist. Und dieses Urteil stimmt mit der nationalen
Grundtendenz der gegenwärtigen Renaissanceforschung Italiens über-
ein, die die Renaissance als eigengewachsene Schöpfung des italienischen
Geistes, nicht aber als Dublette der Antike auffaßt und zu erweisen sucht40).
Hierin sieht auch G. Bertoni das Moderne in Renaissance und Huma-
nismus: „C'e una Rinascenza letteraria e artistica, perche racchiude non
soltanto una concezione estetica della vita, ma una nuova intuizione
del mondo suscettiva di grandi svolgimenti"41). Ganz im Sinn Burck-
hardts, für den bekanntlich die „Wiedererweckung des Altertums" nicht
das ursächliche Moment der Renaissance war; ganz im kulturmorpholo-
gischen Sinn einer Auflehnung des romantischen Geistes gegen den klas-
sischen. Der Antike gegenüber ist die Renaissance etwas Unfertiges, sie
kommt über die großen Impulse, die sie gibt, nicht hinaus, sie hemmt
und erstickt ihre reichen Ideen in der Überbetonung des Persönlichen.
Dem deutschen Humanismus gegenüber hat seine italische Gestalt ihre
Bedeutung darin, daß sie die ästhetische Vollendung des Menschen vor-
anstellt, die innere Formgebung und das Bekenntnis zur Schönheit. Wäh-
rend Parthenon und Pindars olympische Siegesfeier am Horizont des
griechischen Daseins versinken, blüht die sinnenhaft schöne, süße Form-
kultur der renaissance-italienischen Welt auf.

Der Unterschied beider ästhetischer Erscheinungen nördlich und
südlich der Alpen ist zusammengefaßt: Das ästhetische Wert- und Gel-
tungsbewußtsein des deutschen Humanismus hat das (antike) Ziel des
harmonisch ausgeglichenen Menschen; demgegenüber hat seine italische
Gestalt das Ideal der ästhetischen Vollkommenheit, des subjektiven Er-
lebens der Lebenswerte als Schönheit. Der Zusammenhang zwischen
dem Lebens- und dem Kunstideal, das den Humanismus in Deutschland
und den in Italien beherrschte, besteht in dem gemeinsamen Prin-
zip der Förderung der geistigen Kultur der Menschheit, in einer Bil-
dungsmethode, die sich aufbaut auf Wissenschaft und Kunst, also be-
stimmt ist von einer Weltanschauung mit doppelter, im Erkenntnishaften
und im Ästhetischen wurzelnder Grundtendenz. Die ästhetische Seite des
Humanismus ergänzt sich mit dessen erkenntnistheoretischer Seite zu
dem Ziel der Menschenbildung im platonischen Sinn, der naiöeta.

40) Die Nachweise bei E. C a s s i r e r, Individuum u. Kosmos i. d. Philosophie
d. Renaissance. Lpz. 1927. S. 50.

«) Q. Bertoni, Vecchio e nuovo umanesimo. Arch. Rom. XXIII (1939), S. 136.
 
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