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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Der Symbolwert des Historischen in der Baukunst unserer Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0170
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G. F. HARTLAUB

gestellt hatte und wo keinerlei gefühlsbetonte Erinnerungen dem Ingenieur
sein Konzept beeinträchtigen konnten, die Fabrik mit ihrer Massen-
erzeugung unserer Oebrauchsgüter: sie schien die eigentliche Keimzelle
der zeitgemäßen Architektur-Sprache bilden zu sollen — dasselbe also,
was der Tempel bei den Griechen, die gotische Kathedrale im 14. Jahr-
hundert, der Adelspalast im 16., das Schloß im 18. gewesen war. Von hier
aus glaubte man auch die große Frage nach dem neuen einheitlichen,
allein unserem Zeilalter Ausdruck gebenden Stil gelöst zu haben.
Der neue technoide Stil war, wenn dies auch selten so programmäßig
ausgesprochen worden ist, ein „Fabrik-Stil". Die ökonomische Sachlich-
keit, bei welcher das Gießen von Wänden, das serienhafte Montieren von
Bauteilen, das kollektive Denken in ganzen Baublocks mehr und mehr an
die Stelle des alten Fügens und Gestaltens trat und die sich in ihrer ganzen
Erscheinung mehr der Apparatur und dem Maschinenwesen unserer Zeit
anpaßte als der traditionellen Baukunst (die berüchtigten sogen. „Wohn-
maschinen"), versuchte mit ihrer konstruktivistischen Sprache (zu der
die sogenannte abstrakte Malerei so etwas wie eine neue Formsymbolik
und Proportionslehre bereit zu stellen suchte, mehr oder weniger auch
alle anderen Aufgaben der Zeit in die Hand zu bekommen, sogar die
bürgerlich-privaten.

Diese Bewegung, die naturgemäß in der Republik der Nachkriegszeit
einen üppigen Nährboden fand und der nicht selten eine bestimmte gesell-
schaftskritische Haltung entgegenkam — sie ist bekanntlich seit dem
Durchbruch einer völlig entgegengesetzten Erkenntnis vom Sinn der
menschlichen Gemeinschaft in großen Teilen Europas zurückgedämmt
worden, während jene ältere traditionalistische Moderne dem neuen Wol-
len in Deutschland wesentliche Anknüpfungspunkte bieten konnte: man
denke nur an die folgerichtige Entwicklungslinie, die von einem Troost,
selber Repräsentant der genannten Generation, bis zu einem Albert Speer
und den anderen Vertretern der Architektur im Dritten Reiche führt. In
manchen anderen Ländern hat sich dagegen die radikale Bewegung weiter
fortzubilden versucht. Wer die Entwicklung des letzten Jahrzehntes etwa
in Holland, Schweden, vor allem auch in der Schweiz verfolgen konnte
(den besten Überblick bot hier die Züricher Landesausstellung 1939), wird
feststellen müssen, daß allerdings das sogenannte „Neue Bauen", vielleicht
unter dem Eindruck der verschärften kritischen Stimmen aus dem Aus-
lande, in einen anderen Entwicklungsabschnitt eingetreten ist. Manche
Kinderkrankheiten, manche allzu herausfordernde und starr dogmatische
Züge der Sturm- und Drangjahre konnten überwunden werden. Wohn-
maschinen und Fabrikkirchen breiten sich kaum mehr in alter beleidigen-
der Nacktheit aus. Man kann auch schwerlich noch von einer rein tech-
noiden Formbestimmtheit reden, denn die Gestaltungen des modernen
 
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