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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 34.1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.14215#0280
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266

BESPRECHUNGEN

die geistes-geschichtliche Situation für die Erklärung dieser Gleichheiten wird heran-
gezogen werden müssen, könnte m. E. hier wohl gefragt werden.

Im vierten Teil des Buches, der Skizze geblieben ist, beschäftigt sich Sedlmayr
mit der historischen Stellung Borrominis. Die architektonischen Werke des Künst-
lers entstehen seit 1630 in der großen Epoche der Säulenordnungen, die von ca.
1440 bis rund 1790 reicht. Im Gegensatz zur Antike, wo die Säulen eine konstruk-
tive Rolle spielen und also nicht weggedacht werden können, haben sie hier eine
konstitutive Bedeutung; sie könnten auch durch andere Gliederungselemente ersetzt
werden. Innerhalb dieser so gekennzeichneten großen Epoche lassen sich vier Typen
der „projektiven Struktur" unterscheiden: d. h. projiziert man eine durch Säulen-
ordnung gegliederte gerade Fläche auf eine andere, auch konkave, konvexe oder ge-
schwungene, so ergeben sich folgende Möglichkeiten: 1. Die im Objekt vorhandene
harmonische Struktur wird in der Projektion bewahrt, was in der klassischen Kunst
stets der Fall ist. Es entspricht diesem Typ die Renaissance als Stilepoche. 2. Die
im Objekt vorhandene harmonische Struktur geht in der Projektion verloren; dieser
Typ läßt sich seit 1630 beobachten und entspricht der Stilstufe des Hochbarock.

3. Die im Objekt vorhandene harmonische Struktur geht für eine oder mehrere
bestimmte Standpunkte in eine andere harmonische Struktur über (Doppelstruktur);
dieser Typ herrscht um 1690 vor, und ihm entspricht die Stilstufe des Spätbarock.

4. Im Objekt selbst ist keine harmonische Struktur vorhanden, sie besteht nur für
eine oder mehrere Projektionen, ein Typ, der sich fast ganz auf die Theater-Archi-
tektur beschränkt. In diesem System hat das Frühbarock keine Entsprechung. Seine
Bauten fallen unter Typ 1, es geht aber hier (wie das Beispiel der Laurenziana-Vor-
halle zeigt) bei der Projektion die Staffelung der Struktur in verschiedene Tiefen-
schichten und der veränderte Ausdruckscharakter verloren.

Daß das „Frühbarock" unter den beiden eigentlichen barocken Typen der pro-
jektiven Struktur keinen Platz findet, sondern vielmehr dem Renaissancetyp ent-
spricht — abgesehen von der Tiefenstaffelung und dem neuen Ausdruckscharakter
— scheint m. E. ein Beweis dafür zu sein, daß auch die Architektur der Zeit von
ca. 1520—1620 eben nicht eine frühbarocke ist. Wenn Sedlmayr im folgenden sagt,
daß Manierismus „nach den bisher in den Vordergrund gestellten Eigenschaften:
dem projektiven Verhalten' und dem Verhältnis von Teil und Ganzem durchaus
unter den Typus des Frühbarock fällt" (S. 152) und Manierismus und Frühbarock
einfach gleichsetzt, so scheint mir dies verfehlt. Wenn dann weiter vom Manieris-
mus ausgesagt wird, daß er im Prinzip seiner Struktur dualistisch sei und mit
einem offenen Gegensatz zwischen den verschiedenen Teilen und Schichten seiner
Gebilde arbeite, steht auch diese richtige Aussage im Widerspruch zu dem Vorher-
gehenden1). Es kommt daher zu der Auffassung, der Manierismus sei eine Abart
des Frühbarock, wie das Rokoko eine Unterart des Spätbarock (S. 154). Demzufolge
bleibt weiter fraglich, ob, wie Sedlmayr meint, die Architektur Borrominis keine
tieferen Beziehungen zur manieristischen Architektur habe, wenngleich sie viele
Details übernommen habe.

Die historische Stellung der Architektur Borrominis wird auf Grund der Typen
der projektiven Struktur bestimmt. Borromini erscheint neben Bernini und Cortona
als Begründer des Hochbarock. „Borrominis Architektur ist schlechthin konstitutiv
für breiteste Arme der ganzen Folgezeit. Besonders für den deutschen Spätbarock
und — in ganz anderer Weise — für das Rokoko"! (S. 159).

x) Zur Architektur des Manierismus vgl. das hier S. 197 ff. besprochene Buch
von Hans Hoffmann: Hochrenaissance, Manierismus, Frühbarock, Die italienische
Kunst des 16. Jahrhunderts. Zürich-Leipzig 1938.
 
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