Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

DOI article:
Schroers, Heinrich: Studien zu Giovanni da Fiesole, [2]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0153

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
241

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

242

das, was die äufsere Umhüllung für die Pflanze
in ihrer Blüthe ist." Hier hört freilich, wie er
hinzufügt, die Zuständigkeit der gewöhnlichen
„Kenner" auf: „Der Mystizismus ist für die
Malerei, was die Extase für die Psychologie
ist."44) Rio war zu sehr Historiker, als dafs er
den Mönch von Fiesole als ganz vereinzelte
Erscheinung und ohne geschichtliche Verbindung
aufgefafst hätte. Von den älteren Sienesen und
dem Florentiner Cimabue anhebend und von
dem Einflusse der grofsen Bettelorden gelenkt,
sieht er einen Strom kirchlicher Kunst durch
das XIV. und XV. Jahrh. gehen, aus dem sich als
die mystische Schule im engern Sinne die Zeit
von Lorenzo Monaco bis Benozzo Gozzoli erhebt.
Der geniale Geschichtschreiber der christ-
lichen Kunst konnte in seinem grofsen Werke
für die Auffassung Fiesoles nur die Umrifs-
linien bieten und die Richtpunkte angeben.
Ihnen zu folgen und das Bild auszuführen,
wäre Sache der Einzelforschung gewesen. Doch
diese blieb aus. Wohl weckten seine über-
raschenden Gedanken in den Reihen der katho-
lischen Romantiker Frankreichs und Italiens
entzückten Wiederhall, doch dieser klang rhe-
torisch aus in die Wiederholung des Schlagwortes
„Mystik", nicht in weiterdringendes Studium.
Montalembert45) widmete als tiefgläubiger Christ
und feuriger Redner dem „gröfsten christlichen
Maler", dem „Nee plus ultra der christlichen
Kunst", dem Meister der „frommen und ritter-
lichen Poesie"46) einige prächtige Apergu's, kam
indefs über die Linie der gewöhnlichsten Sym-
bolik und die Wiedergabe subjektiver Eindrücke
nicht hinaus.47) Am ehesten wäre Vincenzo

44) A. F. Rio »De l'art chr&ien« 2. ed. (Paris 1874),
II, 271, 277, 282. Die erste Auflage erschien seit 1836.

45) »De la peinture chre'tienne en Italie, ä l'occa-
sion du livre de M. Rio« (1837). — »Notice sur le
bienheureux frere Angelique de Fiesole« (1838—1839).
Beide wiederabgedruckt in »Oeuvres« (Paris 186 ) VI,
78—143, 328-337.

«) Ebendas. VI, 105.

") Einmal (VI, 9.H, N. 2) versucht er, die musi-
zirenden Engel auf den Madonnenbildern auf eine
(aus zweiter Hand geschöpfte) Augustinusstelle zurück-
zuführen. Das ohne Quellennachweis gegebene Citat
ist jedoch unzweifelhaft unecht. — Für seine Art mag
die oft wiederholte Schilderung der Kreuzabnahme ein
Beispiel sein: „Oh quelle surabondance de l'amour de
Dieu, d'immense et ardente contrition devait avoir
ce eher fra Angelico le jour oü il a peint cela! Comme
il aura me'dite' et pleure' ce jour-lä, dansle fond de sa
petite cellule, sur les souffrances de notre divin Maitre!"
Und seine Empfindung zum Gebet steigernd: „Ohl

Marchese,48) auch er Dominikaner und Sohn
des Conventes von S. Marco, berufen gewesen,
den Fäden nachzugehen, die in die innerste
Seele des Künstlers führen. Allein, so grofs
auch seine Verdienste um die Aufhellung der
Lebensgeschichte sind, so bewegt er sich doch
mit seiner kunsthistorischen und ästhetischen
Würdigung blofs auf den Spuren Rios, ja schwächt
dessen Ideen bedeutend ab. „Mystisch" hat bei
ihm nur mehr die Bedeutung „fromm", ist nur
der Ausdruck für eine „tiefe religiöse Empfin-
dung"; die Quellen sind Schrift, Väter und Le-
genden; der Zweck ist, „das Gemüth anzuregen
und zu belehren".49) Zwar wirft er einmal die
Bemerkung hin, dafs den Gedanken Angelicos
so gut wie denen Dantes die Theologie des
hl. Thomas „Blut und Farbe" gegeben habe,50)
verfolgt ihn aber nicht weiter. Marchese war
ein feiner Geist und glänzender Schriftsteller
aber kein methodischer Forscher. Noch weniger
war dies Cartier. Mit überquellender Bewun-
derung spricht er von der mystischen Ver-
einigung und Extase, von der Tiefe der Theo-
logie, die aus den Bildern des Dominikaners
entgegenleuchte. Doch wo er ihren Ideengehalt
aufzeigen will, geräth er auf Gemeinplätze oder
Plattheiten. So sieht er auf den Tafeln der
Annunziata in der Entkleidung Christi eine Be-
raubung der Kirche durch das Schisma, und in
den beiden Soldaten die zwei Gegenpäpste dar-
gestellt. In dem Sudarium am Bischofsstabe
des hl. Chrysostomus im Vatikan findet er den
„Schweifs seines arbeitsreichen Episkopates" aus-
gedrückt. Bei dem auf dem Krönungsbild der

oui, l'eutratnement de l'amour, c'est la ce que je sou-
haite, ce que j'ose vous supplier de m'aecorder, apres
avoir vu toutes les oeuvres de votre peintre. D'autres
y voienl simplement des oeuvres d'art; moi, j'y aurai
puise, je le sens, d'ineffables consolations, de profonds
enseignements." (»Du vandalisme« p. 97 suiv., bei
Cartier »Vie de Fra Angelico« p. 230.)

4S) »Memorie« (vergl. oben Anm. 7). — „Sunto
storico del Convento di San Marco di Firenze" (»Scritti
vari« vol. I, Firenze 1860). — »Dei Puristi e degli
Accademici. Lettera a Cesare Guasti« (ib. II, 385 sgg).

49) »Scritti vari« II, 401. »Memorie« 1. 2, c. 5, 6
(I, 263, 286).

»») »Memorie« 1. 2, c. 4 (I, 242). — Zur Ver-
gleichung mit Montalembert (oben Anm. 47) sei hier
angeführt, was er über die Kreuzabnahme sagt: „Le
belezze di cui splendono, sono cos! remote dai sensi,
cos! improntate di un'estasi divina, che la eloquenza non
ha vocaboli a ben significarle. E un armonia Celeste
che inebria l'anima di santa ed ineffabile voluttä" (1. 2,
c. 7, p. 308.) Er sowohl als Montalembert lassen sich
auf eine Analyse des Gedankeninhaltes nicht ein.
 
Annotationen