Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

DOI Artikel:
Schroers, Heinrich: Studien zu Giovanni da Fiesole, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0154

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
243

1898.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

244

Offizien der Krone Marias eingefügten Edel-
steine, dessen wirkliche Bedeutung er nicht zu
kennen gesteht, möchte er gar an das Dogma
der unbefleckten Empfängnifs denken!51)

Abgesehen von einigen populären Nach-
züglern,52) die grofse Worte verständnifslos
nachsprechen, ist die Betrachtungsweise Rios
aus der heutigen französischen Kunstwissen-
schaft verschwunden. Die Einseitigkeit, zu der
ihr blinder Hafs gegen Antike, Renaissance und
Realismus sie verurteilte, und in der man sich
nicht scheute, vom „Sündenfall Rafaels"53) zu
sprechen, hat sie unfruchtbar gemacht. Man
sah die in so hervorragendem Maafse gedanken-
reichen Bilder des „englischen" Malers, ob-
schon noch hie und da die Ausdrücke „Mystik"
oder „aszetisches Ideal" fallen, wieder ausschliefs-
lich aus dem Gesichtspunkte der Formgebung
an. Eugene Müntz, den es wichtig genug dünkt,
dem ersten Vorkommen einer jonischen Säule
auf toskanischen Gemälden nachzuspüren, ist
glücklich, den hartnäckig am Alten festhalten-
den Mönch wenigstens in seinen letzten Lebens-
jahren dabei zu überraschen, wie er — ver-
meintlich — „auf den Altären des griechischen
und römischen Genius opfert": das gröfste von
Rom gewirkte Wunder der Bekehrung.54) Gleich-
wohl ist Fiesole, „der Hauptstreiter iür die echte
religiöse Ueberlieferung", nur ein seltsamer
Spätling in der vollen Herrlichkeit der Renais-
sance.55) Nach der Meinung von Charles Blanc
enthält Giotto im Keime die ganze italienische
Malerei: den „Naturalismus und das Ideal, das
Symbol und das Porträt". Die eine Richtung
wird durch Masolino, Masaccio und Lippi
weitergeführt. Die andere, in Dantes Platonis-
mus ruhend, ist durch Fiesole vertreten, der
das Studium der Natur für „Thorheit und Sünde"
ansah und den Formen Giottos das noch be-
nahm, was sie „Individuelles, Besonderes, Posi-
tives" hatten.56) Viel richtiger und eindringen-

5I) »Vie de Fra Angelico da Fiesole de l'ordre des
Freres Precheurs« (Paris 1857) p. 117 suiv. 140, 167,
193, 320, 237.

s2) z. B. L. Viardort »Les merveilles de Ja pein-
turec 2. ed., I^res6rie(Paris 1870) p. 99 suiv. — Ch. Yr i -
arte .FJorence« 2. e"d. (Paris 1881), fol. p. 347 suiv.

53) Montalembert »Oeuvres« VI, 112 suiv.

54) »Les Precurseurs de la Renaissancec (Paris et
Londres 1882) 4°, p. 99, 101—103.

55) »Histoire de l'art pendant la Renaissance«
(Paris 1889) 4°, I, 651, 664.

56) » Histoire de la Renaissance artistique en Italic« Re-
viseeet publiee par M.Faucon (Paris 1889), I, 337 suiv.

der fassen Crowe und Cavalcaselle ihn in der
Formensprache als letzte Vollendung der durch
Giotto und Orcagna gegebenen Richtung auf,
fühlen auch den eigenthümlich religiösen Geist,
der aber nicht verschieden sei von demjenigen,
welcher auch die Werke eines Lorenzo und
Traini belebte.57)

In Italien hatten sich von Anfang an Stim-
men gegen die Beurtheilung der französischen
Romantik erhoben und sogar einen leidenschaft-
lichen Ton dagegen angeschlagen. Man sprach
von einer „gefährlichen Neuerung", von „Heuch-
lern und Fanatikern".58) Am eingehendsten
hat jüngst Domenico Tumiati diesen Stand-
punkt vertreten. Den Maler auf „einen Lehr-
stuhl der dogmatischen Theologie" setzen und
ihn nach der „Gründlichkeit seiner Vorlesungen
und der Menge der vergossenen Thränen"
schätzen, heifst nach ihm sich das Verständnifs
verschliefsen. Blofs aus den Linien und Farben
ist sein innerstes Wesen und dessen „heidnische
Wurzel" zu erkennen. Ein Sprofs der altetrus-
kischen Kunst und genährt an der Volksseele,
ist Fiesole der Mann des kühnen Fortschrittes
in Technik und Formgebung, und der Vorläufer
Michel Angelos geworden.59,) Die „Schmierereien"
(porcherie) der Bicci galten als der wahre
Typus der kirchlichen Kunst, nicht Angelicos
Werke.60) Freilich sieht sich Tumiati zur Er-
klärung der Malereien schliefslich doch wieder
genöthigt, auf die verhafste Mystik zu kommen,
greift aber dabei völlig fehl, indem er in den
Gesichten der seligen Angela von Foligno den
„Kommentar" entdeckt.61) Der letzte Darsteller,

51) »A new History of the Painting in Italy from the
second to the sixteenth Century« (London 1884) I, 565
bis 569. Spätere Ausgaben waren mir nicht zugänglich.

M) Marchese »Memorie« I, 263.

M) »Frate Angelico. Studio d'arte (Firenze 1877),
p. 9 sg., 98, 110, 203. Schon vorher hatte John
Ruskin, der ästhetische Prophet der englischen Prä-
rafaeliten, eine ähnliche Auffassung geäufsert (»Val
d'Arno« [London 1890] p. 226—227).

60) p. 118. Vergl. dagegen ob. A. 2.

61) p. 83 sgg. Nirgends hat Tumiati einen fafs-
baren Zusammenhang aufzuzeigen auch nur ernstlich
versucht. Die Mystik derFranziskarierin des XHIJahrh.,
die vollständig in die Gedanken: Armut, Verachtung,
Schmerz aufgeht und so stark das körperliche Leiden
des Heilandes betont, steht geradezu im Gegensatze
zu dem Paradiesesfrieden des Dominikaners. Zwischen
beiden liegen zudem anderthalb Jahrhundert mystischer
Entwickelung. Auch ist eine Bekanntschaft Angelicos
mit den Schriften Angelas durch nichts wahrschein-
lich zu machen.
 
Annotationen