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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Steinbrecht, Conrad Emanuel: Die Gastkammern im Hochmeisterschloß zu Marienburg i./Pr.
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0160

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255

1898.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTUCHE KUNST — Nr. 8.

256

Thüren und Fenster sind in den Beschreibungen
so genau angegeben, dafs man den Baurifs darnach
fertigen kann. Dafs es sich um Anlagen aus
der Ritterzeit handelt, geht aus dem Inventar
von 1556 hervor, wo sonst alle Zusätze aus
nach-hochmeisterlicher Zeit besonders erwähnt
werden. Als andrerseits die heutige Wieder-
herstellung einsetzte mit der Beseitigung der
Speichereinbauten, des Wandverputzes und der
späteren Vermauerungen, kamen die Konstruk-
tionsreste zweier grofsen Säle zum Vorschein.
Der eine hatte 8 Gewölbjoche und 7 Pfeiler, —
war mäfsig hoch, aber sehr weitachsig. — Der
andere Saal zeigte sieben etwas engere Felder
und dem entsprechend 6 Pfeiler. Seine Höhen-
verhältnisse waren beträchtlich und die Fenster
in 2 Reihen übereinander angeordnet. Den
Höhen der Säle entsprachen die beiden Ab-
schnitte des langen Vorflures.

Läge nicht aus der Ordenszeit jene Nachricht
von den „Kammern" vor, so wäre nach dem
Befund nichts anders möglich, als an zwei grofse
Säle zu denken. Die Architekten Gilly und
Rabe müssen 1793 die vermauerten Saalsäulen
gesehen und daher die eingebauten Wände für
unberechtigte Zusätze gehalten haben. Dafs die
Granitsäulen damals in der Vermauerung wirk-
lich sichtbar waren, verrät ein später aufgefundener
Baurifs, welcher sich mit den für die Magazin-
einrichtung vorzunehmenden baulichen Ände-
rungen befafet, und dabei Befund und Entwurf
anschaulich gegenüberstellt. In der Befund-
zeichnung sind Säulen in den Zwischenwänden
ausdrücklich angegeben.

Wenngleich aber der ursprünglichen Anlage
nachträglich eingefügt, stammen die Zwischen-
wände doch nicht erst aus der Polenzeit, sondern
schon aus der Ordenszeit, denn sie stehen auf
Bogen gothischer Struktur, welche im Unter-
geschofs zwischen Wand- und Pfeilerfundament
gespannt und dank der Schuttanhäufung beim Ab-
bruch erhalten geblieben sind. Ebenso erkennt
man die Marken der jetzt fehlenden Zwischen-
wände noch an den stehengebliebenen Längs-
mauern, und diese Marken entsprechen genau den
im Mittelalter üblich gewesenen Ziegelmaafsen.

Diebeiden entdeckten Säle, in ihrer ursprüng-
lichen Gestalt wieder eingewölbt, geben schöne,
stattliche Verhältnisse, und können sich mit
den übrigen Remtern im Schlosse messen. Sie
zeugen von einer zielbewufsten Bauart und doch
ist sicher, dafs der Erbauer bereits während
der Ausführung eine Zerlegung in Zellen be-

absichtigte, denn die Gewölbeanfänger der Säle
sind, im Gegensatz zu dem ausgesuchten Konsol-
schmuck des Flures, ganz schlicht geformt und
die Höhenzweitheilung bei den Fenstern des
Sechspfeilersaales zielt schon auf Einfügung von
Zwischendecken. Endlich hat der diesem Theil
zugehörige Dansker gleich ursprünglich 2 Ge-
schosse erhalten und zwei Eingänge übereinander.
Wie hat man sich den ganzen Bauvorgang
des Nähern zu erklären?

Es geht aus den Eintragungen des Trefsler-
buchs hervor, dafs die weltlichen Gäste in der
Vorburg oder in der Stadt in Herberge lagen,
dafs die Gastkammern des Mittelschlosses aber
den von auswärts anwesenden Ordensgebietigern
vorbehalten blieben. Die Ordensbrüder sollten
nach dem Statut gemeinsame Schlaf häuser haben.
Auch auf der Reise sollten die Brüder sich
nicht vereinzeln, sondern mindestens zu zweien
reisen und schlafen. Folgerecht mufste auch das
Gasthaus für die Ordensangehörigen im Haupt-
ordenshaus die Gestalt einheitlicher Säle haben.
Solche Massenquartiere hatten aber ihr mifs-
liches und mufsten bei den Anforderungen der
Reise und bei den bisweilen anstrengenden
geistigen Aufgaben unerträglich werden. Um
erst mal den Ordensvorschriften zu genügen,
baute man wohl zunächst das Gästehaus in Ge-
stalt weiträumiger Dormitorien: war aber das,
was man jetzt polizeiliche Bauabnahme nennt,
(wir haben Visitationsprotokolle über die Zustände
in den Ordenshäusern) vorüber, dann sind nach
Bedarf — vielleicht erst in Holz dann in Stein —
die Zwischenwände eingefügt, welche eine ge-
trenntere Unterkunft ermöglichen. Ein ähnlicher
Vorgang liegt z. B. in dem grofsen Wohn- oder
Schlafsaal im Cisterzienserkloster Eberbach
i./Rheingau vor: Auch dort sind nachträglich
— und ziemlich unorganisch — Zellen an beiden
Fensterseiten • des Saales eingebaut: der Art,
dafs die Mittelstützen des ursprünglich einheit-
lichen Raumes jetzt in einem Mittelflur stehen.
Bei der heutigen Wiederherstellung der
Marienburg dürfen wir die späteren mittelalter-
lichen Trennungswände weglassen, und die erste
Grundidee festhalten. Wie dieser Bau mit seiner
grofs gegliederten äufseren Architektur dem
Palasthof einen monumentalen Abschlufs gibt,
so werden die neu gewonnenen Remter im
Gefüge der Palasträume einen wirksamen Ein-
druck machen und zu erhöhter repräsentabler
Verwendbarkeit des Schlosses beitragen.

Marienburg. c. Steinbrecht.
 
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