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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Prill, Joseph: In welchem Stile sollen wir unsere Kirchen bauen?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0170

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269

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST _ Nr. 9.

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zum Bewufstsein gekommen. Jedenfalls war
aber in den Zeiten des Wechsels, der bis
dahin herrschende Stil keine Macht, der man
sich nicht hätte entziehen können; die Künstler
haben sich ihm entzogen und haben selbst
die Herrschaft eines andern herbeiführen hel-
fen. — Für die richtige Schätzung der Stile
ist indessen die Frage, ob die alten Meister
über Stil und Stilwechsel reflektirt haben, gänz-
lich ohne Belang, werthvoll dagegen ist es,
die thatsächlichen Gründe ins Auge zu fassen,
welche den Stilwechsel vorbereitet und die
damaligen Meister dem neuen Stil zugeführt
haben. Und da zeigt sich denn zwischen dem
Uebergang zur Gothik und jenem zur Renais-
sance ein ganz merkwürdiger Unterschied, ja
man darf sagen geradezu ein Gegensatz.

Den erstem können wir kennzeichnen mit
einem Worte aus Kraus »Geschichte der christ-
lichen Kunst« II 1, S. 158 (im Anschlufs an
Gonse, »l'art gothique«). „Die Gothik ist,
historisch genommen, nur eine Kunst mit der
romanischen; beide bilden zwei Phasen der-
selben Existenz. Die Gothik hat die romanische
Kunst nicht unterdrückt oder erstickt, sie ist
im Gegentheil die höchste Entwickelung und
Vollendung derselben, ihre letzte Konsequenz."
Die ganze Entwickelung des romanischen Stils
drängte geradezu zur Gothik hin, und „die
gothische Kunst ist entschieden diejenige, zu
welcher die franko-germanischen Völker des
nördlichen Europa prädestinirt erschienen"
(a. a. O. S. 155). Ihren Ausgang nahm die
Romanik von den auf deutschem Boden er-
richteten römischen Bauten. Die schon durch
das Material geforderten Umbildungen wurden
für den scharfen Blick und den erwachenden
Kunstverstand unserer Vorfahren der Anlafs zu
einem rastlos arbeitenden Kunststreben, dessen
Ergebnifs zunächst der romanische Stil war.
Man würde indefs irren, wollte man unter
romanischem Stil ein einheitliches festge-
schlossenes System verstehen, er ist nur eine
Summe von gemeinsamen, charakteristischen
Merkmalen, durch welche sich die Werke
dieser Epoche von denen anderer Zeiten deut-
lich unterscheiden (vergl. Springer »Handbuch
der Kunstgeschichte« II, S. 82). Bei den flach-
gedeckten sächsischen Kirchen tritt uns in der
wesentlichen Konstruktion die römische Ba-
silika entgegen, aber in der Chorgestaltung,
in dem Stützenwechsel, in der Ausbildung des

Ornaments wirkt ein neuer germanischer Geist.
Anderswo, wo die römische Basilika zur Pfeiler-
basilika geworden war, und die Wölbekunst
zur Bedeckung der Räume herangezogen wurde,
nahm die Entwickelung einen andern und
rascheren Verlauf. Neben der monumentalen
Gröfse wurde auch eine gewisse konstruktive
Vollendung und architektonische Gliederung
erreicht. Vor allem gilt das von den mäch-
tigen und ehrwürdigen mittel rheinischen Domen
zu Worms, Speier und Mainz. Aber gerade
sie zeigen uns auch, wie vor allem der Fort-
schritt in der Konstruktion den Meistern am
Herzen lag. Noch weiter als hier ist die
Lösung des Wölbeproblems in der um 1156
vollendeten Abteikirche zu Laach gediehen, und
weiter konnte sie auch innerhalb des romanischen
Stils nicht mehr geführt werden. Volle Befriedi-
gung gewährten indefs alle diese Bauten nicht;
sowohl in ästhetischer wie praktischer Beziehung
suchte man nach gröfserer Vollendung.

Diese war unterdessen in den westfrän-
kischen Ländern schon erreicht. Während
man Laach einweihte, stand dort schon ein
neues Bausystem, ein eigentliches System fertig
da, wenn auch sein Gewand noch einige Schwer-
fälligkeit zeigte. Dort wo der romanische Stil
weniger gepflegt worden, seine Formensprache
demnach die Künstler weniger beherrschte,
hatte jener selbe germanische Kunstverstand
der aus dem römischen den romanischen Stil
gemacht hatte, in weiterem Durchdringen der
überlieferten Kunstformen das gothische Bau-
system gezeitigt. Das Rippengewölbe ist der
Kern dieses Systems; das in ihm zur Geltung
gekommene Gliederungsprinzip ergriff nach
und nach alle Bauglieder und gestaltete sie in
einheitlicher Weise um, und zuletzt folgte das
Ornament, bei dem man ebenfalls die antike
Tradition gänzlich überwand und der Natur
selbst die Formen ablauschte. Das germanische
Element war zum vollständigen Siege gekommen.

Sollte man in andern Gegenden diesem
Fortschritt sich verschliefsen? Begierig wurde
jede Vervollkommnung der Konstruktion auf-
gegriffen, während dem Ornamente weniger Ge-
wicht beigelegt wurde. So entstanden denn
neben romanischen Basiliken gothische Kirchen,
so der herrliche Halberstädter Dom neben der
romanischen Liebfrauenkirche, so die wunderbar
reine und schöne Architektur der Elisabeth-
kirche zu Marburg, so neben dem Trierer Dom
 
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