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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Prill, Joseph: In welchem Stile sollen wir unsere Kirchen bauen?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0171

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271

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

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die Liebfrauenkirche. Dort aber, wo der
romanische Stil seine höchste Blüthe erreicht
hatte, griff man zwar ebenso begierig das
gothische Bauprinzip auf, suchte aber die ge-
wohnte und liebgewonnene Formengebung der
Romanik damit zu verbinden. So nahm aller-
dings, wie Keppler hervorhebt, Deutschland
erst durch den Uebergangsstil von der Ro-
manik Abschied. Aber der Uebergangsstil ist
schon eine Anerkennung der Gothik, er ist
kein vorbereitendes Glied in der Bauentwicke-
lung, sondern ein Kompromifs zwischen Gothik
und Romanik, bei welchem die Meister wohl
noch nicht erkannten, dafs schliefslich doch
der neuen Struktur auch die Formgebung und
Detailbildung folgen müsse.

Wie ganz verschieden hiervon ist der Ueber-
gang von der Gothik zur Renaissance.

Bis in die letzten Zeiten der Gothik hin-
ein hat man durchaus kein Bedürfnifs nach
neuer vollkommnerer Konstruktion oder For-
mengebung gefühlt. Die Meister freuten sich
ihres Stiles und gaben sich wohl häufig einem
launenhaften Spiel mit den Formen hin, welche
sie so sehr beherrschten. Da drang von der
Fremde her, aus Italien, die Renaissance ein;
nicht als Bauprinzip, sondern als Ornament;
man griff sie nicht begierig auf, sondern sträubte
sich in der Baukunst gegen sie, bis sie alle
andern Gebiete bereits erobert hatte. Zunächst
drang sie in die Malerei und Bildhauerei ein.
Wesentlichen Vorschub leistete ihr der Holz-
und Kupferstich, durch welchen billige Dar-
stellungen weit verbreitet und so die Renais-
sanceformen eingebürgert werden konnten.
„Das flache Renaissanceornament erobert sich
rasch eine allgemeine Beliebtheit und erfreut
sich der mannigfachsten Verwendung. Maler
schmücken den Hintergrund der Bilder gern
mit italienischen Säulenstellungen, Bildhauer,
versuchen sich in der Wiedergabe der „Putti",
der reizenden Kindergestalten, in deren
Schöpfung die Renaissance unermüdlich ist.
Die Vorlagen für Kunsthandwerker erscheinen
gleichfalls reich an Renaissancemotiven und
lenken die Dekoration in die Wege des neuen
Stiles. Zuletzt erst folgt der Bewegung
die Architektur. Ihr Weg beschreibt eine
förmliche Kurve. Anfangs werden die dekora-
tiven Formen der oberitalienischen Renaissance-
kunst treu wiedergegeben und Bauten errichtet,
welche vollständig den italienischen Charakter

an sich tragen. Seit der Mitte des XVI. Jahrh.
treten zahlreiche Kräfte selbstständig auf und
bemühen sich durch eine eigenthümliche Orna-
mentik den neuen Stil mit der heimischen
Empfindungsweise eng zu verknüpfen. Gegen
Ende des Jahrhunderts gewinnen die italieni-
schen Vorbilder wieder neue Macht. Doch
stehen die Künstler zu ihnen nicht mehr in
einem naiven Verhältnisse; sie erfreuen sich
nicht blofs an der feineren Formensprache,
sondern handeln nach theoretischen Grund-
sätzen. Die Geschichte der Renaissancekunst
zählt also drei deutlich geschiedene Perioden.
Aber auch innerhalb einer jeden Periode fehlt
es an einer geschlossenen Einheit oder selbst
an der Gleichmäfsigkeit der Formenbehandlung.
Zur Erklärung dieser Erscheinung mufs zu-
nächst der Umstand herangezogen werden, dafs
die Renaissance in vielen Fällen nur für die
dekorativen Formen zur Anwendung kommt,
während der Grundrifs und die konstruktive
Gliederung an dem altheimischen, gothischen
Herkommen festhält" (Springer »Handbuch
der Kunstgeschichte« IV, S. 193). Und diese
gothische Struktur wurde zum Theil selbst
dann noch festgehalten, als die eigentliche
Renaissance schon begraben war.

Dort also, beim Uebergang zur Gothik,
wird „die Ueberlieferung nicht aus Willkür
und Laune verlassen, sondern in logischer und
konsequenter Befolgung des einmal zu Grunde
gelegten Prinzips" (Kraus, a. a. 0., S. 159), hier,
beim Uebergang zur Renaissance, dringt eine
fremde Form ein und gewinnt Macht durch
ihre äufserliche Verbreitung, aber während die
Architektur sich ihr beugen mufs, sucht sie
doch den alten gothischen Kern noch zu retten.

Bedenklich ist es für die Gothiker demnach
nicht, die beiden Vorgänge einander gegen-
über zu stellen, vielmehr kann eine eingehen-
dere Untersuchung wieder von Neuem zeigen,
wie gerade die Gothik am meisten dem ger-
manischen Empfinden entsprochen und durch
ihren inneren Werth sich empfohlen hat, und
wenn man dann recht klar den Zusammenhang
derselben mit dem nationalen Geiste bedenkt
(vergl. Kraus, a. a. O., S. 160), so mufs man
wirklich wünschen, dafs sie wieder in dieselbe
Herrschaft eingesetzt werde, die sie in einer
glänzenden Periode beim deutschen Volke
besafs. (Forts. folgt.)

Essen. Joseph Prill.
 
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