Abhandlungen.
Studien zu Giovanni da Fiesole.
II. Fulget crucis mysterium.
(Mit 4 Abbildungen.)
|ie hl. Katharina hat ihre Theo-
logie in dem „Buche von der
göttlichen Wissenschaft"1) nie-
dergelegt. Es enthält Wechsel-
gespräche mit Christus, dem
sie sich als Braut vermählt fühlte, der sein Herz
mit dem ihrigen vertauscht hatte, und dessen
Blut sie aus der Seitenwunde trank. Sie be-
wegen sich auf der höchsten Höhe der Mystik.
Als einzige Idee leuchtet über dieser Höhe die
Liebe, mit allen ihren Ausstrahlungen bis in
die verborgensten Wege des asketischen Lebens.
Vom Irdischen ragt in dieses Schauen allein
noch hinein „der mystische Leib der heiligen
Kirche", deren „Trübsal"2) die Heilige mit dem
Schmerze und der Sprache eines alttestament-
lichen Propheten schildert. Mit der Welt um
sie her befassen sich die in klassischem Tos-
kanisch geschriebenen 273 Briefe.3) Es sind
wirkliche Briefe, zumeist an Männer und Frauen
des Ordensstandes gerichtet, mit allem Reize
des Persönlichen, aber sie wachsen zu Abhand-
lungen an, nein zu sprühenden Reden von
hinreifsender Gewalt. Hier läfst sich die Mystik
*) »11 libro della divina dottrina«, später unter dem
Titel »Trattato della divina provvidenza« veröffentlicht.
Ich benutze die Ausgabe von Gigli in dem neuen Ab-
drucke der »Opere di S. Caterina da Siena« T. III
(Roma 1866).
2) c. XII pag. 18.
*) »Le lettere di S. Caterina da Siena.« Ed. Nic-
colJ Tommaseo. 4 voll. (Firenze 1860.) — Für
die oben (Sp. 311 — 316) vertretene Auffassung, dafs
die Kreuzestheologie der hl. Katharina den Malereien in
S. Marco zu Grunde liegt, und dafs der hl. Antonin mafs-
gebenden Einflufs darauf hatte, ist das grofse Fresko im
Refektorium vom Jahre 1536 (s. oben Sp. 3001 sehr be-
merkenswerth. Als Erinnerung daran, dafs es an die
Stelle einer Kreuzigung Fiesoles getreten war, wurde
über demselben, in dem Abschlufsbogen der Wand, eine
Kreuzigung gemalt, bei der an den Seiten St. Antonin
und St. Katharina von Siena knien. Man sieht, dafs
diese beiden Heiligen in der engsten Beziehung zu den
Kreuzesdarstellungen Fra Angelicos gedacht wurden.
Die Ueberlieferungen aus jener Zeit waren noch le-
bendig.
der Sienesin hernieder zu den ringenden Seelen
ihrer Freunde.
In allen diesen Briefen bildet das Geheim-
nifs der Passion den beherrschenden Mittel-
punkt, kreisen stets die Gedanken, wie von
Liebesgluthen getrieben, um den Berg des
Kreuzes. Denn jener, der dort erhöht ist am
Holze, ist die Liebe und ist angebunden und
angeheftet durch die Liebe.4) „Im Namen Jesu
Christi des Gekreuzigten und der süfsen Maria.
Ich Katharina, Dienerin und Sklavin der Diener
Jesu Christi, schreibe an euch in seinem kost-
baren Blute." So fangen alle Briefe an, und
ihr Schlufs ist immer der Ausruf „Gesü amore,
Gesü dolce". Sie bezeichnet sich als die „Ge-
fesselte von dem ans Kreuz gehefteten Christus
und von seiner süfsen Mutter Maria".5) Aber
von der hl. Jungfrau und den Geheimnissen
ihres Lebens spricht sie nur in deren Be-
ziehungen zu dem Mysterium des Kreuzes, ganz
so wie Angelico in seinen Bildern. Und wie
dieser mit der einzigen Schönheit seiner Kunst
das Gemüth hinaufziehen und umfangen lassen
will von dem leidenden Gottmenschen, so auch
mit der Gewalt ihrer Beredsamkeit die Mystikerin.
„Steige an das Kreuz mit dem gekreuzigten
Christus, verberge dich in die Wunden des ge-
kreuzigten Christus, folge ihm auf dem Wege
des Kreuzes, mache dich gleich mit dem ge-
kreuzigten Christus, suche deine Wonne in
seiner Schmach, seinem Leiden." 6) „Lasset uns
eingepfropft werden dem fruchtreichen Baume
(des Kreuzes), damit der Meister nicht erhoben
werde (an dasselbe) ohne uns. Lasset uns
nehmen das Band, die Fessel seiner brennend-
sten Liebe, die ihn angeheftet und angenagelt
hielt auf dem Holze des heiligsten Kreuzes."7)
*) Leu. VII (I, 27): „La caritä e quello dolce e
Santo legame, che lega l'anima col suo Creatore ....
Questa caritä inestimabile tenne confitto e chiavellato
Dio-e-Uomo in sul legno della santissima croce." —
Lett. CXLVII (II, 388): (Christus am Kreuze) „co.
stretto solo dal legame della sua ardentissima caritä,
la quäle aveva alla creatura."
5) Lett. XV (I, 58).
6) Lett. LXXIII (II, 64).
') Lett. LXXVII (II, 81 sg.).
Studien zu Giovanni da Fiesole.
II. Fulget crucis mysterium.
(Mit 4 Abbildungen.)
|ie hl. Katharina hat ihre Theo-
logie in dem „Buche von der
göttlichen Wissenschaft"1) nie-
dergelegt. Es enthält Wechsel-
gespräche mit Christus, dem
sie sich als Braut vermählt fühlte, der sein Herz
mit dem ihrigen vertauscht hatte, und dessen
Blut sie aus der Seitenwunde trank. Sie be-
wegen sich auf der höchsten Höhe der Mystik.
Als einzige Idee leuchtet über dieser Höhe die
Liebe, mit allen ihren Ausstrahlungen bis in
die verborgensten Wege des asketischen Lebens.
Vom Irdischen ragt in dieses Schauen allein
noch hinein „der mystische Leib der heiligen
Kirche", deren „Trübsal"2) die Heilige mit dem
Schmerze und der Sprache eines alttestament-
lichen Propheten schildert. Mit der Welt um
sie her befassen sich die in klassischem Tos-
kanisch geschriebenen 273 Briefe.3) Es sind
wirkliche Briefe, zumeist an Männer und Frauen
des Ordensstandes gerichtet, mit allem Reize
des Persönlichen, aber sie wachsen zu Abhand-
lungen an, nein zu sprühenden Reden von
hinreifsender Gewalt. Hier läfst sich die Mystik
*) »11 libro della divina dottrina«, später unter dem
Titel »Trattato della divina provvidenza« veröffentlicht.
Ich benutze die Ausgabe von Gigli in dem neuen Ab-
drucke der »Opere di S. Caterina da Siena« T. III
(Roma 1866).
2) c. XII pag. 18.
*) »Le lettere di S. Caterina da Siena.« Ed. Nic-
colJ Tommaseo. 4 voll. (Firenze 1860.) — Für
die oben (Sp. 311 — 316) vertretene Auffassung, dafs
die Kreuzestheologie der hl. Katharina den Malereien in
S. Marco zu Grunde liegt, und dafs der hl. Antonin mafs-
gebenden Einflufs darauf hatte, ist das grofse Fresko im
Refektorium vom Jahre 1536 (s. oben Sp. 3001 sehr be-
merkenswerth. Als Erinnerung daran, dafs es an die
Stelle einer Kreuzigung Fiesoles getreten war, wurde
über demselben, in dem Abschlufsbogen der Wand, eine
Kreuzigung gemalt, bei der an den Seiten St. Antonin
und St. Katharina von Siena knien. Man sieht, dafs
diese beiden Heiligen in der engsten Beziehung zu den
Kreuzesdarstellungen Fra Angelicos gedacht wurden.
Die Ueberlieferungen aus jener Zeit waren noch le-
bendig.
der Sienesin hernieder zu den ringenden Seelen
ihrer Freunde.
In allen diesen Briefen bildet das Geheim-
nifs der Passion den beherrschenden Mittel-
punkt, kreisen stets die Gedanken, wie von
Liebesgluthen getrieben, um den Berg des
Kreuzes. Denn jener, der dort erhöht ist am
Holze, ist die Liebe und ist angebunden und
angeheftet durch die Liebe.4) „Im Namen Jesu
Christi des Gekreuzigten und der süfsen Maria.
Ich Katharina, Dienerin und Sklavin der Diener
Jesu Christi, schreibe an euch in seinem kost-
baren Blute." So fangen alle Briefe an, und
ihr Schlufs ist immer der Ausruf „Gesü amore,
Gesü dolce". Sie bezeichnet sich als die „Ge-
fesselte von dem ans Kreuz gehefteten Christus
und von seiner süfsen Mutter Maria".5) Aber
von der hl. Jungfrau und den Geheimnissen
ihres Lebens spricht sie nur in deren Be-
ziehungen zu dem Mysterium des Kreuzes, ganz
so wie Angelico in seinen Bildern. Und wie
dieser mit der einzigen Schönheit seiner Kunst
das Gemüth hinaufziehen und umfangen lassen
will von dem leidenden Gottmenschen, so auch
mit der Gewalt ihrer Beredsamkeit die Mystikerin.
„Steige an das Kreuz mit dem gekreuzigten
Christus, verberge dich in die Wunden des ge-
kreuzigten Christus, folge ihm auf dem Wege
des Kreuzes, mache dich gleich mit dem ge-
kreuzigten Christus, suche deine Wonne in
seiner Schmach, seinem Leiden." 6) „Lasset uns
eingepfropft werden dem fruchtreichen Baume
(des Kreuzes), damit der Meister nicht erhoben
werde (an dasselbe) ohne uns. Lasset uns
nehmen das Band, die Fessel seiner brennend-
sten Liebe, die ihn angeheftet und angenagelt
hielt auf dem Holze des heiligsten Kreuzes."7)
*) Leu. VII (I, 27): „La caritä e quello dolce e
Santo legame, che lega l'anima col suo Creatore ....
Questa caritä inestimabile tenne confitto e chiavellato
Dio-e-Uomo in sul legno della santissima croce." —
Lett. CXLVII (II, 388): (Christus am Kreuze) „co.
stretto solo dal legame della sua ardentissima caritä,
la quäle aveva alla creatura."
5) Lett. XV (I, 58).
6) Lett. LXXIII (II, 64).
') Lett. LXXVII (II, 81 sg.).