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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Schroers, Heinrich: Studien zu Giovanni da Fiesole, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0208

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331

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

332

Darum stellte der Frate das Abendmahl, ab-
weichend von der Ueberlieferung der toskani-
schen Kunst, als Spendung der hl. Kommunion
dar. Jesus schreitet am Tische vorbei und reicht
den Aposteln die Speise der Engel und erfüllt
so ihre „heilige Sehnsucht". Jene, die sie schon
empfangen haben, sind mit den Gebärden der
seligsten Verzückung geschildert, die andern
mit dem Ausdrucke brennenden Verlangens.
Aufserhalb der Reihe, zur Seite am Kopfende
des Tisches kniet eine heilige Frau, in der
Haltung ruhiger Betrachtung, die Hände zum
Gebet gefaltet. Ob es die Ekstatische von Siena
selbst ist?29)

Das „santo, grandissimo desiderio", das ihr
immer in die Feder fliefst, macht so sehr den
Grundzug ihrer mystischen, aber von aller quie-
tistischen Verschwommenheit freien Denkweise
aus, dafs es ihr auch in der Person des Gott-
menschen und seinem Opfertode als wesent-
lich erscheint. Sie unterscheidet geradezu eine
„croce del corpo" (die Kreuzigung) und eine
,,croce del desiderio".80) Dieses letztere Kreuz
erblickte sie in einer Vision als das gröfsere
und schwerere. Es begann mit der Empfäng-
nifs im Schoofse der Jungfrau, und die Em-
pfängnifs geschah, als Maria vor dem Engel das
VVort der Einwilligung sprach: „Siehe, ich bin
eine Magd des Herrn." Da ging „die Blume
des süfsen Jesus" auf, die zur Frucht reifte „am
Holze des heiligsten Kreuzes".31) So ist bei
ihr auch die Verkündigung ganz in den Bereich
des Kreuzesmysteriums eingeschlossen. Angelico
hat daher mit feinem Verständnisse der Kreuzi-
gung des oberen Wandelganges gerade gegen-
über den englischen Grufs gemalt, den Beginn
des Kreuzes bei der Vollendung des Kreuzes.

Anfang und Ende des Zwiegespräches, das
der Erzengel mit Maria hatte, die Ankündigung

mensa della santissima croce." Vgl. auch lett. XI,
LXXIV, C, CCVII, CCCXX1X, CCCXLV (I, 40; II, 64,
189; 1H, 163; IV, '258, 338).

29) Gewöhnlich erklärt man diese Figur für die
Madonna. Vgl. oben Sp. 312 Anm. 39.

30) Lett. XVI (I, 60).

31) Ebenda: „Come io, Parola incarnata, fu seminata
nel ventre di Maria, mi si comincid la croce del desi-
derio, ch' io avevo di fare l'obbedienzia del Padre
mio." Lett. XXXVIII (I, 178): „Sapete ben, che in-
fino che Maria non moströ col suono della parola
l'umilita e la volontä sua, dicendo: ,Ecce ancilla Do-
mini, sia fatto a me secondo la parola tua', il Figli-
uolo di Dio non incarno in Lei, ma delta che Ella
l'ebbe, concepette in se quello dolce e immacolato
Agnello." Lett. CXLIV (II, 376).

des göttlichen Rathschlusses und die Einwilli-
gung der Gnadenvollen, waren für diese Auf-
fassung gleich bedeutsam und mufsten zum
Ausdruck gebracht werden. Das Auskunfts-
mittel einer Inschrift82) verschmähte der Kunst-
mächtige und zog vor, durch eine zweite, ganz
ähnliche Darstellung der Verkündigung, in einer
nahegelegenen Zelle (3), den vollen Gedanken
durch Bilder selbst wiederzugeben. Auf dem
ersten Wandgemälde ist Maria sitzend, den
Oberkörper etwas vorgebeugt, mit dem Aus-
drucke staunender Erwartung. Der Erzengel ist
soeben herniedergeschwebt, die von Gold und
Paradiesesfarben schimmernden Fittiche senken
sich im letzten Flügelschlage. Nun schreitet er,
sich verneigend, auf die Jungfrau zu, und seinen
Lippen entströmt der Himmelsgrufs: „Ave
Maria, gratia plena". Es ist erst der Anfang
des Geheimnisses: noch ist das Wort nicht
empfangen. Deshalb sieht man im Hinter-
grunde blüthenprangende Bäume in dichter
Umzäunung, den „hortus conclusus" (Cant.
IV, 12), das mystische Sinnbild der unbe-
rührten Braut. Ganz anders, ja umgekehrt
ist der Vorgang auf dem zweiten Bilde. Gabriel
steht in hocherhobener Gestalt vor der Be-
gnadigten und erwartet, die Arme graziös über-
einandergelegt, mit bescheidener Würde die
Antwort auf seine Botschaft. Maria dagegen
kniet; ihre leicht geneigte Haltung haucht ver-
trauensvolle Demuth; die Hände sind mit
inniger Andacht über der Brust gekreuzt; das
Buch der Betrachtung,3S) aus der sie durch den
Gesandten des Himmels aufgeweckt wurde, ist
halb geschlossen. Jetzt richtet sie, vom heiligen
Entschlüsse getrieben, den Bereitwilligkeit strah-
lenden Blick auf den Boten Gottes: „Ecce

32) Die von Beissel S. 41 verstümmelt wieder-
gegebene Inschrift: „Salve tnater pietatis, et totius
trinitatis nobile tricl-'nium Mfarjia" ist spätere Zu-
that, die von derselben Hand herrührt, wie die Inschrift
unter der Kreuzigung* (s. oben Anm. 23). Ursprüng-
lich dagegen ist die andere, in humanistischer Kapitale
ausgeführte: „ Virginis intactae dum veneris ante figu-
ram Praetereundo, cave, ne sileatur ave." Sie gibt
aber, ähnlich wie bei dem Schweigen gebietenden
Petrus Martyr, nur einen Nebenzweck des Gemäldes an.
A. verstand es vortrefflich, mit der hochmystischen
Bedeutung auch die praktische für die klösterlichen
Gebräuehe zu verbinden, wie sich auch unten bei der
Darstellung Christi als Pilger zeigen wird.

M) Antoniuus »Summa maior« (s. 1. 1560) P. III
Tit. XV c.VIII § 3 sucht aus vielen Kongruenzgründen
zu beweisen, dafs der Engel Maria „in actu contemp-
lationis" traf.
 
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