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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Schroers, Heinrich: Studien zu Giovanni da Fiesole, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0212

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339

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

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Benediktinerordens wieder her. Darum hält er
in der einen Hand die „Sancta Regula" und
in der anderen das Ruthenbündel, das Zeichen
der Lebensstrenge. Auch der hl. Bernhard hat
das Buch seiner Regel, aber er hält es nicht,
sondern drückt es innig an das liebeglühende
Herz, denn es hiefs ja die „Carta Caritatis".
Es ist die künstlerisch vollendetste Figur des
Bildes. Die frei und schlank gezeichneten
Formen, der weiche Schwung der Falten, die
vornehm modellirten Hände, der malerisch
aus dem Dunkel der Kapuze hervortretende,
von sanften Schatten umwobene Kopf, das von
der zweifachen Schönheit der unschuldigen
Jugend und der reinsten Gottesliebe verklärte»
edelgeformte Gesicht — alles malt die mystische
Poesie, die von diesem einzigartigen Mönche
ausging. Leicht und natürlich, wie im täglichen
vertrauten Umgange, ist der Heilige zum Bilde
des leidenden Heilandes gewendet, ruhig saugen
die Augen die Wonne des Kreuzes ein. Man
meint, jetzt müfste der „Doctor mellifluus"
den Mund öffnen zu einer seiner süfsen Reden
von dem „Manne der Schmerzen". Den stärksten
Ton des Gefühls hat Angelico bei dem feurigen
Sohne Umbriens angeschlagen. Diese Hin-
gebung ! Diese ekstatischen Züge ! Diese Qualen
einer das furchtbare Mysterium mitleidenden
Seele! Sie braucht keine Inspiration mehr vom
Kreuze zu empfangen, sie trägt das Kreuz in
sich. Aus den Wundmalen des Stigmatisirten
bricht die Liebe zu dem am Kreuze Erhöhten
in hellen Strahlen hervor. Darum gab der
Beato dem Stifter der Minderbrüder kein Buch
in die Hand, sondern das Kreuz: dieses ist
seine Regel. Der hl. Johannes Gualbertus stützt
sich mit beiden Händen auf einen Stab. Der
Greis ist gebückt unter der Last der Jahre und
der körperlichen Leiden, die Spuren schwer-
müthigen Ernstes in sein mächtiges Antlitz ge-
graben haben. Er späht aus nach Stärkung und
Trost. Sie fliefsen ihm aus den Leiden des
Welterlösers zu. Vor ihm kniet Romuald, in
Thränen aufgelöst. Der Büfser von Camal-
doli hat ein langes sündiges Leben zu bereuen
und zu beweinen. Er braucht sich nicht
mehr dem Kreuze zuzuwenden; denn Jesus hat
ihm bereits für sein ganzes Leben die Gnade
der Zähren geschenkt.45) Hingegen schaut

45) Alle fassen diesen knienden und jenen stehenden
Heiligen als Giovanni Gualberti und Romuald auf.
Gerade das Umgekehrte ist richtig: der auf den

Petrus Martyr mit ruhiger Andacht zu dem
auf, dessen Blut vom Kreuze rinnt: er ist schon
sein wirklicher Nachfolger geworden. Die blu-
tende Kopfwunde ist Zeuge, und die auf die
Brust geprefsten Hände bekräftigen die Herzens-
gluthen, mit denen er für den Erlöser in den
Tod ging. Hinter dem Jünger der That der
Jünger des Denkens. Der Kopf und das durch-
dringende Auge des hl. Thomas von Aquin
sind von ungemeiner Kraft des Ausdruckes.
Man fühlt es: dieser Heilige versteht die grofse
Wahrheit, die sich vor ihm am Kreuze ent-
faltet, bis in ihre Tiefen. Niedergelegt hat er
sie in der Summa theologica, die. auf seinem
Arme ruht. An der Spitze aller dieser Freunde
des heiligen Kreuzes kniet Dominikus. Die
Sehnsucht der Liebe glänzt auf seinem Gesichte,
und wie im Namen aller breitet er die Arme
aus, den Kreuzestamm zu umfangen. Es ist
die Aufforderung zur „Compassio", zum mys-
tischen Miterdulden der gottmenschlichen To-
desqualen, das jeder dieser Heiligen in seiner
Art ausübt.

Niemand hat die „Compassio" tiefer und
vollkommener durchkostet als die Schmerzen-
reiche, die auf der anderen Seite steht Dies
ist ein Lieblingsgedanke der Mystiker von S.
Marco. Der hl. Antoninus widmet ihm in seiner
Summa lange Abschnitte,46) bekämpft aber auch
die in der Kunst seiner Zeit herrschende Vor-
stellung, dafs Maria ohnmächtig unter dem

Krückstock Gestützte ist Gualberto und der Weinende
ist Romuald. S. Antoninus »Chron. opus« P. III
Tit. XV c. XV § 6 (pag. 537 sq.): „Gloriosus iste
sanctus (Romualdus) multis virtutum generibus fuit
exornatus, praecipue spiritu compunctionis et gratia
lachrymarum .... Quadam die, dum in cella psalleret,
.... tanta ei lachrymarum effusio orta est, ut ex eo
die et deinceps, quamdiu vixit et quando voluisset,
uberes sibi lachrymae facillime fluerent." — c. XVII
pag. 549: „(Joannes Gualbertus) ex nimia autem
auctoritate vitae tantam corporis debilitatem incurrit,
üt in illam avyxonri (sie) fracto stomacho ceciderit,
quam legimus b. Gregorium pertulisse, et nisi fratres
eum saepe reficerent, emittere spiritum videretur. Quam
infirmitatem usque ad obitum suum sustinuisse sciunt,
qui eum noverunt."

4S) Antoninus »Summa maior« P. III Tit. XV
c. II: „Sicut Christus nos genuit .... in cruce pa-
liendo, ita et b. Virgo Maria nos genuit et peperit
in maximis doloribus filio compatiendo poenas im-
mensas pro nobis patienti." — c. XX § 14: „Un-
deeimum Privilegium est, quod fuit ei passio Christi
communicata". Vgl. auch c. XXI § 1 und c.
XXIV § 1.
 
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