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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Schroers, Heinrich: Studien zu Giovanni da Fiesole, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0213

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341

1898.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

342

Kreuze zusammengebrochen sei.*7) Angelico,
die Meinung seines Priors achtend, aber auch
wohl wissend, dass ein so gewaltiger Affekt,
wie das mystische Mitleiden, sich nicht ohne
die stärksten körperlichen Wirkungen aus-
drücken lasse, schlug mit überlegenem Takte
einen Mittelweg ein. Die Mater dolorosa sinkt
nicht zusammen, sondern spannt die Arme aus
in Kreuzesform und neigt das von Todes-
schatten leise angehauchte Haupt — ein An-
blick, den man nie vergifst — leicht auf die
Seite, ganz so wie ihr Eingeborener am
Kreuze. Der Jünger und eine der heiligen
Frauen halten sie, nicht wie einen leblosen
Körper, sondern stützen nur behutsam die
Arme. Magdalena fängt sie nicht so sehr
auf, sondern umfafst
ihren Leib, wie sie
sonst den Fufs des
Kreuzes umfafst. An
der Schmerzensmutter
wiederholt sich die
Kreuzigung. Es ist die
aufs höchste gestei-
gerte Darstellung der
.Compassio".

Die übrigen Heili-
gen dieser Seite des
Bildes erinnern daran
zu wessen Erbauung

diese grofsartigste
unter Angelicos Kom-
positionen entstanden
ist. Johannes Baptista,
der Beschützer der
Stadt Florenz, weist als der Vorläufer Christi
auf den gekreuzigten Sohn und die mitge-
kreuzigte Mutter hin. Markus, der Titelheilige
des Klosters, zeigt auf sein Evangelium, wo
von diesem Leiden geschrieben steht. Lau-
rentius, Cosmas und Damianus, die Patrone
Cosimos und seines Hauses, die das Gemälde
stifteten,48) spiegeln die religiösen Eindrücke
wieder, die der Maler seinem hochherzigen
Mäcen wünschte. Die echt menschliche Rüh-

Flg. 4

*7) «Lettere di Sant' Antonino« (Firenze 1859),
lett. I pag. 48: ,,I dolori del parto allora gli furono
riserbati, e molto maggiori. Piü pena ebbe stando
appie della croce, che mai nessuno martire di suoi
cruciati. Stabat ansiata, angustiata .... Stara ritta,
non tramortita in terra .... Stava con sentimenti
vivaci, afflilti."

,-1) Vasari II, 507.

rung, die den hl. Damianus in Thränen aus-
brechen und von der grausigen Szene sich ab-
wenden läfst, soll sich steigern zu der bewun-
dernden Ergriffenheit des hl. Cosmas und zu
dem opferfreudigen Gebete des Märtyrers Lau-
rentius.

Der Kapitelsaal, den diese in ihrer Art nie
übertroffene Schöpfung zu einem Allerheiligsten
kirchlicher Kunst gemacht hat, war für die
Mönche der Ort, der bestimmt war, die Ge-
wissen zu schärfen und für die Fehler Sühne
zu fordern. Das deutet die Gestalt des Ordens-
stifters an, den Fiesole an der Aufsenwand über
der Thüre malte, wie er das Regelbuch öffnet
und die Geifsel erhebt. Bufse, Bufse tönt es
dem Eintretenden entgegen, aber eine Bufse,
die geadelt und ver-
süfst ist durch den
Trost des Kreuzes.

Den gleichen Ge-
danken, jedoch in an-
derer Wendung und

von der lieblichen
Poesie klösterlicher
Gastfreundschaft um-
weht, spricht ein Lü-
nettenbild in der gegen-
überliegenden Säulen-
halle aus. Es ist die

berühmte Darstel-
lung,49) die Jesus als
jugendschönen Fremd-
ling von zwei Kloster-
brüdern empfangen
werden läfst. Keiner
geht vorüber," ohne diese anmuthigen Men-
schen seiner Phantasie einzuprägen und sich
zu entzücken an der Handlung, die so leicht
verständlich, und menschlich wie religiös so
ansprechend erscheint. Die Thüre, die von
dem Gemälde gekrönt wird, führt in den der
Strafse und der Eingangspforte des Klosters
zunächst liegenden Flügel. Dort wurden die
Armen und Pilger gespeist mit dem, was die

4e) Beisse] S. 28 hält das Bild für übermalt
und die Farbenharmonie für zerstört. Ich finde das
nicht. Sein einziger Grund, dafs „das alte Kreuz des
Nimbus Christi noch durch die Uebermalung durch-
scheint", beruht auf einem Versehen. Der Mal-
grund ist stellenweise abgefallen und läfst die dunkle
Mörtelschicht der Mauer hervortreten. Angelico
hat den Kreuznimbus stets in gerader Stellung ge-
malt.
 
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