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Zeitschrift für christliche Kunst — 11.1898

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Renard, Heinrich: Die katholische Pfarrkirche zu Münster bei Bingen
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https://doi.org/10.11588/diglit.3834#0225

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359

1898. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.

360

JNRJ. ANO. 1066. 1663, welche nunmehr
durch die Jahreszahl 1895 vervollständigt, auf
einer Steintafel bewahrt wurde. Vielleicht hat
man im Jahre 1663 eine bezüglich der Grün-
dung der Kirche überlieferte Jahreszahl einge-
schrieben oder man hat an Stelle der Jahres-
zahl 1466, durch die gothische Schreibweise der
Zahl vier verleitet, 1066 gelesen.

Die Kirche ist als einschiffiger Langhausbau
mit gleichbreitem, zuerst wahrscheinlich schmaler
projektirtem Chor dem Thurme angefügt. Reich-
getheilte Netz- und Sterngewölbe überdecken
den wohlproportionirten Innenraum, der trotz der
sonst herrschenden Einfachheit durch die Ver-
schiedenartigkeit der Gewölbe einen überaus
lebendigen Eindruck macht. Die kleinen Rom-
benfelder der Chorgewölbe wurden noch mit
freigearbeiteten Maafswerknasen geziert, wodurch
eineanmuthendeSteigerung imReichthum gegen-
über den Gewölben im Laienraum erzielt wurde.

Das Aeufsere des Langhausbaues war ja
recht einfach ausgestattet, aber wie reizvoll ord-
nete sich die kleine Sakristei mit ihrem Doppel-
giebel dem schlichten Chorbau unter. Da in
dem Gewölbe ein sogenanntes Glockenloch
angeordnet ist, hat jedenfalls ein Dachreiter
den First des Hauptdaches und damit die ganze
Chorpartie bekrönt. Der spätgothische Thurm-
aufbau lenkt wohl in erster Linie das Auge
des Beschauers auf sich, und es kann auch nicht
verkannt werden, dafs die reizende und einzig
dastehende Lösung das Interesse in ganz be-
sonderem Maafse verdient. Die Gesammtform
erinnert an das bekannte Motiv der Gegenden
mit Ziegeldeckung, von welchem sich in Süd-
deutschland manches Beispiel erhalten hat und
das in den nordischen Ländern mit gewissen
Modifikationen wiederkehrt.

In Münster erhebt sich hinter der ruhig
getheilten, durchbrochenen Gallerie ein ziem-
lich steiler vierseitiger Helm, der, mit kleinen
Werksteinfenstern und einer
entsprechenden Thür ge-
schmückt, den Torso einer
reich gelösten Steinlaterne
trägt. Aus dem schlichten
Sockel entwickelt sich die
etwa 80 cm im Geviert messen-
de Laterne, die an den Ecken
von freien Fialen beglei-
tet, in den kurzen durch-

Fig. 8. Tortalschlufsstein

brochenen Helm unmittelbar übergeht. Kurze
Schwibbbogen verbinden Fialen und Helm
und bilden einen angenehmen Uebergang zu
dem leichteren Aufbau. Von diesem hat nur
der schwere Wimpergstein dem Wetter getrotzt
und Stand gehalten und trägt heute eine in
seltsamem Kontrast zu den zierlichen Wimperg-
durchschlingungen stehende Wetterfahne. In
Fig. 7 bringe ich den Versuch einer Re-
konstruktion der Steinmetzarbeit, welche viel-
leicht den einen oder andern Kollegen zur ge-
legentlichen Verwendung oder weiteren Durch-
bildung dieses Motivs anregt; vielleicht auch
zur Wiederholung des ganzen Thurmmotivs,
denn die Ausführung dürfte infolge der Ein-
fachheit der Konstruktion des Helmes bedeut-
samere Umstände und Kosten nicht verursachen.
Ein gut verzimmertes Gerüst aus Grat- und
Mittelsparren mit der erforderlichen Rahmen-
verbindung hat zunächst als Lehrgerüst bei der
Aufmauerung des 20 cm starken Backstein-
helmes gedient und blieb auch für die Zukunft
als Versteifung bestehen. In einem rauhen
Mörtelbewurf der Aufsenflächen des Helmes
wurden dann flache, nur kleine Zwischenräume
lassende Geschiebe der Nahe eingedrückt und
hierüber ein Feinbewurf angebracht. Der Thurm
war so dicht, dafs das Holz des Gerüstes, fast
unversehrt blieb und kaum Fäulnifsstellen
zeigte. Als Steinmaterial gelangte ein sehr
flach gehaltener grofser Backstein von dunkel-
gelber, in's röthliche spielender Farbe zur Ver-
wendung.

Die wenigen Bildhauerarbeiten in denSchlufs-
steinen, an der Thurmlaterne und auf dem
Schlufsstein des Portales gehen über den hand-
werksmäfsigen Rahmen nicht hinaus und be-
dürfen daher keiner weiteren Erwähnung. Im
Innern besitzt dagegen die Kirche bedeutende
Reste eines Frührenaissancealtares, dessen ver-
muthlicher Ursprung bei der ungünstigen Be-
leuchtung leider nicht kon-
statirt werden konnte. Ein
grofses Relief, augenschein-
lich für einen Flügelaltar
bestimmt, stellt in unge-
mein lebendiger Entwicke-
lung und reicher Ausstattung
die Passion Christi dar.

Köln.

Heinrich Ren ard.
 
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