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Zeitschrift für christliche Kunst — 23.1910

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Witte, Fritz: Karolingisch-ottonische Einflüsse in der Architektur der Krypta zu Vreden i.W.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4155#0188

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271

1910. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

272

zige Monograph, den die Vredener Krypta
bislang gefunden, Lübke in seinem Buche
„Mittelalterliche Kunst in Westfalen." Aber
seine Untersuchung war augenscheinlich eine
sehr oberflächliche, wie leider so oft; die
Kenntnis archivalisch-historischer Notizen geht
ihm völlig ab, und doch sind letztere gerade
bei Vreden nicht gerade spärlich.2) Nordhoff",
der leider vielbekämpfte, aber um Westfalens
Kunstgeschichte hochverdiente Sammler histo-
rischer Notizen, ist in Westfalen neben Lübke
der Einzige gewesen, der mit genügendem
Nachdruck auf eine unscheinbare aber desto
wichtigere Einzelheit hinwies, die nur ein auf-
merksamer Beobachter in der Vredener Krypta
entdeckt: Das Auftreten eines primitiven Eck-
blattes an den Basen der Stützen im östlichen
Teile; die ebenso bedeutsame Senkung der
attischen Basis beachtete er nicht.3) Letztere ist
ein Charakteristikum der einsetzenden Hoch-
entwickelung im niederdeutschen Baureviere,
und das Eckblatt, durchweg für den späten
romanischen Stil als bezeichnend genannt,
tritt in Vreden an dieser Stelle wohl zum
erstenmal auf. Es hat noch nicht die
entwickelte Form des XIII. Jahrh., wie wir
es an fast sämtlichen rheinisch-westfälischen
Kirchen finden, vielmehr die primitive Ge-
stalt einer Vogelkralle, die meines Wissens in
der Frühzeit immerhin nur noch in Patrocli-
Soest auftritt. Mag dieses Zierglied — mehr
ist es nicht — noch so unscheinbar sein, es
geht gedanklich ganz auf in Vorstellung und
Gefühl jener Zeit, die für die klassische, an-
tike Funktion von attischer Basis auf quadra-
tischer Tragplatte kein Verständnis hatte und
die weichlichere Raumfüllung durch geringe
Zutaten zu erreichen suchte. Das beginnende
XIII. Jahrh. rechnete wieder stärker mit den
Funktionen der Bauglieder und gestaltete das
Eckblatt zum stützenden Motiv der unter der
Last der Säule sich senkenden und aus-
quellenden Basis (Vorhalle St. Patrocli-Soest).
Eine eingehende Untersuchung des momen-
tanen Bestandes machte es mir zur Gewiß-
heit, daß in Vreden mehrere Bauperioden ihre
deutlichen Spuren hinterließen. Es sind zu-

2) Lübke, »Mittelalterliche Kunst in Westfalen.«
(Leipzig 1853). Seite 65, der die Gleichförmigkeit der
Kämpfergesimse der beiden Teile der Krypta als Be-
weis für die gleichzeitige Entstehung ins Feld führt.

3) Nordhoff, „Die westfälischen Domkirchen"
in Bonner Jahrb. 88. Seite 205 f.

nächst die zwischen Ost- und Westteil der
Krypta stehenden Pfeilerblöcke, die schon
durch ihre ungewöhnlichen Maße Bedenken
erregen (1,88 X L53 m). Ihre Form zwingt
zu dem Schluß, daß beide nichts anderes sind
als die Reste einer ursprünglichen, später
durchbrochenen Abschlußwand. Während der
mittlere Durchgang zum Chore geradlinig
zwischen den Pfeilern fortläuft, fällt bei den
seitlichen Eingängen an den dem Mittelgange
zugekehrten Wandflächen eine ziemlich starke
Neigung zu den Umfassungsmauern hin auf.4)
Eine Brechung dieser Neigungslinie in der
Mitte kann nicht zufällig sein. Die Durch-
gänge bekommen dadurch die Form zweier an
der Schmalstelle zusammenstoßenden Trichter-
schächte. Träte diese Eigentümlichkeit nur
bei einem der Durchgänge auf, wäre sie kaum
bemerkenswert, da sie bei beiden beobachtet
wird, ist man zu der Annahme gezwungen,
daß die Stellen ursprünglich anderen Zwecken
dienten. Meine bestimmte Annahme ist fol-
gende: Der ursprüngliche westliche Teil
der Krypta schloß an den beiden Pfeilern
geradlinig ab. Der heutige mittlere Durch-
gang ist dadurch entstanden, daß die Rück-
wand des gerade schließenden, in die Stärke
der Wand hinein vertieften Chörchens ausge-
stoßen wurde. Ein treffendes Analagon bietet
die überhaupt verwandte 1023 eingeweihte
Krypta der Abdinghoff - Kirche in Pader-
born.6) Die seitlichen Durchgänge bildeten
in ihrer ursprünglichen Fassung entweder zwei
ebenfalls gerade schließende, trapezförmige Sei-
tenchöre oder schießschartenähnliche Fenster-
öffnungen. Für letztere Annahme entscheidet
man sich lieber mit Rücksicht auf die ge-
brochene Linie der inneren Gewände, anderer-
seits auch deshalb, weil augenscheinlich die
Immunität zu Vreden bei ihren Bauten über-
haupt fortifikatorische Interessen im Auge ge-
habt hat.6) Unsere Voraussetzung stützt sich

4) Beim nördlichen Durchgang beträgt die Ab-
weichung 17, bei dem südlichen 7 cm. Auf der Mitte
der Mauerstärke ist sie noch bedeutender.

6) Ludorff, »Bau- und Kunstdenkmäler West-
falens«, Kreis Paderborn, S. 105 ff-

6) Herr Pfarrdechant Fr. Tenhagen in Werne,
der lange Jahre in Vreden wirkte und als tüchtiger
Kenner seiner Geschichte bekannt ist, hat in der pe-
riodischen Zeitschrift »Aus alter Zeit«, erscheinend zu
Ahaus seit 1902, den meines Erachtens überzeugenden
Nachweis geliefert, daß der Turm der Pfarrkirche ur-
sprünglich als Warte, als Archiv- und Schutzturm ge-
dient hat.
 
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