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Reisegeschicke eines jungen Ehepaares.
! unseres letzten jungfräulichen Zusammenseins auf dem Landgute
meines Oheims, Deines Oheims, meiner Tante, Deiner Tante,
verschlang. Also: Der langen Rede kurzer Sinn ist, daß mein
cngelguter Gatte in der Totalität seiner Genialität mir den
.Vorschlag machte, in einer Lohnkutsche von Nürnberg nach
Stuttgart zu reisen. „Hinweg railroaä!" rief ich entzückt
ans, „Gatte Du bist ein Gott! Um wie viel romantischer
ist eine Fahrt mit 2 Pferden in einer plumpen, schweren Kutsche,
! als im Express Train!" Meine Liebe zu Wilibald erhob
; sich bis zu jener Höhe, die uns trunken macht, indem sie
uns mittelst ihrer Erpansivkraft alle Schwierigkeiten des ir-
! dischen Daseins gleichsam höhnisch zu betrachten lehrt. So
lächelte ich boshaft, wenn ich an jene Thoren dachte, welche
lieber gleich Koffern und Hutschachteln durch die anmuthigsten
Gefilde deutscher Erde transportirt sein wollen. Um 11 Uhr
j Morgens saßen wir also in unserem offenen Reisewagen,
und fuhren nach eingenommenem Gabelfrühstück zum Thore
hinaus. Nürnberg lag wie ein steinernes Mährchen hinter
uns. Feen und verwunschene Ritjer lispelten mir von den
Zinnen der pittoresken Stadtmauern ihr „Addio" zu; ich
wehte graziös mit dein Taschentuche, da zufälligerweise einige
Engländer mich mit ihren Monocles beäugelten. „Addio,
Addio," rief ich zärtlich zurück, mit ächt italienischem Accent,
wie ich cs von Signora Ristori als Maria Stuarda so
hinreißend vernommen hatte. „Addio! Addio!" Mein Mann
las indessen eifrigst im Bädeker, von dem er sagte, daß er
seine Lieblingslektüre sei, daß er ihn dem „Faust" und der
Maria Stuart" vorzöge, weil doch Alles wahr sei, was darin
stände. Das sind lauter geniale Eigenheiten meines Gätt-
chens. Die Hitze war gräßlich; die Sonne brannte uns
völlig das Gehirn aus, und der Wagen hatte leider kein
Dach, denn ich hatte mich auf einen recht primitiven, histori-
schen Lohnkntscher kaprizirt. Mein engelguter Gatte entschlief,
nachdem er schweigend 3 Stunden im Bädeker gelesen hatte,
endlich ermattet von Gluth und Müdigkeit ein. Die Gegend
bot keine Reizungen dar, doch konnte ich nicht schlafen, da mir
die Hitze starke Kopfschmerzen und Zahnschmerzen verursachte.
Um 4 Uhr zogen schwere Wetterwolken auf, cs begann zu
blitzen und zu donnern. Mein Zahn tobte, ich schrie manch-
mal laut auf, während mein engelguter Gatte fest an meiner
Seite schlief. Da blitzte es einmal schreckbar gerade ober
uns, ein Donnerschlag erfolgte, als ob der Himmel bersten
wollte, mein Zahn wurde ercessiv wüthend, ich begann noch
! mehr zu schreien, der elende Kutscher lachte und hieb in die
stutzigen Rosse, mein Gatte schnarchte, und vom geöffneten
Himmel rauschte eine solche Rcgenfluth auf uns, in die leich-
l testen Stoffe gekleideten Individualitäten, hernieder, daß wir
binnen fünf Minuten bis ans die Seele durchnäßt, in lauter
Verzweiflung geriethen. Mein Gatte war erwacht. Sein
erster Gedanke war: „Wo ist der Bädeker?" Das unglück-
selige rothe Buch lag zu unfern Füßen. O, es lag nicht, —
es schwamm zu unfern Füßen, denn eine wahre Sündfluth
war in unserm Wagen angesammelt. Unglücklicherweise hatte
das alte, historische Fuhrwerk keine Thüren; wir mußten
dasselbe also entweder völlig umkehren und des Wassers ent-
leeren, oder uns anheischig machen, bis zum nächsten Orte
ein kaltes Fußbad zu nehmen. Der Wolkenbruch dauerte
über dreiviertel Stunden lang ununterbrochen fort, das Wasser
! stieg uns fast bis zu den Knieen empor, meine Seele rang
mit bitterer Verzweiflung, mein Zahn bohrte mir in's Mark
> meines innersten Daseins. Mein engelguter Gatte verspürte
j bald das heftigste Grimmen in einem unästhetischen Theile
; seiner Existenz. Er begann fletschende Worte des Unmuths
ausznstoßen; der 6ooller fluchte mörderisch. Endlich brach
die Sonne hervor. Ach, Eeonie de ma jeunesse! Diese
Julinachmittagssonne schien es darauf angelegt zu haben, in
kürzester Zeit Alles wieder aufzutrocknen, was der Platz-
regen naß gemacht hatte. Sic schoß ihre heißesten Gluth-
Pfeile auf uns ab, so daß das Fußbad in unserm Wagen
sich sehr bald um 10 bis 12 Grade Reaumur erwärmte,
und wir im lauwarmen Regenwasser saßen. Endlich sahen
wir ein Dorf. Obgleich mein Köpfchen wüste vor Schmerz
war, mein Zahn wie ausgelassen tobte und sich wie die Erde
um sich selbst zu drehen schien, mein engelguter Gatte sich
blaß und knirrschend krümmte, jubelten wir laut auf. Ich
proponirte dem Kutscher dem Hintcrtheile derellevaux energischer
zuzureden; dieser Elende aber würdigte mich nur eines hämi-
schen Blickes. Da fühlte ich eine Medea in mir aufkochen;
ich ergriff die Peitsche, hieb aus das Hintertheil der Pferde,
aber in der Hitze auch unvermutheter Weise auf die Nase
des elenden Kutschers und o unglückseligerer Weise auch mit
der Geißel in den schmerzgeöffneten Mund meines engelguten
Gatten. Ich hatte vier lebende Wesen plötzlich durch meine
Thatkraft zu. voller Energie des Daseins aufgestachelt. Die
Pferde flogen und schnoben, der Kutscher zog fluchend die
Zügel an sich, mein engelguter Gatte bekam aus Schreck
und schmerzlichem Erstaunen das Uebergewicht und stürzte
per Kopf aus dem Wagen. Ich schrie mörderisch, die bos-
haften Rosse schlugen aus, der Kutscher verlor die Oontenanoe,
ich rang die Händchen, der Wagen schien zu wanken und ich
sah mich plötzlich in einem nassen Graben und den historischen
Reisegeschicke eines jungen Ehepaares.
! unseres letzten jungfräulichen Zusammenseins auf dem Landgute
meines Oheims, Deines Oheims, meiner Tante, Deiner Tante,
verschlang. Also: Der langen Rede kurzer Sinn ist, daß mein
cngelguter Gatte in der Totalität seiner Genialität mir den
.Vorschlag machte, in einer Lohnkutsche von Nürnberg nach
Stuttgart zu reisen. „Hinweg railroaä!" rief ich entzückt
ans, „Gatte Du bist ein Gott! Um wie viel romantischer
ist eine Fahrt mit 2 Pferden in einer plumpen, schweren Kutsche,
! als im Express Train!" Meine Liebe zu Wilibald erhob
; sich bis zu jener Höhe, die uns trunken macht, indem sie
uns mittelst ihrer Erpansivkraft alle Schwierigkeiten des ir-
! dischen Daseins gleichsam höhnisch zu betrachten lehrt. So
lächelte ich boshaft, wenn ich an jene Thoren dachte, welche
lieber gleich Koffern und Hutschachteln durch die anmuthigsten
Gefilde deutscher Erde transportirt sein wollen. Um 11 Uhr
j Morgens saßen wir also in unserem offenen Reisewagen,
und fuhren nach eingenommenem Gabelfrühstück zum Thore
hinaus. Nürnberg lag wie ein steinernes Mährchen hinter
uns. Feen und verwunschene Ritjer lispelten mir von den
Zinnen der pittoresken Stadtmauern ihr „Addio" zu; ich
wehte graziös mit dein Taschentuche, da zufälligerweise einige
Engländer mich mit ihren Monocles beäugelten. „Addio,
Addio," rief ich zärtlich zurück, mit ächt italienischem Accent,
wie ich cs von Signora Ristori als Maria Stuarda so
hinreißend vernommen hatte. „Addio! Addio!" Mein Mann
las indessen eifrigst im Bädeker, von dem er sagte, daß er
seine Lieblingslektüre sei, daß er ihn dem „Faust" und der
Maria Stuart" vorzöge, weil doch Alles wahr sei, was darin
stände. Das sind lauter geniale Eigenheiten meines Gätt-
chens. Die Hitze war gräßlich; die Sonne brannte uns
völlig das Gehirn aus, und der Wagen hatte leider kein
Dach, denn ich hatte mich auf einen recht primitiven, histori-
schen Lohnkntscher kaprizirt. Mein engelguter Gatte entschlief,
nachdem er schweigend 3 Stunden im Bädeker gelesen hatte,
endlich ermattet von Gluth und Müdigkeit ein. Die Gegend
bot keine Reizungen dar, doch konnte ich nicht schlafen, da mir
die Hitze starke Kopfschmerzen und Zahnschmerzen verursachte.
Um 4 Uhr zogen schwere Wetterwolken auf, cs begann zu
blitzen und zu donnern. Mein Zahn tobte, ich schrie manch-
mal laut auf, während mein engelguter Gatte fest an meiner
Seite schlief. Da blitzte es einmal schreckbar gerade ober
uns, ein Donnerschlag erfolgte, als ob der Himmel bersten
wollte, mein Zahn wurde ercessiv wüthend, ich begann noch
! mehr zu schreien, der elende Kutscher lachte und hieb in die
stutzigen Rosse, mein Gatte schnarchte, und vom geöffneten
Himmel rauschte eine solche Rcgenfluth auf uns, in die leich-
l testen Stoffe gekleideten Individualitäten, hernieder, daß wir
binnen fünf Minuten bis ans die Seele durchnäßt, in lauter
Verzweiflung geriethen. Mein Gatte war erwacht. Sein
erster Gedanke war: „Wo ist der Bädeker?" Das unglück-
selige rothe Buch lag zu unfern Füßen. O, es lag nicht, —
es schwamm zu unfern Füßen, denn eine wahre Sündfluth
war in unserm Wagen angesammelt. Unglücklicherweise hatte
das alte, historische Fuhrwerk keine Thüren; wir mußten
dasselbe also entweder völlig umkehren und des Wassers ent-
leeren, oder uns anheischig machen, bis zum nächsten Orte
ein kaltes Fußbad zu nehmen. Der Wolkenbruch dauerte
über dreiviertel Stunden lang ununterbrochen fort, das Wasser
! stieg uns fast bis zu den Knieen empor, meine Seele rang
mit bitterer Verzweiflung, mein Zahn bohrte mir in's Mark
> meines innersten Daseins. Mein engelguter Gatte verspürte
j bald das heftigste Grimmen in einem unästhetischen Theile
; seiner Existenz. Er begann fletschende Worte des Unmuths
ausznstoßen; der 6ooller fluchte mörderisch. Endlich brach
die Sonne hervor. Ach, Eeonie de ma jeunesse! Diese
Julinachmittagssonne schien es darauf angelegt zu haben, in
kürzester Zeit Alles wieder aufzutrocknen, was der Platz-
regen naß gemacht hatte. Sic schoß ihre heißesten Gluth-
Pfeile auf uns ab, so daß das Fußbad in unserm Wagen
sich sehr bald um 10 bis 12 Grade Reaumur erwärmte,
und wir im lauwarmen Regenwasser saßen. Endlich sahen
wir ein Dorf. Obgleich mein Köpfchen wüste vor Schmerz
war, mein Zahn wie ausgelassen tobte und sich wie die Erde
um sich selbst zu drehen schien, mein engelguter Gatte sich
blaß und knirrschend krümmte, jubelten wir laut auf. Ich
proponirte dem Kutscher dem Hintcrtheile derellevaux energischer
zuzureden; dieser Elende aber würdigte mich nur eines hämi-
schen Blickes. Da fühlte ich eine Medea in mir aufkochen;
ich ergriff die Peitsche, hieb aus das Hintertheil der Pferde,
aber in der Hitze auch unvermutheter Weise auf die Nase
des elenden Kutschers und o unglückseligerer Weise auch mit
der Geißel in den schmerzgeöffneten Mund meines engelguten
Gatten. Ich hatte vier lebende Wesen plötzlich durch meine
Thatkraft zu. voller Energie des Daseins aufgestachelt. Die
Pferde flogen und schnoben, der Kutscher zog fluchend die
Zügel an sich, mein engelguter Gatte bekam aus Schreck
und schmerzlichem Erstaunen das Uebergewicht und stürzte
per Kopf aus dem Wagen. Ich schrie mörderisch, die bos-
haften Rosse schlugen aus, der Kutscher verlor die Oontenanoe,
ich rang die Händchen, der Wagen schien zu wanken und ich
sah mich plötzlich in einem nassen Graben und den historischen
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Reisegeschicke eines jungen Ehepaares"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Winken <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 38.1863, Nr. 914, S. 14
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Erschließung
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CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg