Herrn Graf's aus Pirna Briefe über das Leipziger Turnfest.
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enthalt hinein in den großen Festblatz, welcher ich weiß gar
nicht wie viel Milljohnen Kubikfüser groß ist. Gegenüber
von dem Eingänge fällt Einen sogleich die große Festhalle
in die Augen, welches einen sehr angenehmen Eindruck macht.
Aber ehe ich Mir wollte das Jnnerlichte von der Fest-
halle anschen, so fihlte ich vorher von die gehabte kerberlichte
Anstrengung eine so große Durstigkeit, daß ich mich gleich
an die linke Seite schlug, wo verschiedene Restorazionen auf
sehr anlockende Weise Mir zuwinken thaten. Fritze, welcher
aber mehr Wisbegierigkeit als wie Lust zum Trinken hatte,
lief einstweilen draußen herum, weil er sich sogleich Alles
wollte ansehen. Aber nun denke dir meinen Schreck, Amalichen,
wie Fritze nach eine kleine Weile schon mit Freidengeschreie
zurückkommen that und mir voll Juwel seinen Rücken zu-
kehrte, wo der iusamigte Junge auf seine ganz funkelnagel-
neue Turnjacke die deitlickste Abbildung von die Festhallc in
schwarzer Farbe darauf hatte. In meiner väterlichten Auf-
regung gab ich ihm erst eine dichtige Ohrfeige und dann
fragte ich ihn, wer ihm dieses Gemälde dahinten drauf ver-
fertigt hatte, wo er Mir nun unter Heilen und Schreien
gestehen that, daß sich gleich hierdaneben eine Kubferstichbuch-
druckerei befinden thäte, wo man einen Jeden für zwei
Groschen das Bild von die Festhalle auf das Taschentuch
abdrucke; weil er aber nun in seiner Liederlichkeit wieder
wie gcwehnlich kein Schnubftuch nicht mit bei sich gehabt
hätte, so hätte ihn der Herr Schwarzkinstler diese Landschaft
gleich hinten auf die Turnjacke drauf gedruckt. Dadriber
wurde ich aber noch immer wilder und gab erst Fritzen noch
ein baar Backfeifen, daß ihn der Kopf brumste, dann hin-
gegen nahm ich ihn an die Ohren mit an eine zu dieses
Bierzelt gehörige Wasserblumbe, wo ich ihn darunter legte
und das Gemälde mit Gewalt wieder von seinen Rücken ab-
waschen wollte. Dieses ging jedoch nicht, weil hinderlisterner
Weise der Kinstler ganz ächte Farbe dazu genommen hatte.
So mußte ich nun mit meinen illustirirten Jungen wch-
mithig weiter wandeln, welches ein wahrer Schkandal war,
denn die Leite liefen haufenweise hinter ihn darein und
wollten sich diese Ansicht auf die Jacke in der Nähe besehn.
Da ich nun in Meiner Noth keinen Ausweg nicht wußte,
so ging ich wieder in ein anderes Bierzelt, wo an alle Seiten
Zettel angeschlagen waren mit die Inschrift: „Man bittet
bei Emfang sogleich zu bezahlen!" Von diese Zettel
nahm ich einen und steckte ihn Fritzen hinten auf die Jacke,
damit daß man wenigstens das Bild nicht mehr sehen sollte
und nun machten wir, daß wir so rasch als möglich in die
Festhalle kommen thaten, weil cs dadrin so sehre voll war,
daß Einen kein Mensch nicht weder von vorne noch von die
Rückseite betrachten konnte. Auf das entgegengesetzte Ende
von die Festhallc war großes Konzert von mehreren tausend
Mann, aber weil wir etwa eine gute Viertelstunde davon
entfernt sitzen thaten, so hörten wir nichts weiter, als daß
wir blos den Herrn Musikdirekdor mit die Arme sich in die
Luft bewegen sahen. Ich war wenigstens vergnigt, daß wir
endlich einen Sitzblatz bekamen, aber dieses war auch Alles,
was man geniesen konnte, weil man von die vielen tausend
Anwesenden so feste umgeben war, daß man nach einen Kell-
ner schreien konnte so viel als man wollte, es kam doch
Keiner nicht, oder sie nahmen ihn seine Sbeisen und Ge-
trenke, welche Einer bestellt hatte, schon unterwegens ab.
Nach mehrere Stunden vergeblichten Hungers konnte ich es
aber nun doch nicht mehr aushaltcn. Da ich Mich jedoch
hingegen auch von dem Gedrengle nicht nähren konnte, so
bat ich einige hinter uns befindliche Turner, ob man denn
nicht auf allgemeines Verlangen kennte mit Gewalt wieder
aus die Festhalle hinaus kommen. Mit Vergnigen, sagten
sie, griffen Mich und Fritzen unter die Arme und warfen
uns mit erstaunlichte Behendigkeit sich über die Köpfe so
lange Einer dem Andern zu, daß wir endlich mit etwas
verbogene Ribben und gekwetschten Athem wohlbehalten in die
freie Luft kamen. Für heute hatte aber der Turnfestblatz doch
ein kleines Bischen zu viel Angreifendes für Mich gehabt und
da es auch schon dunkel war, so ging ich mit Fritzen in die
Stadt, wo wir uns erst settigten und dann zur Ruhe verfigten.
Kohle lag schon im Bette und dreimte und schnarchte
gans laut, weshalb ich ihn mit ein nases Handtuch über
das Gesichte fahren that, welches allemal sogleich hierdagegeu
hilft.
Morgen ist der Haubtfcsttag nnt den großen Zuge und auch un-
ser Vetter Herr Krause ist nebst Familiche ein recht guter Mensch,
so wie ebenfalls ich verbleibe Dein Gatte Gras.
(Fortsetzung folgt.)
Der Henri quatre.
„Ja, Herr Fettmaier, wie kommen denn Sie zu einem
nri guatrs?" — „Sehn's, cs ist mir nichts anders übrig
.lieben — ich Hab n mir wachsen lassen, daß mein Gesicht
lger ausschaut — denn es war nimmer zum Aushalten;
e Hund hab'n mich sür'n Mond ang'schant und z'heulen
z'fangen — jetzt thut's es."
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enthalt hinein in den großen Festblatz, welcher ich weiß gar
nicht wie viel Milljohnen Kubikfüser groß ist. Gegenüber
von dem Eingänge fällt Einen sogleich die große Festhalle
in die Augen, welches einen sehr angenehmen Eindruck macht.
Aber ehe ich Mir wollte das Jnnerlichte von der Fest-
halle anschen, so fihlte ich vorher von die gehabte kerberlichte
Anstrengung eine so große Durstigkeit, daß ich mich gleich
an die linke Seite schlug, wo verschiedene Restorazionen auf
sehr anlockende Weise Mir zuwinken thaten. Fritze, welcher
aber mehr Wisbegierigkeit als wie Lust zum Trinken hatte,
lief einstweilen draußen herum, weil er sich sogleich Alles
wollte ansehen. Aber nun denke dir meinen Schreck, Amalichen,
wie Fritze nach eine kleine Weile schon mit Freidengeschreie
zurückkommen that und mir voll Juwel seinen Rücken zu-
kehrte, wo der iusamigte Junge auf seine ganz funkelnagel-
neue Turnjacke die deitlickste Abbildung von die Festhallc in
schwarzer Farbe darauf hatte. In meiner väterlichten Auf-
regung gab ich ihm erst eine dichtige Ohrfeige und dann
fragte ich ihn, wer ihm dieses Gemälde dahinten drauf ver-
fertigt hatte, wo er Mir nun unter Heilen und Schreien
gestehen that, daß sich gleich hierdaneben eine Kubferstichbuch-
druckerei befinden thäte, wo man einen Jeden für zwei
Groschen das Bild von die Festhalle auf das Taschentuch
abdrucke; weil er aber nun in seiner Liederlichkeit wieder
wie gcwehnlich kein Schnubftuch nicht mit bei sich gehabt
hätte, so hätte ihn der Herr Schwarzkinstler diese Landschaft
gleich hinten auf die Turnjacke drauf gedruckt. Dadriber
wurde ich aber noch immer wilder und gab erst Fritzen noch
ein baar Backfeifen, daß ihn der Kopf brumste, dann hin-
gegen nahm ich ihn an die Ohren mit an eine zu dieses
Bierzelt gehörige Wasserblumbe, wo ich ihn darunter legte
und das Gemälde mit Gewalt wieder von seinen Rücken ab-
waschen wollte. Dieses ging jedoch nicht, weil hinderlisterner
Weise der Kinstler ganz ächte Farbe dazu genommen hatte.
So mußte ich nun mit meinen illustirirten Jungen wch-
mithig weiter wandeln, welches ein wahrer Schkandal war,
denn die Leite liefen haufenweise hinter ihn darein und
wollten sich diese Ansicht auf die Jacke in der Nähe besehn.
Da ich nun in Meiner Noth keinen Ausweg nicht wußte,
so ging ich wieder in ein anderes Bierzelt, wo an alle Seiten
Zettel angeschlagen waren mit die Inschrift: „Man bittet
bei Emfang sogleich zu bezahlen!" Von diese Zettel
nahm ich einen und steckte ihn Fritzen hinten auf die Jacke,
damit daß man wenigstens das Bild nicht mehr sehen sollte
und nun machten wir, daß wir so rasch als möglich in die
Festhalle kommen thaten, weil cs dadrin so sehre voll war,
daß Einen kein Mensch nicht weder von vorne noch von die
Rückseite betrachten konnte. Auf das entgegengesetzte Ende
von die Festhallc war großes Konzert von mehreren tausend
Mann, aber weil wir etwa eine gute Viertelstunde davon
entfernt sitzen thaten, so hörten wir nichts weiter, als daß
wir blos den Herrn Musikdirekdor mit die Arme sich in die
Luft bewegen sahen. Ich war wenigstens vergnigt, daß wir
endlich einen Sitzblatz bekamen, aber dieses war auch Alles,
was man geniesen konnte, weil man von die vielen tausend
Anwesenden so feste umgeben war, daß man nach einen Kell-
ner schreien konnte so viel als man wollte, es kam doch
Keiner nicht, oder sie nahmen ihn seine Sbeisen und Ge-
trenke, welche Einer bestellt hatte, schon unterwegens ab.
Nach mehrere Stunden vergeblichten Hungers konnte ich es
aber nun doch nicht mehr aushaltcn. Da ich Mich jedoch
hingegen auch von dem Gedrengle nicht nähren konnte, so
bat ich einige hinter uns befindliche Turner, ob man denn
nicht auf allgemeines Verlangen kennte mit Gewalt wieder
aus die Festhalle hinaus kommen. Mit Vergnigen, sagten
sie, griffen Mich und Fritzen unter die Arme und warfen
uns mit erstaunlichte Behendigkeit sich über die Köpfe so
lange Einer dem Andern zu, daß wir endlich mit etwas
verbogene Ribben und gekwetschten Athem wohlbehalten in die
freie Luft kamen. Für heute hatte aber der Turnfestblatz doch
ein kleines Bischen zu viel Angreifendes für Mich gehabt und
da es auch schon dunkel war, so ging ich mit Fritzen in die
Stadt, wo wir uns erst settigten und dann zur Ruhe verfigten.
Kohle lag schon im Bette und dreimte und schnarchte
gans laut, weshalb ich ihn mit ein nases Handtuch über
das Gesichte fahren that, welches allemal sogleich hierdagegeu
hilft.
Morgen ist der Haubtfcsttag nnt den großen Zuge und auch un-
ser Vetter Herr Krause ist nebst Familiche ein recht guter Mensch,
so wie ebenfalls ich verbleibe Dein Gatte Gras.
(Fortsetzung folgt.)
Der Henri quatre.
„Ja, Herr Fettmaier, wie kommen denn Sie zu einem
nri guatrs?" — „Sehn's, cs ist mir nichts anders übrig
.lieben — ich Hab n mir wachsen lassen, daß mein Gesicht
lger ausschaut — denn es war nimmer zum Aushalten;
e Hund hab'n mich sür'n Mond ang'schant und z'heulen
z'fangen — jetzt thut's es."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Henri quatre"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Abhilfe
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 39.1863, Nr. 951, S. 103
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg