148 Von Michaelis bis Silvester.
selbst verdienen müsse, von den Abenden, die sie durchweint,
i von ihrem heißen Flehen vor dem erleuchteten Marienbilde,
! und wie die liebe Mutter-Gottes ihr Bitten um Rettung
| und Hülse so schnell und wunderbar erhört habe. Oft schaute
! Herr Laufncr, wenn die Kleine emsig spinnend unweit seines
Lagers saß, lange Zeit still nach ihr hin nnd betrachtete das
frcnndliche, kindliche Angesicht. Da war zuerst gar oft die
schmerzliche Erwägung in ihm lebendig geworden: ein solch'
liebliches Mägdlein wäre nun unser Helenchen vielleicht auch!
Flüchtig und rasch wieder zurückgedrängt von den Einwürfen
der verständigen llebcrlegung, war ihm wohl der Gedanke
durch den Sin» gefahren: könnte denn dies Findelkind nicht
unser verlorenes Helenchen sein? Es war ja nicht möglich, wie
sollte daö verlorene Kind bis hierher gekommen sein? Aber der
zurückgewiesene Gedanke schlich sich unabwciölich immer wieder
in sein Herz. Er forschte nun nach den näheren Umständen
von des Kindes Auffindung, forschte aber mehr mit Sorge
als froher Erwartung, denn er war überzeugt, jede nähere
Kunde werde unwiderbringlich auch die geringste Wahrschein-
lichkeit eines solchen süßen Gedankens zerstören.
Magdalcne selbst konnte ihm nichts sagen, aber auch
Herr Winkler wußte wenig. „Es ist ein Lagerkind/' sagte
er, „eines der armen Geschöpfe, wie sie unter dem Troß ge-
boren werden, unter dem Banner von Stern, Striegel, Kamm
und Schwamm, und dem Heere nachziehend aufwachsen ohne
viel Wartung und Pflege. Eine leichtsinnige Dirne hat das
ihr unbequem werdende arme Ding ausgesetzt. Nun — dem
Kinde ist's wohl mehr zum Heile gewesen als zum Schaden!"
Tausendmal wohl sagte sich Herr Laufncr vor: „Es ist ja
ganz unmöglich, daß hier die Magdalcne unser verlornes
Leuchen sein kann, wie viele solch verlassener Kinder giebt es
nicht! Konnte aber nicht die Burgel mit dem Kinde bis
hierher gerathen sein und cs dann ausgcsctzt haben? Was
aber konnte diese zu solchem Beginnen bewogen haben, war
sic doch gern bei uns, wo sie gut gehalten wurde und Alles
vollauf hatte!" So stritten die Gedanken hin und wider
in der Seele des Kaufmann's, so oft er aber Magdalenen
in das liebe, freundliche Angesicht schaute, schlich sich mit dem
herzlichen Wunsche auch die schmeichelnde Hoffnung ein, es
könne durch seltsame Verkettung der Umstände das so Un-
wahrscheinliche dennoch wahr und wirklich sein.
Laufners erster Gang war zur Frau Kuuigunde. Er
kündigte ihr an, wie er Willens sei, die Magdalcne mitzu-
nehmen nach Landshut, um dort weiter für sie zu sorgen.
Die Fran Weiler, die den fremden Herrn recht verlegen
empfangen hatte, schien sich zu freuen über diesen Wandel
in Magdalenens Schicksal. „Achtbarer Herr," sagte sic,
„ich habe der Lenel wahrlich nichts Böses gönnen wollen,
aber selbst konnte ich sie nicht behalten; seht doch, Herr,
hier meine Kinder, und ich bin eine arme Wittwe, der es
schwer genug wird, diese durchzubringcn."
(Fortsetzung folgt.)
Ein altes Liebespaar.
Hell scheint die Abendsonne in's Stübchen, nett und klein,
Reseden, Mohn und Rosen blüh'n noch am Fcnsterlein,
Schon streift der Herbstwind säuselnd das rothe Laub vom Baum,
Die schaffensmüde Erde schläft ein zum Wintcrtraum;
Fort sind die Vöglcin alle, drum ist's so still und stumm,
Doch mit dem Lenz da kommen und singen sie wiederum.
Großmüttcrlcin im Lehnstuhl sitzt vor dem alten Rädchen,
Daran sic einst ihr Brautkleid spann als junges Mädchen;
Fest drückt die welke Hand sic dem Alten an ihrer Seit':
„Lieb' Männchen, sieh', schon fünfzig Jahre sind cs heut',
Daß wir als junges Pärchen vor dem Altar gestanden, —
O gold'ne Zeit, o sel'ger Ort, wo wir uns fanden!"
Sic schweigt und neigt das Haupt auf seine Achsel nieder.
Der Alte blickt sie an und herzt und küßt sie wieder:
„Hast recht! Ja, sel'ger Ort, wo einstens wir uns fanden,
Wo wir als junges'Pärchen vor dem Altar gestanden.
Ich lieb', ich ehr' Dich noch, wie einst zu dieser Zeit,
Wie ich Dich dort geliebct, so lieb' ich Dich noch heut!"
Das größte Glück stets ist, das größte Glück stets war
— Nicht Perlen und nicht Gold, — ein altes Liebespaar.
18.?>....
selbst verdienen müsse, von den Abenden, die sie durchweint,
i von ihrem heißen Flehen vor dem erleuchteten Marienbilde,
! und wie die liebe Mutter-Gottes ihr Bitten um Rettung
| und Hülse so schnell und wunderbar erhört habe. Oft schaute
! Herr Laufncr, wenn die Kleine emsig spinnend unweit seines
Lagers saß, lange Zeit still nach ihr hin nnd betrachtete das
frcnndliche, kindliche Angesicht. Da war zuerst gar oft die
schmerzliche Erwägung in ihm lebendig geworden: ein solch'
liebliches Mägdlein wäre nun unser Helenchen vielleicht auch!
Flüchtig und rasch wieder zurückgedrängt von den Einwürfen
der verständigen llebcrlegung, war ihm wohl der Gedanke
durch den Sin» gefahren: könnte denn dies Findelkind nicht
unser verlorenes Helenchen sein? Es war ja nicht möglich, wie
sollte daö verlorene Kind bis hierher gekommen sein? Aber der
zurückgewiesene Gedanke schlich sich unabwciölich immer wieder
in sein Herz. Er forschte nun nach den näheren Umständen
von des Kindes Auffindung, forschte aber mehr mit Sorge
als froher Erwartung, denn er war überzeugt, jede nähere
Kunde werde unwiderbringlich auch die geringste Wahrschein-
lichkeit eines solchen süßen Gedankens zerstören.
Magdalcne selbst konnte ihm nichts sagen, aber auch
Herr Winkler wußte wenig. „Es ist ein Lagerkind/' sagte
er, „eines der armen Geschöpfe, wie sie unter dem Troß ge-
boren werden, unter dem Banner von Stern, Striegel, Kamm
und Schwamm, und dem Heere nachziehend aufwachsen ohne
viel Wartung und Pflege. Eine leichtsinnige Dirne hat das
ihr unbequem werdende arme Ding ausgesetzt. Nun — dem
Kinde ist's wohl mehr zum Heile gewesen als zum Schaden!"
Tausendmal wohl sagte sich Herr Laufncr vor: „Es ist ja
ganz unmöglich, daß hier die Magdalcne unser verlornes
Leuchen sein kann, wie viele solch verlassener Kinder giebt es
nicht! Konnte aber nicht die Burgel mit dem Kinde bis
hierher gerathen sein und cs dann ausgcsctzt haben? Was
aber konnte diese zu solchem Beginnen bewogen haben, war
sic doch gern bei uns, wo sie gut gehalten wurde und Alles
vollauf hatte!" So stritten die Gedanken hin und wider
in der Seele des Kaufmann's, so oft er aber Magdalenen
in das liebe, freundliche Angesicht schaute, schlich sich mit dem
herzlichen Wunsche auch die schmeichelnde Hoffnung ein, es
könne durch seltsame Verkettung der Umstände das so Un-
wahrscheinliche dennoch wahr und wirklich sein.
Laufners erster Gang war zur Frau Kuuigunde. Er
kündigte ihr an, wie er Willens sei, die Magdalcne mitzu-
nehmen nach Landshut, um dort weiter für sie zu sorgen.
Die Fran Weiler, die den fremden Herrn recht verlegen
empfangen hatte, schien sich zu freuen über diesen Wandel
in Magdalenens Schicksal. „Achtbarer Herr," sagte sic,
„ich habe der Lenel wahrlich nichts Böses gönnen wollen,
aber selbst konnte ich sie nicht behalten; seht doch, Herr,
hier meine Kinder, und ich bin eine arme Wittwe, der es
schwer genug wird, diese durchzubringcn."
(Fortsetzung folgt.)
Ein altes Liebespaar.
Hell scheint die Abendsonne in's Stübchen, nett und klein,
Reseden, Mohn und Rosen blüh'n noch am Fcnsterlein,
Schon streift der Herbstwind säuselnd das rothe Laub vom Baum,
Die schaffensmüde Erde schläft ein zum Wintcrtraum;
Fort sind die Vöglcin alle, drum ist's so still und stumm,
Doch mit dem Lenz da kommen und singen sie wiederum.
Großmüttcrlcin im Lehnstuhl sitzt vor dem alten Rädchen,
Daran sic einst ihr Brautkleid spann als junges Mädchen;
Fest drückt die welke Hand sic dem Alten an ihrer Seit':
„Lieb' Männchen, sieh', schon fünfzig Jahre sind cs heut',
Daß wir als junges Pärchen vor dem Altar gestanden, —
O gold'ne Zeit, o sel'ger Ort, wo wir uns fanden!"
Sic schweigt und neigt das Haupt auf seine Achsel nieder.
Der Alte blickt sie an und herzt und küßt sie wieder:
„Hast recht! Ja, sel'ger Ort, wo einstens wir uns fanden,
Wo wir als junges'Pärchen vor dem Altar gestanden.
Ich lieb', ich ehr' Dich noch, wie einst zu dieser Zeit,
Wie ich Dich dort geliebct, so lieb' ich Dich noch heut!"
Das größte Glück stets ist, das größte Glück stets war
— Nicht Perlen und nicht Gold, — ein altes Liebespaar.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein altes Liebespaar"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 43.1865, Nr. 1061, S. 148
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg