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egetation.
Üppige V
genommen lindert den Schmerz," fügt der Doctor tröstend
hinzu, — „morgen will ich einmal wieder Nachfragen." Da-
mit empfahl er sich.
II.
Noch hatte am folgenden Morgen die rosenfingrige Eos
kaum die Vorhänge des Himmels gelüftet, als die Thüre
zu dem Zimmer Wunders, der eben den Federn entstieg,
aufgerissen ward, und Meier hcreinstürzte. Anzug und
Haare in Verwirrung, eine alte Mühe seitwärts auf den
Kopf gestülpt und in den Morgcnpantoffeln, deren einer vor
ihm her mitten in die Stube flog, so war er vom Gute
herunter durch die glücklicherweise noch stillen Straßen des
Ortes nach der Wohnung des Doctors gestürmt, — die
glatte und behagliche Erscheinung von sonst war nicht mehr
zu erkennen. „Sehen Sic her, sehen Sie her!" mit diesem
fast kreischenden Ausruf sinkt er in einen Stuhl. Er sperrt
heute von selber den Mund auf und fährt mit dem Finger
nach der schmerzenden Stelle. — „Hier — sehen Sic her!
eine Höllcnpcin — habe nicht schlafen können — keine Mi-
nute — die ganze Bettdecke zerbissen vor Schmerz — oh!"
Er schlägt mit Händen und Füßen um sich; der Jünger
Aesculaps nähert daö Gesicht des Patienten den: Lichte und
schaut gehcimnißvoll, wie die Pythia, in den geöffneten Ab-
grund. „Hm — hat sich ein starkes Zahngeschwür gebildet
— muß bald aufgehen. Heftige Erkältung, Freund — geht
aber vorüber."
„Bombenclement! — vorüber! wann denn? — aber
sehen Sie doch einmal nach — die Zähne müssen da, wo
die Geschwulst ist — auch dicker sein, als die andern —
ich habe mir die Geschichte heute früh im Spiegel angesehen
— huuuh!!" brüllte er dann in einem neuen Parorysmus,
daß die Fensterscheiben klirrten.
„Ruhig, ruhig! — Zähne angeschwollen? — hahaha!
köstlicher Gedanke! — aber wahrhaftig," fuhr Wunder nach
genauerer Besichtigung fort, — „beinahe kommt mir's
selber so vor! — Aber 's ist ja zu lächerlich — Täuschung,
optische Täuschung!" —
„Ich habe vorgestern beim Souper einen Apfel gegessen,"
suhr Meier stöhnend fort, — „und bei einem Bisse fühlte
ich auf einmal einen fürchterlichen Schmerz — gerade dort,
wo die verfluchten Zähne — au! — stecken — ich habe mir
am Ende die Zähne — ausgerenkt —."
„Ausgerenkt! seid Ihr toll, Amtmann! — was soll
das heißen?"
„Nun, wie man sich einen Arm oder ein Bein ausrcnkt
— und dann schwillt's an —."
„ Haha! Sie sind wirklich einzig, Bester! Nun, be-
ruhigen Sie sich nur, für diesmal ist's nichts mit dem Aus-
renken; gehen Sie nach Hause und kühlen Sie mit Eisum-
schlägen — morgen ist das Geschwür aufgegangcn." Er
legte ihm dann noch ein Pflaster hintcr's Ohr, und ein
Tuch um das geschwollene Gesicht; ein zweites zwischen den
Zähnen, stürzte Herr Meier unter entsetzlichem Gesichter-
schneiden wieder hinauf nach seiner Wohnung.
III.
Es war früh um vier Uhr des andern Tages, als ein
fürchterlicher Lärm sämmtliche Insassen des Meier'schen Hauses
aus dem süßesten Schlummer weckte. Bis in die entferntesten
Räumlichkeiten drang das Schreien und Poltern, und die
aufgeschrcckten Dienstleute stürzten, in der Meinung das Gut
stehe in Flammen, zum Theil in der nothdürftigsten Be-
kleidung hinaus in's Freie. Die drei Töchter des Hauses
fuhren zu gleicher Zeit entsetzt aus den Betten und ver-
krochen sich voller Angst in einer Ecke ihres Schlafzimmers,
denn cs war ihr erster Gedanke, eine Räuberschaar habe das
väterliche Bcsitzthum überfallen und sei im Begriff, alles
Lebende zu ermorden. Und in der That hatten die armen
Wesen Grund genug, an so erschreckliche Dinge zu denken.
Im Nebcngemach, wo Herr Meier sein Nachtquartier auf-
geschlagen hatte, war jener entsetzenerregende Schrei ertönt,
und hatte dann einem anhaltenden Röcheln und Stöhnen
Platz gemacht, das nur zuweilen durch den halbersticktcn
Ruf: „Hülfe! Hülfe!" — unterbrochen ward.
Die Frau Amtmännin, die aus nächster Nähe die „gräß-
liche Trompete" vernommen, hatte sich als resolute Frau
nach dem ersten Schrecken rasch gefaßt und tappte nun in
etwas zweifelhafter Costumirung im Zimmer entlang, um mit
Hülfe von Streichhölzchen, die sich nirgends finden lassen
wollten, erst Licht über die Situation zu verbreiten.
„Hülfe! — ich schwimme in meinem Blute!" — stöhnte
es da wieder aus der Kehle ihres Eheherrn. Jetzt fing auch
die Frau Amtmännin an, an Banditen zu glauben, und mit
zitternder Hand, denn jeden Augenblick erwartete sie mit
einem der tückischen Unholde in unsanfte Berührung zu kom-
men, strich sie die endlich gefundenen Zündhölzer an der
Wand, bis nach mehreren verunglückten Versuchen endlich Eines
derselben Feuer fing. Es ward hell im Zimmer und aus dem
ungewissen Dämmerschein trat bald die ganze furchtbare
Scene in scharfer Beleuchtung hervor. Von Räubern oder
andern unheimlichen Wesen war allerdings keine Spur vor-
handen, aber der Anblick, der sich den Umstehenden bot, war
darum nicht minder schrecklich. Allmählich hatten sich Knechte
egetation.
Üppige V
genommen lindert den Schmerz," fügt der Doctor tröstend
hinzu, — „morgen will ich einmal wieder Nachfragen." Da-
mit empfahl er sich.
II.
Noch hatte am folgenden Morgen die rosenfingrige Eos
kaum die Vorhänge des Himmels gelüftet, als die Thüre
zu dem Zimmer Wunders, der eben den Federn entstieg,
aufgerissen ward, und Meier hcreinstürzte. Anzug und
Haare in Verwirrung, eine alte Mühe seitwärts auf den
Kopf gestülpt und in den Morgcnpantoffeln, deren einer vor
ihm her mitten in die Stube flog, so war er vom Gute
herunter durch die glücklicherweise noch stillen Straßen des
Ortes nach der Wohnung des Doctors gestürmt, — die
glatte und behagliche Erscheinung von sonst war nicht mehr
zu erkennen. „Sehen Sic her, sehen Sie her!" mit diesem
fast kreischenden Ausruf sinkt er in einen Stuhl. Er sperrt
heute von selber den Mund auf und fährt mit dem Finger
nach der schmerzenden Stelle. — „Hier — sehen Sic her!
eine Höllcnpcin — habe nicht schlafen können — keine Mi-
nute — die ganze Bettdecke zerbissen vor Schmerz — oh!"
Er schlägt mit Händen und Füßen um sich; der Jünger
Aesculaps nähert daö Gesicht des Patienten den: Lichte und
schaut gehcimnißvoll, wie die Pythia, in den geöffneten Ab-
grund. „Hm — hat sich ein starkes Zahngeschwür gebildet
— muß bald aufgehen. Heftige Erkältung, Freund — geht
aber vorüber."
„Bombenclement! — vorüber! wann denn? — aber
sehen Sie doch einmal nach — die Zähne müssen da, wo
die Geschwulst ist — auch dicker sein, als die andern —
ich habe mir die Geschichte heute früh im Spiegel angesehen
— huuuh!!" brüllte er dann in einem neuen Parorysmus,
daß die Fensterscheiben klirrten.
„Ruhig, ruhig! — Zähne angeschwollen? — hahaha!
köstlicher Gedanke! — aber wahrhaftig," fuhr Wunder nach
genauerer Besichtigung fort, — „beinahe kommt mir's
selber so vor! — Aber 's ist ja zu lächerlich — Täuschung,
optische Täuschung!" —
„Ich habe vorgestern beim Souper einen Apfel gegessen,"
suhr Meier stöhnend fort, — „und bei einem Bisse fühlte
ich auf einmal einen fürchterlichen Schmerz — gerade dort,
wo die verfluchten Zähne — au! — stecken — ich habe mir
am Ende die Zähne — ausgerenkt —."
„Ausgerenkt! seid Ihr toll, Amtmann! — was soll
das heißen?"
„Nun, wie man sich einen Arm oder ein Bein ausrcnkt
— und dann schwillt's an —."
„ Haha! Sie sind wirklich einzig, Bester! Nun, be-
ruhigen Sie sich nur, für diesmal ist's nichts mit dem Aus-
renken; gehen Sie nach Hause und kühlen Sie mit Eisum-
schlägen — morgen ist das Geschwür aufgegangcn." Er
legte ihm dann noch ein Pflaster hintcr's Ohr, und ein
Tuch um das geschwollene Gesicht; ein zweites zwischen den
Zähnen, stürzte Herr Meier unter entsetzlichem Gesichter-
schneiden wieder hinauf nach seiner Wohnung.
III.
Es war früh um vier Uhr des andern Tages, als ein
fürchterlicher Lärm sämmtliche Insassen des Meier'schen Hauses
aus dem süßesten Schlummer weckte. Bis in die entferntesten
Räumlichkeiten drang das Schreien und Poltern, und die
aufgeschrcckten Dienstleute stürzten, in der Meinung das Gut
stehe in Flammen, zum Theil in der nothdürftigsten Be-
kleidung hinaus in's Freie. Die drei Töchter des Hauses
fuhren zu gleicher Zeit entsetzt aus den Betten und ver-
krochen sich voller Angst in einer Ecke ihres Schlafzimmers,
denn cs war ihr erster Gedanke, eine Räuberschaar habe das
väterliche Bcsitzthum überfallen und sei im Begriff, alles
Lebende zu ermorden. Und in der That hatten die armen
Wesen Grund genug, an so erschreckliche Dinge zu denken.
Im Nebcngemach, wo Herr Meier sein Nachtquartier auf-
geschlagen hatte, war jener entsetzenerregende Schrei ertönt,
und hatte dann einem anhaltenden Röcheln und Stöhnen
Platz gemacht, das nur zuweilen durch den halbersticktcn
Ruf: „Hülfe! Hülfe!" — unterbrochen ward.
Die Frau Amtmännin, die aus nächster Nähe die „gräß-
liche Trompete" vernommen, hatte sich als resolute Frau
nach dem ersten Schrecken rasch gefaßt und tappte nun in
etwas zweifelhafter Costumirung im Zimmer entlang, um mit
Hülfe von Streichhölzchen, die sich nirgends finden lassen
wollten, erst Licht über die Situation zu verbreiten.
„Hülfe! — ich schwimme in meinem Blute!" — stöhnte
es da wieder aus der Kehle ihres Eheherrn. Jetzt fing auch
die Frau Amtmännin an, an Banditen zu glauben, und mit
zitternder Hand, denn jeden Augenblick erwartete sie mit
einem der tückischen Unholde in unsanfte Berührung zu kom-
men, strich sie die endlich gefundenen Zündhölzer an der
Wand, bis nach mehreren verunglückten Versuchen endlich Eines
derselben Feuer fing. Es ward hell im Zimmer und aus dem
ungewissen Dämmerschein trat bald die ganze furchtbare
Scene in scharfer Beleuchtung hervor. Von Räubern oder
andern unheimlichen Wesen war allerdings keine Spur vor-
handen, aber der Anblick, der sich den Umstehenden bot, war
darum nicht minder schrecklich. Allmählich hatten sich Knechte
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Üppige Vegetation"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 43.1865, Nr. 1064, S. 170
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg