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Üppige Vegetation.
Armen und Augen denken, fangen an zu schreien und wollen
aus dem Zimmer. „Beruhigen Sie sich, meine Damen,"
lachte der Doctor, — „ein solcher Polyp thut Ihnen nichts.
Aber" — fuhr er dann nach genauerer Beleuchtung der Meier'-
schen Mundhöhle fort—„das ist ja gar kein Flcischauswuchs
— das hat ja Blätter — wahrhaftig grüne Blatter —
mein Gott, Amtmann, haben Sie eine Plantage in Ihrer
Kinnlade angelegt?"
Herr Meier war stöhnend in die Kissen zurückgcsunkcn
— „der Apfel — der Apfel!" Ein neues Licht schien in
des Doctors Gehirn aufzugehcn, doch kopfschüttelnd wies er
die sich ihm aufdrängende Idee zurück: ein derartiges natur-
historischeö Phänomen war ja unerhört und in seiner ganzen
Praxis ihm noch nicht vorgckommen. Aller Skepticismus
führte indessen zu keinem andern Resultate, als daß die
stundenlang fortgesetzten Untersuchungen bis zur Evidenz be-
wiesen, in Herrn Meiers Kinnlade sprosse und wachse lustig
ein junger Apfelbaum. Ein Kern aus der vor einigen
Tagen verspeisten Frucht war in einen kleinen Zwischenraum
zwischen jenen beiden Zähnen gerathen, hatte dort frucht-
baren Boden gefunden und getränkt durch die Meier'schen
Libationen ein rasches Gedeihen. Er hatte Keime getrieben
und Wurzel geschlagen und in seiner fortschreitenden Ent-
wickelung zuerst die sein Wachsthum hindernden Zähne auf-
getrieben und dann in der Nacht total gesprengt. Als der
Doctor das nicht länger abzuleugnendc Factum dem wider
Willen und Wissen Bepflanzten und Urbargemachtcn mit-
tcheilte, gcrieth dieser außer sich. Nicht nur, daß ein heimlich
eingedrungener Feind sein unmittelbares und liebstes Eigcn-
thum zu Zwecken benutzte, die den Neigungen des Besitzers
so fern lagen und demselben so theuer zu stehen kamen, ver-
ursachte ihm auch der Pflanzenwuchs in seinem Innern die
unangenehmsten Empfindungen, da mit der zunehmenden Ent-
wickelung des Bäumchens seine Kinnladen mehr und mehr
auseinander gedrängt wurden. Zwar versuchte Wunder noch
durch eine Operation dem Nebel abzuhelfen; doch der Ein-
dringling hatte sich bereits zu sehr eingebürgert und war
trotz aller Bemühungen ohne Zerstörung der Kinnlade nicht
mehr zu entfernen; das einzige wahrscheinlich wirksame Mittel
wäre gewesen, gleich den ganzen Kopf abzunchmen, doch
wollte Herr Meier von einem derartigen Versuche trotz der
chirurgischen Geschicklichkeit seines Freundes schlechterdings
nichts wissen. Seitdem hat er nun in allen öffentlichen
Blättern bekannt machen lassen, daß er Demjenigen, welcher
ihn curiren werde, die Hand einer seiner Töchter biete, ja i
er würde sic ihm alle drei auf einmal geben, doch hat sich
bisher noch kein Erretter gefunden.
Wunder hat indessen vermittelst eines künstlichen Spaliers j
wenigstens soviel erreicht, daß daö immer mehr gedeihende
Stämmchen (rothe Stettiner) anstatt durch die Backen, wie j
man anfangs fürchten mußte, seinen Weg in's Freie durch
den Mund genommen hat. So lebt nun Herr Meier, oder
vcgctirt, so gut cs geht, fortwährend auf und in grünen
Zweigen und der Tag ist nicht mehr fern, wo er sich die
schönsten rothwangigcn Früchte — bessere hat ein Amtmann
nie getragen! — von seinem eigenen Haupte pflücken kann.
Lnxiönti sat, d. h. davon wird der Weise satt, auch ohne
Soupers und theurc Weine, die außer den gewöhnlichen
animalischen auch noch pflanzliche Ausscheidungen und Er-
zeugnisse im menschlichen Körper Hervorrufen können.
ffi. W...
Auflösung des Rebus in Nr. 1063.
Ein Stylistikcr.
(Ein Stiel ist dicker.)
Üppige Vegetation.
Armen und Augen denken, fangen an zu schreien und wollen
aus dem Zimmer. „Beruhigen Sie sich, meine Damen,"
lachte der Doctor, — „ein solcher Polyp thut Ihnen nichts.
Aber" — fuhr er dann nach genauerer Beleuchtung der Meier'-
schen Mundhöhle fort—„das ist ja gar kein Flcischauswuchs
— das hat ja Blätter — wahrhaftig grüne Blatter —
mein Gott, Amtmann, haben Sie eine Plantage in Ihrer
Kinnlade angelegt?"
Herr Meier war stöhnend in die Kissen zurückgcsunkcn
— „der Apfel — der Apfel!" Ein neues Licht schien in
des Doctors Gehirn aufzugehcn, doch kopfschüttelnd wies er
die sich ihm aufdrängende Idee zurück: ein derartiges natur-
historischeö Phänomen war ja unerhört und in seiner ganzen
Praxis ihm noch nicht vorgckommen. Aller Skepticismus
führte indessen zu keinem andern Resultate, als daß die
stundenlang fortgesetzten Untersuchungen bis zur Evidenz be-
wiesen, in Herrn Meiers Kinnlade sprosse und wachse lustig
ein junger Apfelbaum. Ein Kern aus der vor einigen
Tagen verspeisten Frucht war in einen kleinen Zwischenraum
zwischen jenen beiden Zähnen gerathen, hatte dort frucht-
baren Boden gefunden und getränkt durch die Meier'schen
Libationen ein rasches Gedeihen. Er hatte Keime getrieben
und Wurzel geschlagen und in seiner fortschreitenden Ent-
wickelung zuerst die sein Wachsthum hindernden Zähne auf-
getrieben und dann in der Nacht total gesprengt. Als der
Doctor das nicht länger abzuleugnendc Factum dem wider
Willen und Wissen Bepflanzten und Urbargemachtcn mit-
tcheilte, gcrieth dieser außer sich. Nicht nur, daß ein heimlich
eingedrungener Feind sein unmittelbares und liebstes Eigcn-
thum zu Zwecken benutzte, die den Neigungen des Besitzers
so fern lagen und demselben so theuer zu stehen kamen, ver-
ursachte ihm auch der Pflanzenwuchs in seinem Innern die
unangenehmsten Empfindungen, da mit der zunehmenden Ent-
wickelung des Bäumchens seine Kinnladen mehr und mehr
auseinander gedrängt wurden. Zwar versuchte Wunder noch
durch eine Operation dem Nebel abzuhelfen; doch der Ein-
dringling hatte sich bereits zu sehr eingebürgert und war
trotz aller Bemühungen ohne Zerstörung der Kinnlade nicht
mehr zu entfernen; das einzige wahrscheinlich wirksame Mittel
wäre gewesen, gleich den ganzen Kopf abzunchmen, doch
wollte Herr Meier von einem derartigen Versuche trotz der
chirurgischen Geschicklichkeit seines Freundes schlechterdings
nichts wissen. Seitdem hat er nun in allen öffentlichen
Blättern bekannt machen lassen, daß er Demjenigen, welcher
ihn curiren werde, die Hand einer seiner Töchter biete, ja i
er würde sic ihm alle drei auf einmal geben, doch hat sich
bisher noch kein Erretter gefunden.
Wunder hat indessen vermittelst eines künstlichen Spaliers j
wenigstens soviel erreicht, daß daö immer mehr gedeihende
Stämmchen (rothe Stettiner) anstatt durch die Backen, wie j
man anfangs fürchten mußte, seinen Weg in's Freie durch
den Mund genommen hat. So lebt nun Herr Meier, oder
vcgctirt, so gut cs geht, fortwährend auf und in grünen
Zweigen und der Tag ist nicht mehr fern, wo er sich die
schönsten rothwangigcn Früchte — bessere hat ein Amtmann
nie getragen! — von seinem eigenen Haupte pflücken kann.
Lnxiönti sat, d. h. davon wird der Weise satt, auch ohne
Soupers und theurc Weine, die außer den gewöhnlichen
animalischen auch noch pflanzliche Ausscheidungen und Er-
zeugnisse im menschlichen Körper Hervorrufen können.
ffi. W...
Auflösung des Rebus in Nr. 1063.
Ein Stylistikcr.
(Ein Stiel ist dicker.)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Üppige Vegetation"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 43.1865, Nr. 1064, S. 172
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg