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Krisch an Wehncke's Erlebnisse im nördlichen Eismeer.

i und erklärte nach kurzem Bedenken, das Uebel sei in Folge
; einer Schrcckwirkung entstanden; die Zunge habe sich zusam-
> mengezogen, und die Verkürzung derselben sei eben schuld, daß
j jener nicht sprechen könne. Sic versprach Heilung in kurzer
Zeit, wenn ihre Verordnungen auf das Gewissenhafteste be-
folgt würden. Vor allen Dingen thuc eS aber noth, sagte
sic, daß Peter sich ein ganzes Gebiß machen lasse, weil sonst
die Akustik im Munde fehle. Bei dieser Gelegenheit empfahl
sie uns zugleich ihren Sohn als Zahnarzt.

Peter hatte in der That seine Vorderzähne nach und
nach verloren, indem er in seinem ritterlichen Sinn bei jeder
Keilerei, welche in seiner Gegenwart zur Aufführung kam,
stets die schwächere Partei mit seinen kräftigen Fäusten un-
terstützte.

DaS sympathetische Mittel, welches die Alte ihm zur Kur
! empfahl, war höchst einfach, aber darum nicht weniger beschwer-
lich. Das Nebel beruhte ja auf einer Verkürzung des Zungcn-
muSkclS. Dieser sollte nun fortwährend geübt werden, we-
nigstens sechs bis acht Stunden den Tag, und diese Ncbung
bestand darin, daß Peter die Zunge meinswcgenS bei der
Spitze anfasscn, dieselbe so weit als möglich hcrausziehen und
wieder hincinstoßen mußte. Durch solches Hin- und Her-
zerren würde, wie die alte Frau unS begreiflich zu machen
suchte, der Zungenmuskel ausgedehnt und schließlich auf seine
frühere Größe. zurückgcbracht werden. Nach einer solchen
Uebung sollte er sich aber bemühen, einzelne Wörter, welche ihm
früher so ganz und , gar mundgerecht gewesen, deutlich auszu-
svrechen. Und das waren natürlich technische Ausdrücke, wie
sic der Steuermann bei der Ausbildung der Schiffsjungen zu
gebrauchen pflegt, als Schweiuhund, Flegel, Esel, SchafS-
kopf und dergleichen mehr. Ohne meine aufopfernde Freund-
schaft wäre die Kur aber wohl nicht zu einem glücklichen
Ende geführt worden. Peter hatte cs wenigstens schon nach
einer Stunde satt, diesen Hocuöpocuö, wie er es nannte, zu
treiben; aber dann ergriff ich die Zunge und setzte die Arbeit

mit neuen Kräften fort, bis jener verdrießlich wurde und
nichts mehr davon wissen wollte. Endlich verfiel ich auf
eine glückliche Idee, welcher auch Peter seinen Beifall nicht

versagen konnte. Er mußte sich nämlich jeden Abend einen
Haarbeutel trinken, und während er seinen Rausch ausschlicf,
zog ich die Zunge auf und nieder.

Ach, wie manche Nacht habe ich mit dieser Arbeit an
seinem Bette zugebracht! Es war entsetzlich langweilig, und
dann noch dazu am nächsten Morgen meinswcgens mit Esel,
Schafskopf angeredet zu werden, — ich sage Euch, cS erfor-
derte alle mögliche Geduld, aber — was thut man nicht !
um einem Freunde zu helfen! — Zu meiner großen Freude
bemerkte ich bald, daß die Kur anschlug, die Zunge wurde
länger, und nach sechs Wochen konnte er, wenn auch noch
mit etwas Schwierigkeit, wieder sprechen. Nun war auch
das falsche Gebiß fertig geworden, aber dasselbe mußte nicht
akustisch richtig gemacht worden sein, denn von der Stunde
an, daß Peter cs in den Mund nahm, sprach er im höchsten
Falsett. — Mehr brauche ich nicht von ihm zu erzählen,
Paulsen, und nur das will ich meinswegens noch hinzufügcn:

Du wirst seinen großen Werth erst kennen und schätzen lernen,
wenn wir am Nordpol sind; ich habe zwei Reisen mit ihm j
dorthin gemacht und verlangte nicht ohne Grund, daß er auch
an dieser Fahrt theilnchure.

„Ist mir sehr lieb, Krischan, daß Du mir dieses kleine
Stück aus seinem Leben nritgctheilt hast," sagte Paulsen,
„denn jetzt begreife ich, daß er keine große Lust haben kann
viel zu sprechen."

Wir segelten mit gutem Winde weiter nach Norden.
Nur ein einziges Abenteuer erlebten wir auf der ganzen Fahrt,
sonst verlief ein Tag wie der andere.

Wir waren ungefähr auf dem 50. Grade und trieben
langsam vor dem Winde. Da gibt es für den Seemann,
wie Ihr Euch denken könnt, sehr wenig zu thun. Der eine
beschäftigte sich damit, sein Zeug auszubcsscrn; der andere
rauchte und that nichts; ein dritter Kamerad hals ihm viel-
leicht dabei.

Mit jedem Tage kamen wir dem Orte unserer Bestimmung
näher. Bald sahen wir die ersten Eisberge und Eisinseln,
welche stets diejenigen Matrosen, die zum ersten Mal j
nach dem Norden segeln, zu gleicher Zeit in Bewunderung
und in Schrecken zu setzen pflegen. Aber auch wer die Reise
nach Grönland gemacht hat, kann sich kaum eines Schauders
erwehren, wenn er solche Kolosse auf sich zukommen sieht, s
und doch kann man, als wäre man bezaubert, den Blict nicht I
von ihnen abwenden. Wehe dem unerfahrenen Kapitain,
welcher eine solche Eisinsel für festes Land hält, er ist un-
rettbar verloren! — Die Eisblöcke, welchen wir begegneten,
hatten oft eine Höhe von zwei- bis dreihundert Fuß. Die
meisten waren mit Schnee bedeckt. Die Kanten der nicht
beschneiten Massen warfen oft, gleich Edelsteinen, die glän- ;
zendsten Abstufungen von Blau, Roth und Smaragdgrün zurück. !
Da galt cö gut zu manövriren, um ungefährdet vorbcizu-
kommen; indessen daS Wetter war schön, das Wasser ruhig
und der Wind günstig; da war eS eben nicht schwer, die
Gefahr zu vermeiden. — Anders war cs auf meiner ersten
Reise. .Da hatten wir in diesen Breiten einen furchtbaren
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Titel/Objekt
"Krischan Wehncke's Erlebnisse im nördlichen Eismeer"
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

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Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Ich-Erzählung
Schlaf <Motiv>
Schiffsreisender
Schiffsreise
Freundlichkeit
Zunge <Motiv>
Schelm
Gefälligkeit
Freies Längen
Karikatur
Kur
Langeweile
Satirische Zeitschrift

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Fliegende Blätter, 46.1867, Nr. 1127, S. 50

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