Krisch an We.hncke's Erlebn
Sturm. Bedenkt, daß das Eis Stein ist, ein schwimmender
Felsen, nicht weniger fest, als die Klippe von Granit! Stellt
Euch vor, daß diese Felsen von Krvstall im rasenden Sturm
durch eine enge Tasse gejagt werden, daß sie wie Berge in
Bewegung mit dem Krachen des Donners zusammentreffen,
aneinander zersplittern, sich meinswegens überstürzen und das
Meer hoch in schäumende Wellen aufwühlen! —'In diesem
Toben des erzürnten Oceans fühlt sich der Schiffer seiner
gänzlichen Hilfslosigkeit bewußt.
Es wurde immer kälter. Schon bei Newfoundland er-
fuhren wir, daß wir einen grimmigen Winter zu erwarten
hätten. Auf einer kleinen Insel, etwas weiter nordwestlich,
war bereits ein so starker Frost eingetreten, daß eine Ver-
lobung hatte rückgängig gemacht werden müssen, weil des
Bräutigams glühende Leidenschaft in einer Nacht erkaltet war.
Auf einer andern Insel erzählte man uns, daß der Winter
des verflossenen Jahres entsetzlich strenge gewesen und daß
gleich darauf ein großeö Sterben gefolgt sei. Der Tod
! mußte dort schrecklich gewüthet haben, denn jeder Mann hatte
sein drittes Weib und eine jede Frau war Wittwe.
Nicht weit von dieser Insel stießen wir auf die ersten
i Wallfische. Ich brauche Euch wohl nicht erst zu sagen, daß
i es keinen besseren Harpunirer gibt als mich.
Peter Baars und ich besorgten die ganze Arbeit allein;
er steuerte, und ich warf meinswegens das Eisen. Auf diese
Weise konnte die ganze übrige Mannschaft bei dem Spcck-
^bschälen und Ausbraten beschäftigt werden. Ich sage Euch,
! die Leute mußten manchmal schwitzen, so viel gaben wir ihnen
j Zu thun. Endlich hatten wir sechs große Wale im Schlepptau.
Paulsen beschloß nun gegen meinen Rath, in dw erste beste
Bucht einzulaufen, um den Leuten Zeit zu geben, das Ab-
hülsen und Auskochen in aller Gemüthlichkeit vorzunehmen.
„Na meinswegen," sagte ich zu mir selbst, „wenn er so
gern einen Winter im Eise sitzen will, so laß ihm dies kind-
liche Vergnügen, Du hältst es schon aus!" —
Und es kam richtig so. Eines Abends trieb uns der
Wind zwischen Eisfeldern hindurch in einen schmalen Meeres-
arm, welcher eine weite Rhede bildete. Wir drangen etwa
Ane halbe Seemeile hinein und fanden endlich schönen Anker-
grund. Das Meer in dem weiten Becken war ruhig, und
Kapitän Paulsen lachte über meine Befürchtungen. — Diese
sollten aber nur zu bald zur Wahrheit werden. Es fing an,
kälter zu werden. Die schöne Bucht erhielt eine feste Decke,
und bald lag die Brigg in den Fesseln des Eises und konnte
fich nicht rühren.
Ich machte diese Entdeckung zuerst. Es war früh am
Morgen, und ich ging sogleich hinunter zu Paulsen und
weckte ihn.
„Du Paulsen, machst Du meinswegens einen Spazier-
guug mit mir über das EiS? Eö ist köstliches Wetter."
„Jawohl, Krischan, aber sollte die Bahn auch schon
ficher sein?"
„Sicher!" lachte ich, „Du fragst noch?"
isse im nördlichen Eismeer. 51
„Dann laß uns Schlittschuhe mitnehmen, hörst Du
Krischan?"
„Meinswegens, aber ich habe keine, Paulsen?"
„O das thnt nichts, wir können uns auch mit dem ^
einen Paar, welches ich besitze, behelfen, ich schnalle einen
unter den rechten Fuß, Du den anderen unter Deinen linken, !
sodann haken wir ein und laufen davon."
Gesagt, gethan. Nachdem wir uns gegenseitig accom- i
modirt hatten, — Paulsen hatte nämlich sehr lange Beine
und ich ziemlich kurze — da ging cs prächtig; Arm in Arm
eilten wir dahin über die spiegelglatte Fläche.
„Alle Wetter, nimmt das Eis denn gar kein Ende?"
fragte Paulsen endlich, nachdem wir gegen zehn englische Meilen
in See gelaufen waren. Ich sah ihn an und lächelte.
„Krischan," rief Paulsen auf einmal, ganz vergessend, daß
an seinem rechten die Reihe war, auszufahren, was zur Folge
hatte, daß wir beide auf den Rücken fielen. „Krischan," rief
er noch einmal, ehe wir wieder aufgestanden waren, „mir
ahnt, daß ich einen sehr dummen Streich gemacht habe, als
ich, Deinem Rath zuwider, in jene Bucht einlief! Sage mir,
sind wir schon eingefroren?"
„Vollständig," erwiderte ich.
„Und wie weit erstreckt sich diese Eisfläche?" fragte er
ganz bleichwerdend.
„Nur bis zum Polarkreise, wo die kalte Zone aufhört
und die gemäßigte beginnt, da ist wieder offenes Wasser."
„Donner und Stralar, was fange ich nun an!"
jammerte er; „hätte ich nur auf Dich gehört I Mein unseliger
Dünkel ist an Allem schuld! Ich bitte Dich, Krischan, was
soll ich thun?"
„Zuerst laß meinswegens das Schiff ganz abtakeln, und
dann suche Dich gegen die Kälte zu schützen, so gut Du
kannst; denn uns steht ein furchtbarer Winter bevor. Es
ist wirklich ein Glück, daß wir Peter Baars bei uns haben;
denn der wird schon dafür sorgen, daß eö unter Deck ge-
müthlich wird."
Sturm. Bedenkt, daß das Eis Stein ist, ein schwimmender
Felsen, nicht weniger fest, als die Klippe von Granit! Stellt
Euch vor, daß diese Felsen von Krvstall im rasenden Sturm
durch eine enge Tasse gejagt werden, daß sie wie Berge in
Bewegung mit dem Krachen des Donners zusammentreffen,
aneinander zersplittern, sich meinswegens überstürzen und das
Meer hoch in schäumende Wellen aufwühlen! —'In diesem
Toben des erzürnten Oceans fühlt sich der Schiffer seiner
gänzlichen Hilfslosigkeit bewußt.
Es wurde immer kälter. Schon bei Newfoundland er-
fuhren wir, daß wir einen grimmigen Winter zu erwarten
hätten. Auf einer kleinen Insel, etwas weiter nordwestlich,
war bereits ein so starker Frost eingetreten, daß eine Ver-
lobung hatte rückgängig gemacht werden müssen, weil des
Bräutigams glühende Leidenschaft in einer Nacht erkaltet war.
Auf einer andern Insel erzählte man uns, daß der Winter
des verflossenen Jahres entsetzlich strenge gewesen und daß
gleich darauf ein großeö Sterben gefolgt sei. Der Tod
! mußte dort schrecklich gewüthet haben, denn jeder Mann hatte
sein drittes Weib und eine jede Frau war Wittwe.
Nicht weit von dieser Insel stießen wir auf die ersten
i Wallfische. Ich brauche Euch wohl nicht erst zu sagen, daß
i es keinen besseren Harpunirer gibt als mich.
Peter Baars und ich besorgten die ganze Arbeit allein;
er steuerte, und ich warf meinswegens das Eisen. Auf diese
Weise konnte die ganze übrige Mannschaft bei dem Spcck-
^bschälen und Ausbraten beschäftigt werden. Ich sage Euch,
! die Leute mußten manchmal schwitzen, so viel gaben wir ihnen
j Zu thun. Endlich hatten wir sechs große Wale im Schlepptau.
Paulsen beschloß nun gegen meinen Rath, in dw erste beste
Bucht einzulaufen, um den Leuten Zeit zu geben, das Ab-
hülsen und Auskochen in aller Gemüthlichkeit vorzunehmen.
„Na meinswegen," sagte ich zu mir selbst, „wenn er so
gern einen Winter im Eise sitzen will, so laß ihm dies kind-
liche Vergnügen, Du hältst es schon aus!" —
Und es kam richtig so. Eines Abends trieb uns der
Wind zwischen Eisfeldern hindurch in einen schmalen Meeres-
arm, welcher eine weite Rhede bildete. Wir drangen etwa
Ane halbe Seemeile hinein und fanden endlich schönen Anker-
grund. Das Meer in dem weiten Becken war ruhig, und
Kapitän Paulsen lachte über meine Befürchtungen. — Diese
sollten aber nur zu bald zur Wahrheit werden. Es fing an,
kälter zu werden. Die schöne Bucht erhielt eine feste Decke,
und bald lag die Brigg in den Fesseln des Eises und konnte
fich nicht rühren.
Ich machte diese Entdeckung zuerst. Es war früh am
Morgen, und ich ging sogleich hinunter zu Paulsen und
weckte ihn.
„Du Paulsen, machst Du meinswegens einen Spazier-
guug mit mir über das EiS? Eö ist köstliches Wetter."
„Jawohl, Krischan, aber sollte die Bahn auch schon
ficher sein?"
„Sicher!" lachte ich, „Du fragst noch?"
isse im nördlichen Eismeer. 51
„Dann laß uns Schlittschuhe mitnehmen, hörst Du
Krischan?"
„Meinswegens, aber ich habe keine, Paulsen?"
„O das thnt nichts, wir können uns auch mit dem ^
einen Paar, welches ich besitze, behelfen, ich schnalle einen
unter den rechten Fuß, Du den anderen unter Deinen linken, !
sodann haken wir ein und laufen davon."
Gesagt, gethan. Nachdem wir uns gegenseitig accom- i
modirt hatten, — Paulsen hatte nämlich sehr lange Beine
und ich ziemlich kurze — da ging cs prächtig; Arm in Arm
eilten wir dahin über die spiegelglatte Fläche.
„Alle Wetter, nimmt das Eis denn gar kein Ende?"
fragte Paulsen endlich, nachdem wir gegen zehn englische Meilen
in See gelaufen waren. Ich sah ihn an und lächelte.
„Krischan," rief Paulsen auf einmal, ganz vergessend, daß
an seinem rechten die Reihe war, auszufahren, was zur Folge
hatte, daß wir beide auf den Rücken fielen. „Krischan," rief
er noch einmal, ehe wir wieder aufgestanden waren, „mir
ahnt, daß ich einen sehr dummen Streich gemacht habe, als
ich, Deinem Rath zuwider, in jene Bucht einlief! Sage mir,
sind wir schon eingefroren?"
„Vollständig," erwiderte ich.
„Und wie weit erstreckt sich diese Eisfläche?" fragte er
ganz bleichwerdend.
„Nur bis zum Polarkreise, wo die kalte Zone aufhört
und die gemäßigte beginnt, da ist wieder offenes Wasser."
„Donner und Stralar, was fange ich nun an!"
jammerte er; „hätte ich nur auf Dich gehört I Mein unseliger
Dünkel ist an Allem schuld! Ich bitte Dich, Krischan, was
soll ich thun?"
„Zuerst laß meinswegens das Schiff ganz abtakeln, und
dann suche Dich gegen die Kälte zu schützen, so gut Du
kannst; denn uns steht ein furchtbarer Winter bevor. Es
ist wirklich ein Glück, daß wir Peter Baars bei uns haben;
denn der wird schon dafür sorgen, daß eö unter Deck ge-
müthlich wird."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Krischan Wehncke's Erlebnisse im nördlichen Eismeer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 46.1867, Nr. 1127, S. 51
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg