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Im Walde.

sturmgepflückten Rosen, er wußte, wer da drunten schlief in
langem ununterbrochenen Schlummer. Wer aber war diese
Gestalt, die so plötzlich über dem Grabe sich erhob? War es
ihr Geist, der ihn so lange Jahre in blutigem Scheine ver-
folgt, der sich ein schreckliches Gespenst der Rache an seine
Sohlen geheftet und ohne abzulassen, ihn ruhelos vor sich
her durch die weite Erde getrieben hatte? Er war es nicht,
aber nicht minder furchtbar war das Erkennen. Eben trat
der Mond in vollem Glanz aus den zerrissenen Wolken her-
vor und beleuchtete die grausige Scene. Hoch aufgerichtet
über dem Hügel stand der Wahnsinnige und wie die weißen
Locken sturmgepeitscht sein Antlitz umflogen und die weiten
Gewänder ihn umflatterten, schien er höher und immer höher
zu wachsen, furchtbar wie der Geist der Vergeltung, der Rech-
nung zu fordern kömmt von dem zitternden Frevler, lind
vorwärts wie abwchrend streckte er die dürren, fleischlosen

Arme, fast berührten sie den Körper des Entsetzten, und tief
aus der Brust keuchten hohl tönend die Worte: „Mörder!
Mörder!" Ha, wie bebte da der Unselige, wie drängte sich
schrecklich die Uebcrzeugung auf, daß er nicht länger der
Aache entgehen könne, die ihn langsam, langsam aber doch
endlich unabwendbar erreicht hatte! Schauer des Todes
drangen auf ihn ein, er konnte nicht fliehen, träge und
schwer haftete sein Fuß am Boden, jeden Augenblick erwartete
er den Schlag, der auf ihn niederfallen und ihn zerschmettern
si'llte. Aber sterben hier, an ihrem Grabe, hier wo die von
'hm Gemordete ruhte: nein, überall wollte er sein Geschick
erleiden, mochte es fallen wie es wollte, denn nicht länger
hatte er Muth, ein Leben ewiger Dualen zu tragen — nur
^er nicht, seine Seele sträubte sich gegen diesen entsetzlichen

Gedanken und fort! fort! das war der letzte, der einzige j
Entschluß, den er noch denken und fassen konnte. Mit über-
menschlicher Kraft überwand er die todtesgleiche Erstarrung,
die ihn gefesselt hielt und weit von sich den Rächer stoßend,
wandte er sich hinweg und stürzte wieder hinein in das
Dunkel der Waldnacht, hin floh er durch Dornen und Ge-
strüpp ohne anzuhalten im Laufe, aber mit ihm zog die ent-
setzliche Erscheinung, wohin er blickte, tauchte sie vor ihm aus
und Mörder! Mörder! itönte hohl aus ihrem Munde. Und
die Rache ließ nicht von dem einmal Erreichten. Ein langer
entsetzlicher Schrei tönte aus der Tiefe der Nacht, dann war
cs still, nur die Zweige rauschten noch eine Weile heftiger
an der Stelle, wo er erscholl, aber die Schritte des Flücht-
lings waren verstummt auf ewig. Bauern fanden am andern
Morgen seinen zerschmetterten Leichnam in der Tiefe der j
Schlucht, in der verborgen er einst saß, und wuthersüllt die
Liebenden belauscht und die mörderische Kugel entsandt hatte,
die die Brust der einst Geliebten durchbohrend das junge
Glück zweier Herzen zerriß.

Und wieder stieg die Sonne leuchtend auö dem Traume
der Nacht empor und färbte die Wipfel des Waldes in
goldigem Schimmer. Der Sturm hatte aufgehört zu toben,
nur die Morgenluft wiegte sich mit leisem Rauschen in den
thauglänzenden Zweigen und hin durch Laub und Blüthen
wehte des Lenzeö selige Kunde: Freude! Friede! Dort aber i
am Rande des Waldes, wo die Linde prangte, im weißen j
Blüthcnkleide, rückwärts über das Grab gelehnt, ruhte ein j

Schläfer, den der Friede deö ersehnten ewigen Lenzes um-
fangen hielt. Still und ruhig lag er da, die starren Furchen, j
die der Schmerz mit eisernem Griffel in sein Antlitz gegraben, '

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Im Walde"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Rache
Verfolgung
Friede <Motiv>
Schrecken
Leiche
Wald <Motiv>
Opfer <Religion, Motiv>
Grab <Motiv>
Sturz
Mörder <Motiv>
Flucht
Karikatur
Gespenst
Baum <Motiv>
Tod <Motiv>
Junge Frau <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 46.1867, Nr. 1137, S. 131

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Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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