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Das Vermächtn
wurde fertig, und als er dasselbe in eine Kiste geschlossen,
diese versiegelt und adressirt hatte — Monate waren ver-
j gangen und der Winter war noch nicht zu Ende — da war
auch seine Kraft darangesetzt; er wurde von Tag zu Tag
schwächer und Hannchen wich nicht mehr von seinem Lager.
Vom Gebirg her über die Stadt wehte ein eiskalter
Wind, die Leute, die über die Straße gingen, hielten den
Mantel vor den Mund, um den tödtlichen Frost nicht einzu-
athmen; unter den Füßen knirschte der Schnee und die Bäume
in den Gärten schüttelten sich. Wieder hatte Frau Hinke
dem reichen Kümmerer einen Besuch gemacht; diesmal brachte
sie den Kaufpreis mit, sechzigtausend Gulden in Gold — der
Alte wollte kein Papier, Gold klingt besser, sagte er — sorg-
sam zählte er das Geld und betrachtete jedes einzelne Stück,
ob es auch acht sei, ein langwieriges Geschäft, es war Alles
ächt und er reichte der Alten die Hand lind sagte: „Frau
Hinke, das Geschäft ist gemacht, und wir bleiben gute Freunde."
„Hihi," antwortete die Here, „ich hoff's, ich hofs's, Gleich-
gesinnte vertragen sich ja leicht!" Herr Kümmerer holte nun
einen schweren Kasten herbei, verschloß das Geld sorgfältig
und legte die beiden Hände darauf. „Sehen Sie, Frau
Hinke," sagte er hierauf mit tonloser Stimme, „das Alles
nehme ich mit in's Grab, denn ich habe Niemand, dem ich's
anvertrauen möchte nach meinem Tod." „Ach, was Sie
sagen, Herr Kümmerer," antwortete die Frau, indem sie die
Hände faltete und das Haupt hin und her wiegte, „ei was
Sie sagen! warum vermachen Sie's nicht der Kirche oder einer
frommen Person, die es zu gottgefälligen Zwecken verwendet?"
Der Mann schüttelte heftig den Kopf: „Es soll's Niemand
haben, auch die Kirche nicht!" Dann, die Hand vor den
Mund haltend und sich zu der erstaunten Frau über den
Tisch beugend, sagte er geheimnißvoll: „Und wissen Sie denn,
ob man im Grabe ganz tobt ist?" Die Alte schaute ihn
mit großen Augen an. „Herr Kümmerer," sagte sie mit
Nachdruck, „ich denke, das wissen wir ganz genau!" „Ver-
iß des Malers.
stehen Sie mich recht," fuhr Herr Kümmerer fort, „ich meine,
es wäre eine Beruhigung, wenn man nicht so ganz hilflos
da drunten läge, man weiß ja nicht, ob man nicht wieder
auflebt; wie viele sind schon lebendig begraben worden!"
Als der Geizhals so ernsthaft und tiefsinnig sprach — er
hatte noch nie so gesprochen — da bekreuzte sich die gute
Frau, wünschte ihm guten Abend und ging kopfschüttelnd
hinweg. Als er nun allein war — eine Weile horchte er
noch, ob sie das Haus wirklich verlassen habe — nahm er
den Geldkasten, trug ihn zu dem großen, massiven Schrank,
sperrte auf, zog Fächer auf und sperrte wieder zu. Dann
setzte er sich an seinen Tisch, zog das lederne Geldbeutelchen
heraus und spielte damit, die glanzlosen grauen Augen immer-
fort auf den Schrank gerichtet, der hoch und düster in der
zunehmenden Dämmerung fast wie ein Gebäude sich erhob,
einen seltsamen Anblick bietend mit seinem künstlich verschlung-
enen Schnitzwerk und den Fratzengesichtern, die daraus her-
vorlugten und sich mehr und mehr zu verzerren schienen.
Plötzlich schauderte der Alte zusammen: es wurde heftig ge-
schellt; aufgereckt stand er und horchte, dann trat er an's
Fenster, ob nichts Ungewöhnliches zu bemerken sei, aber öd
und menschenleer lag der weite Platz im Schatten des Abends,
um den grauen Thurm da drüben flogen die Raben, sonst
war nichts zu bemerken. Jetzt öffnete er und horchte wieder:
schwere Tritte auf der Treppe, ein Pochen an der Thür,
darauf traten zwei Männer ein, die eine Kiste trugen: „Herrn
Kümmerer!" sagten sie und stellten die Kiste an die Wand.
„Woher kommt das?" fragte der Geizhals. „Von Ihrem
Neffen, der gestorben ist; man hat die Kiste in seinem Atelier
gefunden mit der Adresse an Herrn Kümmerer, Marktplatz
Haus Nr. 9." So sprachen die Männer und entfernten sich.
Wie es seine Gewohnheit war, horchte Herr Kümmerer
noch lange, nachdem die Männer fortgegangeu waren, ob sich
nichts mehr im Hause rege. Alles war still, nur die alt-
väterische Wanduhr hinten im Winkel des Gemachs unterbrach
mit einförmigem Pendelschlag die Ruhe. Jetzt trat er an
die Kiste heran und betrachtete sie von allen Seiten: „es
muß ein Bild sein," sagte er für sich — „der Jude Lewald
sucht solche Artikel." Darauf holte er Hammer und Brech-
eisen herbei und öffnete vorsichtig, nahm das Bild heraus
und forschte sorgfältig, ob der Rahmen nicht Schaden gelitten ,
habe. Nachdem er es auf den Tisch gelegt und sein Oel-
lämpchen angezündet, leuchtete er, um den Gegenstand zu er-
kennen, den es vorstellte, schüttelte den Kopf, trat ein paar
Schritte zurück, sah wieder hin, nahm das Bild auf und
hängte es an einen Nagel, der da seit alten Zeiten an der
Wand stack und wohl dazu gedient hatte, irgend ein Fami-
lienportrait zu tragen. Dasjenige, welches der Geizhals jetzt
aufhing, war das Brustbild eines alten Mannes mit weißen
spärlichen Haaren, die lang und steif um den schmalen Schädel
hingen, im erloschenen Angesicht erloschene Augen, die Nase
spitzig, leblos herabfallend das Kinn und schlaff die Mund-
winkel. Furchtbar war die Aehnlichkeit!—in den dürren Fing-
ern, die krampfhaft geballt, hielt er einen ledernen Geld-
Das Vermächtn
wurde fertig, und als er dasselbe in eine Kiste geschlossen,
diese versiegelt und adressirt hatte — Monate waren ver-
j gangen und der Winter war noch nicht zu Ende — da war
auch seine Kraft darangesetzt; er wurde von Tag zu Tag
schwächer und Hannchen wich nicht mehr von seinem Lager.
Vom Gebirg her über die Stadt wehte ein eiskalter
Wind, die Leute, die über die Straße gingen, hielten den
Mantel vor den Mund, um den tödtlichen Frost nicht einzu-
athmen; unter den Füßen knirschte der Schnee und die Bäume
in den Gärten schüttelten sich. Wieder hatte Frau Hinke
dem reichen Kümmerer einen Besuch gemacht; diesmal brachte
sie den Kaufpreis mit, sechzigtausend Gulden in Gold — der
Alte wollte kein Papier, Gold klingt besser, sagte er — sorg-
sam zählte er das Geld und betrachtete jedes einzelne Stück,
ob es auch acht sei, ein langwieriges Geschäft, es war Alles
ächt und er reichte der Alten die Hand lind sagte: „Frau
Hinke, das Geschäft ist gemacht, und wir bleiben gute Freunde."
„Hihi," antwortete die Here, „ich hoff's, ich hofs's, Gleich-
gesinnte vertragen sich ja leicht!" Herr Kümmerer holte nun
einen schweren Kasten herbei, verschloß das Geld sorgfältig
und legte die beiden Hände darauf. „Sehen Sie, Frau
Hinke," sagte er hierauf mit tonloser Stimme, „das Alles
nehme ich mit in's Grab, denn ich habe Niemand, dem ich's
anvertrauen möchte nach meinem Tod." „Ach, was Sie
sagen, Herr Kümmerer," antwortete die Frau, indem sie die
Hände faltete und das Haupt hin und her wiegte, „ei was
Sie sagen! warum vermachen Sie's nicht der Kirche oder einer
frommen Person, die es zu gottgefälligen Zwecken verwendet?"
Der Mann schüttelte heftig den Kopf: „Es soll's Niemand
haben, auch die Kirche nicht!" Dann, die Hand vor den
Mund haltend und sich zu der erstaunten Frau über den
Tisch beugend, sagte er geheimnißvoll: „Und wissen Sie denn,
ob man im Grabe ganz tobt ist?" Die Alte schaute ihn
mit großen Augen an. „Herr Kümmerer," sagte sie mit
Nachdruck, „ich denke, das wissen wir ganz genau!" „Ver-
iß des Malers.
stehen Sie mich recht," fuhr Herr Kümmerer fort, „ich meine,
es wäre eine Beruhigung, wenn man nicht so ganz hilflos
da drunten läge, man weiß ja nicht, ob man nicht wieder
auflebt; wie viele sind schon lebendig begraben worden!"
Als der Geizhals so ernsthaft und tiefsinnig sprach — er
hatte noch nie so gesprochen — da bekreuzte sich die gute
Frau, wünschte ihm guten Abend und ging kopfschüttelnd
hinweg. Als er nun allein war — eine Weile horchte er
noch, ob sie das Haus wirklich verlassen habe — nahm er
den Geldkasten, trug ihn zu dem großen, massiven Schrank,
sperrte auf, zog Fächer auf und sperrte wieder zu. Dann
setzte er sich an seinen Tisch, zog das lederne Geldbeutelchen
heraus und spielte damit, die glanzlosen grauen Augen immer-
fort auf den Schrank gerichtet, der hoch und düster in der
zunehmenden Dämmerung fast wie ein Gebäude sich erhob,
einen seltsamen Anblick bietend mit seinem künstlich verschlung-
enen Schnitzwerk und den Fratzengesichtern, die daraus her-
vorlugten und sich mehr und mehr zu verzerren schienen.
Plötzlich schauderte der Alte zusammen: es wurde heftig ge-
schellt; aufgereckt stand er und horchte, dann trat er an's
Fenster, ob nichts Ungewöhnliches zu bemerken sei, aber öd
und menschenleer lag der weite Platz im Schatten des Abends,
um den grauen Thurm da drüben flogen die Raben, sonst
war nichts zu bemerken. Jetzt öffnete er und horchte wieder:
schwere Tritte auf der Treppe, ein Pochen an der Thür,
darauf traten zwei Männer ein, die eine Kiste trugen: „Herrn
Kümmerer!" sagten sie und stellten die Kiste an die Wand.
„Woher kommt das?" fragte der Geizhals. „Von Ihrem
Neffen, der gestorben ist; man hat die Kiste in seinem Atelier
gefunden mit der Adresse an Herrn Kümmerer, Marktplatz
Haus Nr. 9." So sprachen die Männer und entfernten sich.
Wie es seine Gewohnheit war, horchte Herr Kümmerer
noch lange, nachdem die Männer fortgegangeu waren, ob sich
nichts mehr im Hause rege. Alles war still, nur die alt-
väterische Wanduhr hinten im Winkel des Gemachs unterbrach
mit einförmigem Pendelschlag die Ruhe. Jetzt trat er an
die Kiste heran und betrachtete sie von allen Seiten: „es
muß ein Bild sein," sagte er für sich — „der Jude Lewald
sucht solche Artikel." Darauf holte er Hammer und Brech-
eisen herbei und öffnete vorsichtig, nahm das Bild heraus
und forschte sorgfältig, ob der Rahmen nicht Schaden gelitten ,
habe. Nachdem er es auf den Tisch gelegt und sein Oel-
lämpchen angezündet, leuchtete er, um den Gegenstand zu er-
kennen, den es vorstellte, schüttelte den Kopf, trat ein paar
Schritte zurück, sah wieder hin, nahm das Bild auf und
hängte es an einen Nagel, der da seit alten Zeiten an der
Wand stack und wohl dazu gedient hatte, irgend ein Fami-
lienportrait zu tragen. Dasjenige, welches der Geizhals jetzt
aufhing, war das Brustbild eines alten Mannes mit weißen
spärlichen Haaren, die lang und steif um den schmalen Schädel
hingen, im erloschenen Angesicht erloschene Augen, die Nase
spitzig, leblos herabfallend das Kinn und schlaff die Mund-
winkel. Furchtbar war die Aehnlichkeit!—in den dürren Fing-
ern, die krampfhaft geballt, hielt er einen ledernen Geld-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das Vermächntiß des Malers"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 52.1870, Nr. 1284, S. 58
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg