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Blaue Augen.

letzten Feldzüge in der Schlacht bei Sedan gefallen. Anna war
zwanzig Jahre alt und zählte durchaus nicht zu den sogenannten
Schönheiten. Sie hatte ein leidlich hübsches Gesicht, und ihre
schlanke Figur vereinte weibliche Anmuth mit jugendlicher Kraft;
aber von den hochtönenden Prädikaten, mit welchen manche
Schriftsteller ihre Heldinnen herauszuputzen pflegen, paßte kein
einziges auf sie. Sie hatte kein „rabenschwarzes Lockengewirr",
keine „Marmorstirn," keine „gluthsprühenden Augen," keine
„stolze Nase" und keinen „zum Kuß einladenden, wollnstathmenden
Purpurmund" ; auch ließen Anna's einfache, aber geschmackvolle
Kleider nichts von einem „blendenden Nacken", einem „Schwanen-
hälse", einer „junonischen Büste" und der „Diana würdigen
Füssen" und dem sonstigen landläufigen Unsinn sehen.

Dafür besaß aber Anna Tugenden und Vorzüge, vor
denen die eben angeführten, etwas zweideutigen Eigenschaften in
ein Nichts versinken mußten. Vor Allem erfreute sie sich in
Folge ihres stillen, bescheidenen und zurückgezogenen Lebens eines
so ausgezeichneten Rufes, daß selbst die beiden bösesten Zungen
der Stadt Anna's Namen noch nie, weder lobend, noch tadelnd
ausgesprochen hatten. Und es war mehr werth, wie sämmtliche
Lcnmundszengnissc aller Polizeibehörden der Welt, wenn die beiden,
trotz der Verschicdenartigkcit ihrer Beschäftigungen durch ihre ge-
meinschaftliche Klatschsucht dennoch intim befreundeten Matronen,
die Hebamme Minna Nathusius und die Lcichcnwäschcrin Martha
Leberfleck durch ihr Schweigen die Unantastbarkeit des Rufes
eines ihrer Mitbürger oder Mitbürgerinnen dokumentirten. Und
Anna verdiente diesen guten Ruf in der That. Sie war die
erste im Hause, die des Morgens ihr Lager verließ, um eine
Thätigkeit zu beginnen, die ununterbrochen den ganzen Tag
hindurch währen sollte. Anna war durchaus nicht arm, und
dennoch war es nicht etwa Geiz, der sic vcranlaßte, ihren kleinen
Haushalt ganz allein, ohne jede fremde Hülse zu besorgen. Sie
that das deßhalb, weil ihre verstorbenen Eltern sie von ihrer
frühesten Jugend an zur Arbeit gewöhnt, und ihr das alte gute
Sprüchwort: „Müßiggang ist aller Laster Anfang" gar oft an's
Herz gelegt hatten. Ihr Wohnzimmer und ihre kleine Küche waren
denn auch beredte Zeugen für das fleißige Walten einer weib-
lichen Hand; es waren so zu sagen Schaustücke der exaktesten
Ordnungsliebe, der äußersten Reinlichkeit, der geschmackvollsten
Nettigkeit in der Anordnung. Am Fenster, hinter blühenden
Purpurrothen Centifolien und weißen Azaleen stand die spiegel-
blanke Nähmaschine und war fast den ganzen Tag hindurch in
rastloser Bewegung. Nähte Anna etwa für fremde Leute und
erwarb sich Geld dadurch? Nein; aber für wen, und um welchen
Lohn sic nähte, das konnten weit draußen in der Vorstadt, wo
die Fabrikarbeiter wohnten, zahlreiche kranke Kinder, darbende
Mütter und arbeitsunfähige Leute jede» Alters und Geschlechtes
erzählen. Sie konnten erzählen und erzählten cs einander oft
genug, wie in den Tagesstunden, an welchen die Straßen am
wenigsten belebt waren, die junge Dame mit den schönen blauen
Augen — das war Anna's Name bei den Armen — in ihre
Stuben trat, und dieselben nicht wieder verließ, ohne Thräncn des
Schmerzes getrocknet, Falten und Furchen des Kummers und
der Sorge geglättet zu haben. Und das wußte sie Alles so im

Stillen, so unbemerkt und bescheiden, so fern von der ekelhaften
Sucht nach öffentlicher Anerkennung, zu verrichten, daß fast
Niemand, außer ihr und ihren Lieblingen, den Armen, darum
wußte. Eine bis zwei Stunden täglich ertheilte Anna Unterricht
in der deutschen und französischen Literatur und im Klavicrspicl.
An Gesellschaften und öffentlichen Vergnügungen nahm sic nie
Thcil; ihre einzige Erholung bestand darin, daß sie, wenn der Tag
sich der Dämmerung znncigtc, in Gesellschaft ihrer Schülerinnen,
die ihr mit seltener Liebe' anhingen, einen kurzen Spaziergang
unternahm, dessen Ziel gewöhnlich die Vorstadt mit den Wohn-
ungen der armen Fabrikarbeiter war. ,r , , r ,.

(Fortsetzung folgt.)

(In einer Bildergallerie.)

Papa: „Nummer 206: Märtyrer in der Arena. Schönes
Bild. Der Blutdurst der Löwen, mit dem sic über die Christen
hcrfallcn, sehr gut — sehr gut." — Der kleine Peter: „Ach,
sich nur, Mama, der eine arme Löwe in der Ecke da kriegt
gar nix."

17*
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Verirrtes Mitleid"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Bechstein, Ludwig
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Kunstbetrachtung
Mitleid <Motiv>
Museum <Motiv>
Sohn <Motiv>
Ausstellung <Motiv>
Kindermund
Löwe <Motiv>
Märtyrer <Motiv>
Gemälde
Fächer
Märtyrerin
Karikatur
Mutter <Motiv>
Vater <Motiv>
Buch <Motiv>
Handgeste
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 63.1875, Nr. 1579, S. 131
 
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