Fliegende Blätter (63.1875 (Nr. 1563-1588))

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'S Vrrncli.

(Schluß.)

Endlich konnte Raum gemacht werde», besonders da es
hieß, das Eierwerfen beginne.

Diese alte Volkssittc oder vielmehr Wette besteht darin,
daß der Eine der beiden Gegner eine bestimmte Anzahl Eier
in großem Bogen über den Platz in eine Art Korb von Tuch
(Kratten) iverfen soll, mit welchem ein Kamerad die Eier auf-
zufangen trachtet. Soivohl das Werfen, als das Auffangen er-
fordert große Sicherheit und Geschicklichkeit, um möglichst wenig
Eier ans die Erde fliegen zu lassen.

Der zweite Gegner hat die Ausgabe, eine bestimmte Tour
zu Fuß im Laufschritt hin und zurück zu machen. Kommt
letzterer zurück, bevor der Eierwerfer mit dem Werfen zu Ende,
so hat der Läufer gewonnen und umgekehrt.

IV.

Der Sepp stand neben dem großen mit Eiern gefüllten
Korb, und legte, die kräftigen Arme nackt, eben weit aus zum
ersten Wurf, indes; der Heiri, >vie ein Bolzen von der Arm-
brust geschnellt, zum Dorf hinausschoß. Seine Aufgabe war,
den gefährlichen Weg zum „Wildkirchli", das an senkrechter
Felswand wie ein Schwalbennest in schwindelnder höhe
klebte, hin- und znrückznmachen, und vom Pater Bastian, der
in der Kapelle hauste, ein Bilde! mitzubringen.

Der Weg war steinig und mit Geröll besäet, was das
Aufwärtsklimmen unendlich beschwerlich machte; aber cs galt
sein Höchstes, drum stieg er keuchend rastlos ivcitcr. Einmal
sah er zurück hinunter in den summenden Volkshaufen, über
welchen in hohem Bogen die Eier wie weiße Pünktlcin hin-
flvgcn. „Das sind die Sandkörner in meiner Todtenuhr",
murmelte er. Die Zähne aufeinander gebiffen, lief und stieg
und kletterte er höher und höher.

Das Blut stieg ihm in den Kopf, und der glühte, und
brannte, als möcht' er zerspringen; die Schläfe hämmerten
und pochten wie Schmiedehämmer aus das Gehirn, und die
Augen traten weit ans ihren Höhlen. Eine wilde Wuth er-
faßte ihn: „Du mußt gewinnen", sagt er sich, und weiter,

weiter, den nächste» Weg, senkrecht hinauf, mit Händen und
Füßen, mit den Zähnen packt er sich fest an den vereinzelten
Grasstauden und Gestrüppen — plötzlich tönt ganz nahe das
Glöcklein vom Wildkirchli in lieblichen Klängen über das Thal
— ein paar Rücker — ei» Sprung — und Heiri steht oben.

Ein tiefer Athemzug, dann wollt' er die Mütze vom

Haupte nehmen zum Avelänten — sic war ihm beim Aufstieg
verloren gegangen. „Vorwärts."' Rasch trat er hinein zum
Pater in's Kirchlein, der am Glockenstrange zog. Der ließ
nicht ab vom Läuten, sondern langte mit der andern Hand aus
seiner Kapuze ein Bildlein heraus und rief dem Heiri zu: „Da

hast's, Heiri, ich hab's schon gewußt, bet' ein Vaterunser und

geh' mit Gott." Heiri nahm das Heiligenbild, kniete nieder
und betete sein Vaterunser mit tiefer Andacht. Dann stund er
auf: „B'hüt Gott, Pater, schön'Dank!" und hinunter schoß er
über den Abhang, daß der Pater erschrocken den Glockenstrang
fahren ließ und an den Rand des Abgrundes trat, Ivo er den
Heiri bereits tief unten weiter thalab gleiten sah.

„Der bricht den Hals; Gott sei seiner armen Seel' gnädig",
murmelte der Alte und ging zurück in seine Klause.

Judeß Heiri den haarsträubenden Abgrund hinunterglitt,
bald eine senkrechte kahle Wand sorgfältig vermeidend, bald in
einer Geröllrutsche mit den unter seinen Füßen weichenden
j Steintrümmern hinunterfuhr, daß vor und hinter ihm die Steine
! um seinen Kopf flogen, deren er kaum achtete — bald von
einem Felsblock hinnntcrsprang ans einer Höhe, die ihm das

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