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S SSreneli.
sich
leerenden Korb auf dem Dorfplatz, von der murmelnden
Menge umringt, und sandte mit fester Hand Wurf auf Wurf
die Eier in hohem Bogen hinüber in den auffangenden
Kratten. Die Spannung im Volke stieg, als Sepp schon bis
auf den Baden des Korbs langte, um die Eier herauszuholen.
Die Meinungen waren getheilt unter den Zuschauern: „Er kommt
zu spät, der arme Heiri", sagten die Mädchen. „Schau, schau,
der Sepp wird das Vrencli kriegen — sie ivird's besser haben
bei ihm, als beim Heiri", riefen die Weiber. „Das wird sich
zeigen, Ihr naseweises Weibervolk!" fuhr der bewußte Gcmeinde-
diener Uli (Ulrich) die Weiber an und hieb mit der Schwcins-
blase über einige vordriugende Köpfe — er war Heiri's Pathe.
Es sind noch einige 6 bis 10 Eier im Korb, ein Wurf
— wieder einer — da geht ein Gemurmel durch die Menge
— von draußen kommt's und pflanzt sich fort wie die bran-
dende Welle am flachen Meercsstrand: „Er kommt" — „da
ist er" — „macht ihm Platz" — „der Heiri" — noch zwei
Eier, die letzten; Sepp eilt, hebt an zum Wurf, und durch die
sich öffnende Gasse des zuriickweichenden Volkes stürzt in großen
Sätzen Heiri in den Platz, hoch in der Hand das Bildchen
vom Pater Bastian. „Gewonnen!" schrcit's mit hciserm Ton ans
seiner Brust, und wie vom Blitz getroffen stürzt er schivcr zu Boden.
V.
Das Vreneli hatte gebetet gehabt, dann war der Vater
gekommen: „Vreneli, gehst mit zum Eierwerfen, das wird Dir
Freud' machen." „Nicht um Ehr' und Seligkeit", rief sie und
barg den Kopf in beide Hände. „Dummheiten," brummte der
Vater Jokeb, langte seinen Sonntagshut vom Nagel herunter,
warf den Rock über die eine Schulter und ging.
Das Vreneli schlich herum, als hätt's den Kopf verloren.
Es wollte alles Mögliche thun, um nur nicht daran zu denken;
aber es dachte an Nichts, als an's Eierwerfen. Der Vater
hatte ihr gesagt, welch' Wagestück der Heiri auszuführen hätte,
und ein tiefes Mitleidcu um ihren Einzigen Theuern zog in
ihr gekränktes Herz. „Er lvagt Leib und Leben daran um
meinetwillen — und was thut der Sepp?" Sie schaute hinaus.
Der Vater kam noch nicht. Es dauert so lange und ihr ivird
so drückend bang. Da drüben durch die Fenster von Vaters
Schlafstube sieht man hinauf zum Wildkirchli -— „vielleicht
kann ich ihn seh'n" — und schon stand sie in des Vaters
Süibe und spähte pochenden Herzens in den Sommerabend
hinaus zur Felswand. „Da — dort der Punkt — das ist
ein Mensch — um Gotteswillen — das muß der Heiri sein;
er stürzt — er fällt, nein jetzt steht er aus, und jetzt — o
heilige Maria Mutter Gottes Hab' Erbarmen und sei barmherzig
mit ihm: ich — ich Hab — ihn — so — so lieb."
Sic sank abermals ans die Knie und betete für das Wohl
ihres Heiri lange, lange; dann stund sic auf. Er mußte im Dorf nn-
gekommen sei», denn sie sah nichts mehr am Berg. Sic schaute auf
den Weg zu Schwendi: Niemand — sie ging vor's Haus: sie sah
keinen Menschen kommen. „Er muß kommen, er könnt' schon
da sein; wenn ihm' nur Nichts geschehen ist", — und schon
begann sic, hastig dem Dorfe zuzneilen. Sic lief und lief immer
schneller, eine ungeheuere Angst schnürte ihr die Kehle zusammen
und machte die Kniee zittern. Jetzt kommen ein paar Leute ihr
entgegen, mit verstörten, blassen Mienen.
„Wo ist er?" schrcit's Vreneli und fliegt an ihnen vorüber.
Sic läßt sich nicht aufhalten. Endlich das Dorf — dort das
Volk — und mitten drin ein Knäuel Menschen, — und mitten
durch das Volk und in den Knäuel drängt sich 's Vreneli und
wirft den Einen rechts, den Andern links; „'s Vreneli", sagen
sic erschrocken und machen Platz — und auf dem Boden liegt
der Heiri, todtenblaß in einer Blutlache, in der Rechten des Paters
Bildchen. „Heiri", schrcit's Vrencli und wirft sich über die geliebte
Leiche und will ihren Heiri wieder erwecken mit ihren warmen
Küssen. Alles ist stumm und entblößt die Häupter. Ein Blut-
sturz hatte den Heiri getroffen in seiner größten Seligkeit.
VI.
„Es hat nicht sein sollen", hatte der Vater Jokeb gesagt,
„und mir ist der Sepp doch lieber sür's Vreneli." Und der
Sepp kam auch, nachdem die erste Zeit über Heiri's Grab weg-
geranscht und der wildeste Schmerz in Vreneli's Brust ausgc-
tobt. Der Winter kam und deckte sein weißes Tuch über
Berg und Thal und Hütten und Kirchhof, und dem Vreneli
lag's wie ein Leichentuch ans dem Herzen, unter dem sein ganzes
Glück begraben lag, — tobt und vorbei für immer.
S SSreneli.
sich
leerenden Korb auf dem Dorfplatz, von der murmelnden
Menge umringt, und sandte mit fester Hand Wurf auf Wurf
die Eier in hohem Bogen hinüber in den auffangenden
Kratten. Die Spannung im Volke stieg, als Sepp schon bis
auf den Baden des Korbs langte, um die Eier herauszuholen.
Die Meinungen waren getheilt unter den Zuschauern: „Er kommt
zu spät, der arme Heiri", sagten die Mädchen. „Schau, schau,
der Sepp wird das Vrencli kriegen — sie ivird's besser haben
bei ihm, als beim Heiri", riefen die Weiber. „Das wird sich
zeigen, Ihr naseweises Weibervolk!" fuhr der bewußte Gcmeinde-
diener Uli (Ulrich) die Weiber an und hieb mit der Schwcins-
blase über einige vordriugende Köpfe — er war Heiri's Pathe.
Es sind noch einige 6 bis 10 Eier im Korb, ein Wurf
— wieder einer — da geht ein Gemurmel durch die Menge
— von draußen kommt's und pflanzt sich fort wie die bran-
dende Welle am flachen Meercsstrand: „Er kommt" — „da
ist er" — „macht ihm Platz" — „der Heiri" — noch zwei
Eier, die letzten; Sepp eilt, hebt an zum Wurf, und durch die
sich öffnende Gasse des zuriickweichenden Volkes stürzt in großen
Sätzen Heiri in den Platz, hoch in der Hand das Bildchen
vom Pater Bastian. „Gewonnen!" schrcit's mit hciserm Ton ans
seiner Brust, und wie vom Blitz getroffen stürzt er schivcr zu Boden.
V.
Das Vreneli hatte gebetet gehabt, dann war der Vater
gekommen: „Vreneli, gehst mit zum Eierwerfen, das wird Dir
Freud' machen." „Nicht um Ehr' und Seligkeit", rief sie und
barg den Kopf in beide Hände. „Dummheiten," brummte der
Vater Jokeb, langte seinen Sonntagshut vom Nagel herunter,
warf den Rock über die eine Schulter und ging.
Das Vreneli schlich herum, als hätt's den Kopf verloren.
Es wollte alles Mögliche thun, um nur nicht daran zu denken;
aber es dachte an Nichts, als an's Eierwerfen. Der Vater
hatte ihr gesagt, welch' Wagestück der Heiri auszuführen hätte,
und ein tiefes Mitleidcu um ihren Einzigen Theuern zog in
ihr gekränktes Herz. „Er lvagt Leib und Leben daran um
meinetwillen — und was thut der Sepp?" Sie schaute hinaus.
Der Vater kam noch nicht. Es dauert so lange und ihr ivird
so drückend bang. Da drüben durch die Fenster von Vaters
Schlafstube sieht man hinauf zum Wildkirchli -— „vielleicht
kann ich ihn seh'n" — und schon stand sie in des Vaters
Süibe und spähte pochenden Herzens in den Sommerabend
hinaus zur Felswand. „Da — dort der Punkt — das ist
ein Mensch — um Gotteswillen — das muß der Heiri sein;
er stürzt — er fällt, nein jetzt steht er aus, und jetzt — o
heilige Maria Mutter Gottes Hab' Erbarmen und sei barmherzig
mit ihm: ich — ich Hab — ihn — so — so lieb."
Sic sank abermals ans die Knie und betete für das Wohl
ihres Heiri lange, lange; dann stund sic auf. Er mußte im Dorf nn-
gekommen sei», denn sie sah nichts mehr am Berg. Sic schaute auf
den Weg zu Schwendi: Niemand — sie ging vor's Haus: sie sah
keinen Menschen kommen. „Er muß kommen, er könnt' schon
da sein; wenn ihm' nur Nichts geschehen ist", — und schon
begann sic, hastig dem Dorfe zuzneilen. Sic lief und lief immer
schneller, eine ungeheuere Angst schnürte ihr die Kehle zusammen
und machte die Kniee zittern. Jetzt kommen ein paar Leute ihr
entgegen, mit verstörten, blassen Mienen.
„Wo ist er?" schrcit's Vreneli und fliegt an ihnen vorüber.
Sic läßt sich nicht aufhalten. Endlich das Dorf — dort das
Volk — und mitten drin ein Knäuel Menschen, — und mitten
durch das Volk und in den Knäuel drängt sich 's Vreneli und
wirft den Einen rechts, den Andern links; „'s Vreneli", sagen
sic erschrocken und machen Platz — und auf dem Boden liegt
der Heiri, todtenblaß in einer Blutlache, in der Rechten des Paters
Bildchen. „Heiri", schrcit's Vrencli und wirft sich über die geliebte
Leiche und will ihren Heiri wieder erwecken mit ihren warmen
Küssen. Alles ist stumm und entblößt die Häupter. Ein Blut-
sturz hatte den Heiri getroffen in seiner größten Seligkeit.
VI.
„Es hat nicht sein sollen", hatte der Vater Jokeb gesagt,
„und mir ist der Sepp doch lieber sür's Vreneli." Und der
Sepp kam auch, nachdem die erste Zeit über Heiri's Grab weg-
geranscht und der wildeste Schmerz in Vreneli's Brust ausgc-
tobt. Der Winter kam und deckte sein weißes Tuch über
Berg und Thal und Hütten und Kirchhof, und dem Vreneli
lag's wie ein Leichentuch ans dem Herzen, unter dem sein ganzes
Glück begraben lag, — tobt und vorbei für immer.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"'S Vreneli"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 63.1875, Nr. , S. 18
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg