Dcr billige Schweinetransport.
ihrem Nachtcostüme. Als sie in die Kammer traten, saß Jan
Peter Timm am Tisch und verzehrte in großer Ruhe sein
Abendessen, das er sich selbst herbeigcholt hatte.
„Naber, Naber" — sagten die Nachbarn, und schüttelten
den vermeintlich Wahnsinnigen beim Arme — „Du büst doch
sunst en vernünft'ger Keerl — kumm, besinn' Die doch" —
aber dieser ließ sich durchaus nicht stören, blieb ruhig bei sei-
ner früheren Erzählung, und endlich schlichen die Bauern den
verlassenen Lagerstätten zu, indem sie ihre Hoffnung ausspra-
chen, er werde wohl über Nacht sich besinnen. —
Am andern Morgen hieß es in ganz Wurstdorf, der
Halbhufner Jan Peter Timm habe seinen Reisegefährten in
einer Anwandlung von Wahnsinn umgebracht, und seine Ehefrau
selbst sei kaum feinem Blutdurst entflohen. Die alten Frauen
des Dorfes entwickelten mit großer Wonne beim Kaffee die
I möglichen Folgen dieser unerhörten That, die Männer, die
zum Pflügen ausgingen, standen im Vorübergehen hie und da
still und kopfschüttelten bedenklich — aber Herr Adam Nöffel,
der ehrsame Büttel, hatte kaum dies Factum vernommen, als
er in seinen Amtsrock fuhr und sich mit gravitätischer Miene,
187
„jeder Zoll ein Büttel," in das Gehöfte Jan Peter Timm's
begab. —
Dieser blutige Verbrecher war eben im Begriff, durch das
Feld lustwandelnd den Stand des Getreides zu mustern, als
Herr Adam Nöffel am Hofthor erschien. Von hier aus, in
gemesiener Entfernung, denn mit solchen Geisteskranken ist nicht
zu spaßen, begann der Büttel sein Examen. Zu seiner großen
Freude gestand Jan Peter Timm Alles, außer dem Attentat
auf seine Ehefrau, ein. Zu seiner Freude, denn so wie der
Arzt sich an einem seltnen Krankheitsfall innerlich erquickt, sei
es auch auf die Gefahr eines Menschenlebens hin — so ge-
reichte dieser eigenthümliche onsus in der amtlichen Thätigkeit
des Herrn Adam Nöffel diesem zu besondrer Genugthuung.
Diese stille Seelenwonne ward natürlich noch gesteigert, als
der Verruchte ihm unweigerlich aufs Gerichtszimmcr folgte. —
Hier nun stellte der Herr Gerichtsaffessor natürlich ein
hübsch genaues Examen mit den gehörigen Querfragen an,
dessen Resultat war:
„Der Halbhufner Jan Peter Timm sei mit seinem Reise-
„ geführten, einem Otterndorfer, von mittlerer Statur,
„blondem Haar und kleinen grauen Augen auf dem
„Dobrok in Meinungsverschiedenheit gerathen, und habe
„ihn umgebracht und eingescharrt."
Als hierauf der Herr Gerichtsaffeffor noch den Delinquen- >
ten fragte, ob er Willens sei, die Stelle auf dem Dobrok
anzugeben, wo die haarsträubende That geschehn sei, erwiderte
dieser freundlich: „Worum dat nich?" —. So fuhr denn am j
Morgen deffelbigen Tages noch eine Untersuchungs-Commission,
bestehend aus dem Herrn Gerichtsaffessor. einem 8e«retario und
zweien Beisitzenden nebst Herrn Adam Nöffel und dem Verbre- :
chcr nach dem Dobrok ab.—
Man kam an die bewußte Stelle des Waldes. Jan Peter i
Timm leitete die Commission in das Gebüsch — wahrhaftig, man
fand den Haufen von Gestrüpp, unter dem die Leiche lag! —
Alles schauderte — „Adam Nöffel," sagte mit schwacher
Stimme der Gerichtsaffeffor, „thun Sie, was Ihres Amtes ist!"
Man glaube nicht, daß der Büttel Furcht kannte! Er hatte
zwei Jahre Casernendienst gethan, kannte also die Gefahren
und das Fürchterliche des Krieges, war darauf zwanzig Jahre
Bediente bei dem Herrn Gerichtsassessor gewesen — welche
Schule! — und war jetzt seit zwölf Jahren Büttel zu Wurst- i
dors. — Furcht kannte er nicht, nur eine gewiffe Pietät be-
meisterte sich seines Gcmüthes. Jetzt aber — die heilige
Pflicht des Amtes rief — ganz Europa sah auf ihn — —
mit Todesverachtung trat er näher und begann den Haufen
abzudecken. —
Bald ward ein Fuß des Schweines sichtbar — der Herr
Gerichtsaffeffor schob die Brille weiter auf die Nase und rief:
„Seltsam!" — der Sekretarius neigte sich vorüber und sagte:
„Wirklich seltsam!"
Die Herren Bcisitzenden rückten sich näher und hauchten:
„Seltsam in der That — —"
Aber als nun das Unerhörte geschah, und der Cadaver des
Schweins den Blicken der Commiffion enthüllt ward — da —
24
ihrem Nachtcostüme. Als sie in die Kammer traten, saß Jan
Peter Timm am Tisch und verzehrte in großer Ruhe sein
Abendessen, das er sich selbst herbeigcholt hatte.
„Naber, Naber" — sagten die Nachbarn, und schüttelten
den vermeintlich Wahnsinnigen beim Arme — „Du büst doch
sunst en vernünft'ger Keerl — kumm, besinn' Die doch" —
aber dieser ließ sich durchaus nicht stören, blieb ruhig bei sei-
ner früheren Erzählung, und endlich schlichen die Bauern den
verlassenen Lagerstätten zu, indem sie ihre Hoffnung ausspra-
chen, er werde wohl über Nacht sich besinnen. —
Am andern Morgen hieß es in ganz Wurstdorf, der
Halbhufner Jan Peter Timm habe seinen Reisegefährten in
einer Anwandlung von Wahnsinn umgebracht, und seine Ehefrau
selbst sei kaum feinem Blutdurst entflohen. Die alten Frauen
des Dorfes entwickelten mit großer Wonne beim Kaffee die
I möglichen Folgen dieser unerhörten That, die Männer, die
zum Pflügen ausgingen, standen im Vorübergehen hie und da
still und kopfschüttelten bedenklich — aber Herr Adam Nöffel,
der ehrsame Büttel, hatte kaum dies Factum vernommen, als
er in seinen Amtsrock fuhr und sich mit gravitätischer Miene,
187
„jeder Zoll ein Büttel," in das Gehöfte Jan Peter Timm's
begab. —
Dieser blutige Verbrecher war eben im Begriff, durch das
Feld lustwandelnd den Stand des Getreides zu mustern, als
Herr Adam Nöffel am Hofthor erschien. Von hier aus, in
gemesiener Entfernung, denn mit solchen Geisteskranken ist nicht
zu spaßen, begann der Büttel sein Examen. Zu seiner großen
Freude gestand Jan Peter Timm Alles, außer dem Attentat
auf seine Ehefrau, ein. Zu seiner Freude, denn so wie der
Arzt sich an einem seltnen Krankheitsfall innerlich erquickt, sei
es auch auf die Gefahr eines Menschenlebens hin — so ge-
reichte dieser eigenthümliche onsus in der amtlichen Thätigkeit
des Herrn Adam Nöffel diesem zu besondrer Genugthuung.
Diese stille Seelenwonne ward natürlich noch gesteigert, als
der Verruchte ihm unweigerlich aufs Gerichtszimmcr folgte. —
Hier nun stellte der Herr Gerichtsaffessor natürlich ein
hübsch genaues Examen mit den gehörigen Querfragen an,
dessen Resultat war:
„Der Halbhufner Jan Peter Timm sei mit seinem Reise-
„ geführten, einem Otterndorfer, von mittlerer Statur,
„blondem Haar und kleinen grauen Augen auf dem
„Dobrok in Meinungsverschiedenheit gerathen, und habe
„ihn umgebracht und eingescharrt."
Als hierauf der Herr Gerichtsaffeffor noch den Delinquen- >
ten fragte, ob er Willens sei, die Stelle auf dem Dobrok
anzugeben, wo die haarsträubende That geschehn sei, erwiderte
dieser freundlich: „Worum dat nich?" —. So fuhr denn am j
Morgen deffelbigen Tages noch eine Untersuchungs-Commission,
bestehend aus dem Herrn Gerichtsaffessor. einem 8e«retario und
zweien Beisitzenden nebst Herrn Adam Nöffel und dem Verbre- :
chcr nach dem Dobrok ab.—
Man kam an die bewußte Stelle des Waldes. Jan Peter i
Timm leitete die Commission in das Gebüsch — wahrhaftig, man
fand den Haufen von Gestrüpp, unter dem die Leiche lag! —
Alles schauderte — „Adam Nöffel," sagte mit schwacher
Stimme der Gerichtsaffeffor, „thun Sie, was Ihres Amtes ist!"
Man glaube nicht, daß der Büttel Furcht kannte! Er hatte
zwei Jahre Casernendienst gethan, kannte also die Gefahren
und das Fürchterliche des Krieges, war darauf zwanzig Jahre
Bediente bei dem Herrn Gerichtsassessor gewesen — welche
Schule! — und war jetzt seit zwölf Jahren Büttel zu Wurst- i
dors. — Furcht kannte er nicht, nur eine gewiffe Pietät be-
meisterte sich seines Gcmüthes. Jetzt aber — die heilige
Pflicht des Amtes rief — ganz Europa sah auf ihn — —
mit Todesverachtung trat er näher und begann den Haufen
abzudecken. —
Bald ward ein Fuß des Schweines sichtbar — der Herr
Gerichtsaffeffor schob die Brille weiter auf die Nase und rief:
„Seltsam!" — der Sekretarius neigte sich vorüber und sagte:
„Wirklich seltsam!"
Die Herren Bcisitzenden rückten sich näher und hauchten:
„Seltsam in der That — —"
Aber als nun das Unerhörte geschah, und der Cadaver des
Schweins den Blicken der Commiffion enthüllt ward — da —
24
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der billige Schweinetransport"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Tumult <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 9.1848, Nr. 216, S. 187
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg