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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 4): Denkmäler der neueren Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3504#0081
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Das St. inflreas-Fort in Venedig.

Die Fortschritte, die die Kriegswissenschaft im XVI Jahrhundert infolge der Erfindung des Schiess-
pulvers und der Anwendung von Feuerwaffen machte, führte bald auch zu einem neuen Befestigungs-System.
Unter den italienischen Architecten, die sich damals ganz besonders mit Befestigungsbauten beschäftigten,
zeichnete sich der berühmte Veronese San-Micheli aus. Derselbe hatte in jener Zeit mannichfaltige
Gelegenheit sein Talent für diesen Zweig der Architectur in einer Menge von Befestigungsbauwerken zu
zeigen, die fast sämmtlich seine grosse Kenntniss des Vertheidigungskrieges bei Belagerung fester Plätze
beweisen, wovon alle neuen Verbesserungen an den Thoren von Verona, das Fort Lido u. a. m. Zeugniss
ablegen. Seine Befestigungsbauten machten eine vollständige Revolution in der Kriegsbaukunst.

Das Talent und der Ruf dieses Architecten als Kriegsbaumeister Hess die Fürsten und Monarchen
seiner Zeit oft seine Hülfe suchen; unter Anderen wünschte auch Franz I und Carl V seine Beihülfe und
seinen Rath bei Anlage von Befestigungen, mit denen sie einige Städte ihrer Reiche umgeben wollten,
machten aber vergebliche Anstrengungen ihn zu gewinnen. San-Micheli verliess nicht den italischen
Boden, ja der grösste Theil seiner ausgeführten Entwürfe zu Befestigungsbauten findet sich auf einem
ziemlich engen Räume zusammengedrängt. Die Geschichte und die Kritik bezeichnen als eines seiner
Hauptwerke das St. Andreas-Fort des Lido in Venedig.'")

Nach der Erzählung der Geschichtsschreiber fasste der Rath der Republik damals den Plan beim
Eingange in den Hafen des Lido ein Vertheidigungswerk aufzuführen, dass diesen Ort gegen jeden äussern
Angriff sicher stellen sollte. Der Senat Venedigs verhehlte sich die Schwierigkeiten nicht, die die
Wahl des Ortes und die Beschaffenheit des Terrains einem solchen Unternehmen entgegen stellen würden,
traute aber dem Talent und der Kenntniss San-Micheli's zu, dass er sie zu besiegen wissen würde und
beauftragte ihn sogleich die Mittel der Ausführung ausfindig zu machen. Die Schwierigkeiten, die sich
der letzteren entgegen stellten, schreckten den Künstler nicht zurück, sondern spornten ihn vielmehr an.
Mit Feuer ging er ans Werk, und nach vielem Sinnen, Untersuchen und Nachtwachen lieferte er in sehr
kurzer Zeit ein so zufriedenstellendes Project oder Modell, dass er sogleich mit der Ausführung desselben
beauftragt wurde.

Man hatte es bis dahin für unmöglich erachtet, ein so wichtiges Bauwerk auf einem sumpfigen Boden,
der beständig von den Meereswogen gepeitscht wurde, in dauerhafter und solider Weise aufzuführen.
San-Micheli nahm alle Maassregeln, um seinen Baugrund zu befestigen und zum Tragen eines so unge-
heuren Gewichts geeignet zu machen. Er umgab den ganzen Platz, den das Fort einnehmen sollte, mit
einer doppelten Reihe von Spund-Pfählen und schüttete Erde dazwischen, oder er umschloss, wie man
sich technisch ausdrückt, den Bauplatz mit einem Fangedamm. Darauf liess er den Boden der Baustelle
ausheben. Er hatte dabei oft mit dem Wasser zu kämpfen, das von allen Seiten in die Baugrube eindrang.
Aber auch dieses Hinderniss vvusste er zu beseitigen, und nachdem er seine Gründung mittelst über
einander aufgeführter Schichten grosser Steinblöcke vollendet hatte, konnte er die Basis seiner Citadelle
über den Wasserspiegel erheben und den Oberbau seines Befestigungsbaues beginnen.

Aber jetzt regten sich, wie bei vielen anderen ähnlichen Fällen, Neid und Eifersucht und verbreiteten
über das unternommene Werk tausend verläumderische Gerüchte; als z. B. dass das schwere Geschütz,
mit dem das Fort versehen werden sollte, unfehlbar den Einsturz desselben herbeiführen würde, sobald
man sich seiner bedienen würde. Ueberzeugt von der Festigkeit seines Baues bat San-Micheli den Senat
durch eine Probe solche Gerüchte zu widerlegen. Man brachte alsbald die schwersten Stücke des Arsenals
in das Fort und besetzte dasselbe mit ihnen so viel man Platz dazu fand; sie wurden geladen und alle
auf ein Mal abgefeuert. Die Probe war gemacht; ungeachtet der Erschütterung, die eine Salve schweren
Geschützes nothwendig auf ein neues Bauwerk machen musste, zeigte dasselbe doch nirgends einen Riss
oder Sprung; es war vollkommen unversehrt. Der Neid musste schweigen, und das Verdienst des
Architecten ging triumphirend aus diesem Versuche hervor.

Dieses Fort oder diese Art Citadelle giebt eine so gute Verteidigung des Meeres und der Kanäle,
die es umgeben, dass, wenn man es heute bauen würde, man es nicht anders anlegen könnte. Ausserdem
entspricht noch die Schönheit des Werkes überall seiner Solidität und Stärke. Es ist aus grossen Blöcken
istrischen Steins in horizontalen Schichten erbaut, die Kanten der Quadern sind an ihrer Aussenfläche
gebrochen, welche Bossagen San-Micheli fast immer bei den Aussenwänden seiner Befestigungsbauten
anwendete.

*) Dasselbe erhielt seinen Namen von einer nahen diesem Apostel geweihten Kirche auf einer benachbarten Insel.
Denkmäler der Baukunst. LXIX. Lieferung.
 
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