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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 4): Denkmäler der neueren Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3504#0098
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Das Schloss Chambord.

Vier Stunden von Blois und in der grossen Ebene der Sologne ist ein Bauwerk gelegen, das durch
seine historische Wichtigkeit zugleich das Interesse der Reisenden und der Alterthumsfreunde erregt
Dieses Bauwerk ist das berühmte Schloss Chambord, das im sechszehnten Jahrhundert an der Stelle
eines mittelalterlichen Adelssitzes, den Franz I abbrechen liess, erbaut wurde.

Die ersten Spuren von dem Dasein dieses Ortes finden sich allem Anschein nach am Ende des
zwölften Jahrhunderts, und die Urkunden lehren uns, dass der Name desselben anfangs Camborium war
welches nach und nach in Chambost, Chambourg und zuletzt in den jetzigen Namen Chambord überging

Erbaut wurde das ältere Schloss von den Grafen von Blois, welches, nachdem es lange bewohnt
worden, verlassen da stand und zu einem simplen Jagd -Rendez -vous benutzt wurde. Dies war wenigstens
seine letzte Bestimmung, als Ludwig XII es kaufte und es mit den Krondomainen vereinigte. Dieser
Ort, der in der Nachbarschaft des Schlosses Romorantin liegt, das von der Herzogin von Angouleme, der
Mutter Franz des Ersten bewohnt wurde, war oft Zeuge der Jugend-Spiele dieses Fürsten. Der junge
Herzog von Angouleme kam oft hierhin, des Jagdvergnügens halber, während seine Mutter, wegen ihres
schlechten Einverständnisses mit Anna von Bretagne, der ersten Frau Ludwigs XII, vom Hofe entfernt,
ihr Leben in Zurückgezogenheit zubringen musste, und bald auf ihrem Schlosse in Cognac, am häufigsten
aber in Romorantin wohnte.

Die Kriegszüge Karls VIII, Ludwigs XII und Franz des Ersten nach Italien hatten die Franzosen mit
der grossen Kunstrevolution, die dort eben vor sich ging, bekannt gemacht; es entstanden damals in
Italien wie um die Wette Bauwerke in einem neuen Style, die auf Befehl der Medicis und anderer hoher
Herren errichtet wurden. Es muss wohl der Anblick dieser neuen Gebäude auf die Franzosen einen
tiefen Eindruck gemacht haben, denn der Sieger von Marignano war kaum nach Frankreich zurückgekehrt,
als er auch schon sein Land mit grossen Bauwerken schmücken wollte, zu denen er offenbar auf italischem
Boden inspirirt worden war. Bald nach des Königs Rückkehr wurden an verschiedenen Punkten Frankreichs
kostbare Bauten unternommen; dem Beispiel ihres Souverains folgten die grossen Herren und hohen
Würdenträger des Landes und bauten für sich prächtige Schlösser. Dieser denkwürdigen Zeit eines
unerhörten Luxus und Reichthums verdanken wir jene reizenden königlichen Residenzen, als da sind oder
waren Fontainebleau, der Louvre, Blois, Madrid, Chambord, Saint-Germain, Varangeville, Azay-le-Rideau,
Nantouillet, Chenonceaux etc., alles Bauwerke, deren Studium für den Alterthumsfreund von dem grössten
Interesse ist.

Franz I, der, wie wir so eben sagten, ein grosser Liebhaber der neuen italienischen Kunst geworden

war, fand in seinem Königreiche nicht Künstler, die in jener neuen Richtung der Kunst eingeweiht waren;

er musste zur Ausführung seiner Pläne eine Anzahl italienischer Architecten und Bildhauer berufen. Die

Anwesenheit dieser fremden Künstler in Frankreich brachte unter den daselbst einheimischen sogleich

eine Spaltung und Trennung hervor; die einen, die sich besonders mit Kirchenbau beschäftigten, blieben

bei dem Styl der vorigen Epoche, und die anderen, die sicherlich von Natur mehr das Neue und den

Wechsel liebten, warfen sich mit Eifer in die neue Richtung der Kunst, und erwarben sich in verschiedenen

Zweigen derselben grossen Ruf. Wir wollen hier nur beiläufig in der Baukunst die Namen Philibert

Delorme, Pierre Lescot, Jean Bullaut, Ducerceau nennen; in der Sculptur Jean Juste, Michel Columb,

Jean Goujon, Pierre Bontemps, Germain Pilon etc., deren Werke sich durchaus von dem Kunststyl der

früheren Zeit unterscheiden. Der ältere Baustyl war so in seiner Existenz durch den Vorzug, den

man dem italienischen gab, sehr ernst bedroht; da suchte ein Architect aus Blois, Pierre Nepveu, in

seinem Geiste einen Mittelweg, der beide Style zu vereinigen im Stande wäre, und auf dem man einen

gemischten Styl hervorbringen könnte, der zugleich der ganzen Anlage und der Constructionen nach Theil

hätte an dem sogenannnten Spitzbogenstyle, und seinen Elementen und Details nach Theil hätte an dem

durch französisischen Geschmack modificirten neuen italienischen Style. Die Gelegenheit, die dieser

Architect zur Verwirklichung seiner Idee suchte, fand sich leicht zu der Zeit, wo Franz I das kleine

Schloss, das Zeuge seiner Jugendfreuden gewesen war, durch den Bau einer prächtigen königlichen

Residenz ersetzen Avollte, die sein Lieblingssitz werden sollte. Nepveu wurde vom Könige beauftragt die

Pläne zu dem Schlosse Chambord zu entwerfen und sodann unmittelbar die Ausführung derselben zu

beginnen. Die ersten Steine wurden im Jahre 1523 gelegt, und im Anfange des Baues waren viele Leute

bei demselben beschäftigt. Die Gefangenschaft König Franz's liess vielleicht den Bau langsamer betreiben;

aber als der König im Jahre 152(3 aus Spanien zurückkehrte, war damit ein neuer Impuls zur thätigeren

Fortsetzung des Baues s;e2;eben

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Während eines Zeitraums von zwölf Jahren arbeitete eine beträchtliche
Zahl von Handwerkern und Künstlern — man sagt achtzehnhundert — an diesem Bau, ohne denselben

Denkmäler der Baukunst. CXT. Lieferung-
 
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