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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 4): Denkmäler der neueren Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3504#0163
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Die Facade der Kirche St. Gervais uM St. Protais zu Paris.

(Der Text nach Jules Gailhabaud.)

Die den beiden Heiligen Gervasius und Protasius gewidmete Kirche zu Paris ist, ihrer Haupt-Masse
nach, ein Gebäude gothischen Styles. Chor, Ouerschiff und Langschiffe sind in dieser Weise aufgeführt;
doch ist ihnen im Uebergange des Mittelalters in die neuere Zeit, als die sogenannte Renaissance sich
entwickelte, bereits manches Moderne zugefügt worden, so dass man schon hier die klare Uebereinstimmung
des Styles vermisst. Völlig abweichend von der Haupt - Anlage wurde in noch späterer Zeit die Facade
ausgeführt. Wir betrachten die letztere, die ein selbständiges Ganzes ausmacht und die zugleich für eins
der wichtigsten Beispiele der französischen Architecturschule gilt, ohne hier auf die übrigen Theile der
Kirche näher einzugehen.

Die edle Zeit der Renaissance war vorüber. Die Architecten lebten nicht mehr, die unter Ludwig XII.,
Franz I. und Heinrich II. der Anmuth, der Reinheit und Eleganz der vielgerühmten italienischen Bau-
meister, welche die Zeit um den Beginn des sechszehnten Jahrhunderts verherrlichten, mit mehr oder we-
niger glücklichem Erfolge nachgeeifert hatten. In ihren Werken erkannte man nicht mehr das Ungemeine
und Nachahmungswürdige; man verlangte wieder nach neuer Herrlichkeit, und man liess es sich, jenen
grösseren Vorgängern hierin allerdings gleich, wiederum angelegen sein, die neuen Erfindungen der Italiener
dem Norden zuzuführen. Vignola war das allgemein verehrte Gestirn in der Welt des architectonischen
Schaffens geworden. Seine Entwürfe, seine Compositionen, denen das allgemeine Verdienst einer über-

dachten

regelrechten,

fasslichen und in gewissem Grade wirksamen Erfindung mehr oder weniger zu-

kömmt, verbreiteten sich über alle civilisirten Länder, gaben überall das Vorbild, das man, wenn auch
nicht ohne Modifikationen der einen oder andern Art, wie solche sich aus den lokalen Bedingungen und
Bedürfnissen, sowie aus den persönlichen Talenten der ausführenden Architecten ergeben mussten, nach-
zuahmen suchte. Es entstand ein Baustyl, als dessen Vorbild man die von Vignola begonnene und von
seinem Schüler Jacopo della Porta beendete Jesuiterkirche zu Rom betrachtete, und den man, da er sich
vorzugsweise bei den Kirchen des damals mächtig aufblühenden Jesuiterordens entfaltete, wohl als den
Jesuiterstyl benennt.

Damals liess Maria von Medicis, die Wittwe Heinrich's IV., den Palast des Luxembourg zu Paris
erbauen. Jacques de Brosses, von dessen Lebensumständen uns übrigens nichts bekannt ist und von dem
wir nicht einmal das Geburts- oder das Todesjahr wissen, führte diesen Bau zur grossen Zufriedenheit
seiner Herrin aus. Noch war der Palast nicht ganz beendet, als der Baumeister schon einen neuen Auftrag
erhielt, den nemlich, eine der grössten Kirchenfacaden modernen Styles, die Frankreich besitzt, — die
Facade der Kirche St. Gervais zu Paris, zu errichten. Am 16. Juli 1616 legte König Ludwig XIII. ei-
genhändig den Grundstein zu diesem Werke; nach fünf Jahren, im Jahre 1621, war dasselbe vollendet.

Der Styl der Facade gehört, in dem Allgemeinen der Conception, demjenigen an, den man als den
Jesuiterstyl zu benennen pflegt. Es ist der Einfluss der künstlerischen Richtung, die den Vignola und
seine Anhänger charakterisirt, darin zu erkennen. Die Facade bezeichnet den ersten bedeutsamen Eintritt
dieses Styles, der in Italien sich bereits allgemein verbreitet hatte, in Frankreich.

Die Art, wie dieser Styl hier durchgeführt ist, giebt sich aus der Zeichnung, die wir unsern Lesern
vorlegen, zur Genüge zu erkennen, und bedarf es dazu nur weniger begleitenden Worte. De Brosses
bekleidete die Facade mit Säulenstellungen römisch-antiker Art, die er in drei Geschossen übereinander-
stellte, unterwärts dorische Säulen, in der Mitte ionische, oberwärts korinthische. Seine Dekoration steht,
was bei der Anwendung antiker Formen eine nicht ganz leichte Aufgabe war, in schicklichem Verhältnisse
zu den Maassen des Gebäudes, dessen geringe Breite und ansehnliche Höhe durch das aufstrebende Princip
der gothischen Architectur bedingt waren. In diesem Betracht wirkt es namentlich günstig, dass jedes
obere Geschoss leichter behandelt ist, nicht bloss durch die Anwendung der schwereren Säulenordnung
im unteren Theil und der leichteren im oberen, sondern auch durch die, in derselben Weise sich verrin-
gernde Stärke der Säulen und der davon abhängigen andern Details.

Das untere und das Mittelgeschoss haben jedes acht Säulen, von denen je zwei und zwei nebeneinander
stehen, und über denen, fast durchgängig, das Gebälk vorgekröpft ist. Die vier mittleren Säulen des
Untergeschosses schliessen das Hauptportal ein und bilden eine Art Portikus, indem über ihnen das
Gebälk durchgehend vortritt und mit einem besonderen Giebel gekrönt ist. Dem Hauptportal entspricht
im Mittelgeschoss das grosse Fenster; in den Nischen zu den Seiten standen ursprünglich die Statuen der
beiden Schutzpatrone der Kirche, von denen dieselbe ihren Namen führt. Das Obergeschoss hat geringere
Breite und ist nur mit vier Säulen versehen.

Denkmäler der Baukunst. XXVIII. Lieferung b.

Es ist mit einem bogenförmigen Giebel geschmückt, den
 
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