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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 4): Denkmäler der neueren Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3504#0122
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Die Kirche von Vetheuil (Portale.)

Die Notre-Dame-Kirche zu Vetheuil"') datirt aus drei sehr verschiedenen Zeiten: der Chor wurde von
Heinrich II, dem Könige von England, gegen das Ende der Regierung Ludwig's des Kindes erbaut; der
Thurm ist aus dem vierzehnten Jahrhundert; man schreibt den Bau desselben der Johanna von Evreux, der
dritten Frau Karls des Schönen zu, die 1370 starb. Die Sakristei trägt die Jahrszahl 1533, ist also unter
Franz I erbaut worden. Aus der Regierung eben dieses Fürsten und seines Nachfolgers stammen das jetzige
Schiff der Kirche, das westliche Portal und die Portale des Ouerschiffs. Das Bauwerk wurde im Jahre 1550
vollendet, aber erst im Jahre 1588 eingeweiht.

Die westliche Facade der Kirche von Vetheuil besteht aus dem Hauptportal mit Flügeln zu jeder Seite;
die Wände der letzteren sind ganz nackt und haben keine Fenster; jede derselben wird durch zwei wenig
vorspringende Strebepfeiler verstärkt und von einem durchbrochen gearbeiteten Geländer gekrönt. Der Portal-
bau macht einen Vorsprung und wird an beiden Seiten von viereckigen Treppenthürmchen begränzt (m. s.
den Grundriss Fig. 1 auf der Tafel der Details); derselbe hat drei Stockwerke, von denen jedes obere niedriger
als das darunter liegende ist.

Das unterste Stockwerk, das höher ist als die beiden andern zusammen, erreicht beinah dieselbe Höhe
wie die Flügelmauern. Es hat zwei Thüren, deren Sturz ein gedrückter Bogen ist; an dem Mittelpfeiler
dieser Thüren befindet sich unter einem Baldachin die Figur einer Caritas, die auf einer kurzen Säule mit
Säulenstuhl steht (m. s. Fig. 3). Ueber den Thüren sind drei im Halbkreis geschlossene Nischen zwischen
einer Pilasterstellung angeordnet, deren Gebälk drei kleine Ziergiebel krönen. Dieses Arangement wird von
einem grossen Halbkreisbogen mit reich verzierter Archivolte eingeschlossen. Die dreieckigen Felder zwischen
dieser und dem Gebälk des unteren Stockwerks des Portalbaus sind mit Medaillons geschmückt. Die Eck-
pfeiler des Portals, die vor der Facadenmauer der Treppenthürmchen vorspringen, sind an ihren Vorder- so
wie an ihren dem Eingang zugekehrten Seitenflächen mit zwei Nischen übereinander decorirt (m. s. Fig. 2),
die zur Aufnahme von Statuen angeordnet wurden. Diese Nischen werden von Baldachinen gekrönt, von
denen der oberste pyramidenförmige in ein kleines Tempelchen mitKuppel ausgeht, wie dies in demRenaissance-
styl sehr gebräuchlich war. Am Fusse dieser Nischen befinden sich ganz ähnliche kurze Säulchen auf Piede-
stalen wie diejenige ist, die am Mittelpfeiler der Thüren die Caritas trägt. Dieses unterste Stockwerk des
Portals wird durch ein vollständiges Gebälk gekrönt, dessen Fries mit Triglyphen, und in den Metopen mit
Rosetten geschmückt ist (m. s. Fig. 4). Ueber dem Kranzgesimse, das von Consolen gestützt ist, steigt ein
flacher Giebel auf; das Tympanon desselben schmückte ein Basrelief, dessen Figuren aber wahrscheinlich
zu der Zeit zerstört wurden, wo man die Statuen aus den Nischen nahm. Dass letztere einst Figuren ent-
hielten beweist ein kleiner Kupferstich Israel Sylvesters.

Im zweiten Stockwerk sind an den Ecken der Treppenthürmchen sehr schlanke Säulchen auf niedrigem
Sockel angeordnet; die Treppenthürme werden durch eine Balustrade mit einander verbunden, an der sich
der eben besprochene Giebel des ersten Stockwerks anlehnt. In der Mittelpartie befinden sich zwei schmale,
mit dem Halbkreisbogen geschlossene Fenster, auf deren Kämpfer kleine ionische Pilaster stehen, die das
Gebälk, welches das zweite Stockwerk krönt, stützen helfen. Zwischen diesen Pilastern und den Archi-
volten der Fenster befinden sich Scudellen mit Köpfen, ein Schmuck, mit dem die Kunst der Renaissance
sehr verschwenderisch ist. Der Fries des Gebälks ist mit Muscheln verziert.

Das dritte Stockwerk ist sehr einfach. In der mittleren Partie erblickt man drei blinde Oeil-de-boeuf's;
die Treppenthürme werden eben so wie in dem zweiten Stockwerk durch eine Balustrade verbunden. Letztere
haben noch ein viertes Stockwerk, das aber im Grundriss achteckig ist; die dreieckigen Flächen, die aus
dem Unterschied der Grundrissform der beiden oberen Thurmstockwerke hervorgehen, sind zur Aufstellung
von Vasen benutzt. Die Ecken des Oktogons sind eben so wie in den unteren Etagen der Thürme mit
Säulchen decorirt; sie tragen ein Gebälk mit einer wunderlichen Krönung, über dem das Kuppeldach auf-
steigt; der Scheitel des letzteren trägt einen spitzigen Aufsatz. Die beiden letzten achteckigen Stockwerke
der Treppenthürme sind wie in den anderen mit einer Balustrade verbunden, über der sich ein sehr plump
aussehender Giebel in der Form eines Kreissegments erhebt, der sehr übel mit den zierlichen Thurmstock-
werken an seiner Seite contrastirt.

Fig. 5 zeigt das südliche Portal im Grundriss und Fig. 6 dasselbe im Durchschnitt. Dieses Portal
springt nicht vor sondern baut sich in das Gebäude hinein, was eine wenig übliche Anordnung ist. Sonst
hat es, wie man sieht, eine grosse Analogie mit dem so eben beschriebenen, es zeigt dasselbe System der

*) Der Flecken Vetheuil, lateinisch Vethelium, liegt auf dem rechten Seineufer 2 Stunden von der Stadt Mantes im Departement
der Seine und Oise.

Denkmäler der Baukunst. CXXXII. Lieferung.
 
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