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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 4): Denkmäler der neueren Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3504#0123
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Die Kirche von Vetheuil. (Portale.)

Composition und dieselben Verzierungen. Es ist als Halle angeordnet nach dem Brauch früherer Jahrhunderte,
ein Brauch, dessen Notwendigkeit mehrfach motivirt war und dessenungeachtet gegen Ende des XVI Jahr-
hunderts ganz verlassen wurde, um der närrischen Sucht ein Geniige zu leisten, Portiken nach Art der Antike
zu errichten, deren geringste Inconvenienz ist, dass sie nicht vor Wind und Wetter Schutz gewähren. In
dieser Beziehung waren denn doch die ersten Nachahmer des italienischen Renaissancestyls vernünftiger
als ihre späteren Nachfolger. Freilich begingen sie einen grossen Fehler, als sie auf eine vollständige und
prächtige Kunst die Ornamente einer anderen zu pfropfen suchten, die für diese gar nicht passten, aber
sie verloren doch wenigstens nicht den Hauptzweck jeder Architectur aus den Augen, welcher darin be-
steht, zweckmässige ihrer Bestimmung angemessene Gebäude zu errichten und das dabei zu befolgende
Constructionssystem der Natur des Baumaterials anzupassen. Als sie Kirchen in dem neuen Styl erbauten,
blieben sie doch noch immer bei dem constructiven Principe der alten; sie hüteten sich horizontale Decken
anzuwenden, die, sobald sie von Stein sein sollen, monolithe Balken zur Bedingung machen, sondern sie
blieben treu den Bogen und den gewölbten Decken mit vortretenden Rippen, die ihrem constructiven Prinzip
nach so weit jenen horizontalen Steindecken mit monolithen Balken überlegen sind. Sie construirten ferner
auch keine flachen Dächer, die Gegenden sehr angemessen sind, wo es keinen Schnee giebt und die Regen-
zeit kurz ist, sondern sie bauten wie zuvor steile Dächer, deren Decke dem auf sie wirkenden Regen besser
zu widerstehen und von denen der Schnee leichter abzugleiten vermag; sie bauten ferner auch keine Mauern
ohne vortretende Verstärkungen die Construction der antiken Tempel nachahmend, deren Wände nur hori-
zontalen Druck und keinen Seitenschub auszuhalten hatten, sondern sie fuhren fort den Umfangswänden
ihrer gewölbten Gebäude Strebepfeiler und Strebebögen zu geben, die dem Schübe der Gewölbgurte Wider-
stand leisten; sie dachten endlich auch nicht daran den Grundriss ihrer Kirchengebäude zu verändern, den
ein langer und heiliger Brauch sanctionirt hatte, sondern behielten ihn respectvoll bei, wenig besorgt ob
eine der Jungfrau Maria geweihte Kirche einem Tempel der Venus oder des Apoll ähnlich sah oder nicht.

Dies war im Gegentheil der Ehrgeiz derer
hervorgingen.

die nach ihnen kamen; man kennt die Resultate, die daraus

Nachschrift des deutschen Herausgebers.

Der französische Verfasser dieses Textes spielt hier ohne Zweifel auf die neu erbaute Kirche der St.
Madeleine in Paris an, die allerdings mehr einem griechischen Tempel denn einer christlichen Kirche ähn-
lich sieht. Seinen Ausfällen gegen diese Richtung der Baukunst stimmen wir mit der Erweiterung bei, dass
wir jede Repristination, sie sei nun die eines griechischen Tempels oder die einer mittelalterlichen Basilika
mit Entschiedenheit zurückweisen müssen. Wenn auch für eine Kirche des katholischen Ritus die Plan-
anordnung der mittelalterlichen Basilika beizubehalten sein dürfte, so ist doch die Construction ihrer Decke,
sobald letztere eine gewölbte ist, jetzt nicht mehr beizubehalten, jetzt wo wir mit Anwendung eiserner
Rippen und dazwischen gewölbter Kappen den Seitenschub der Gewölbe eliminiren und damit auch der
Strebepfeiler entbehren können, welcher letztere ein Hauptglied der Construction der geAvölbten Basilika ist.
Durch die Einführung eiserner Rippen in die gewölbte Decke hat letztere dem Constructionsprinzipe nach
den höchsten Grad ihrer möglichen Vollendung erreicht, indem dadurch jeder Seitenschub aufgehoben und
nur noch eine vertikale Lastung übrig bleibt, die Träger dieser Decke also im Querschnitt auf ein Minimum
zurückgeführt werden können, ein Minimum, das durch die rückwirkende Festigkeit des Baumaterials be-
dingt wird. — Die Kunstform, die einer solchen Decke zu gehen sein wird, wird freilich nach dem form-
bildenden Principe griechischer Kunst gestaltet werden müssen, welches letztere ein allgemein verständliches
und daher auch allgemein gültiges ist. — Auf einen Beweis dieser Behauptung können wir uns hier nicht
einlassen, der Raum dieser Blätter gestattet ihn nicht, und wir müssen uns begnügen, auch hier wieder
auf Böttichers Tektonik der Hellenen zu verweisen. L. L.

Literatur.

Wir kennen kein Werk, worin sich Nachrichten über die Kirche von Vetheuil fänden, die oben mitgetheilten verdanken wir
der Gefälligkeit des Pfarrers der Kirche, der sie zum Theil aus dem Kirchenarchiv extrahirte. Mit diesem Verdienst müssen
wir ihm eben so auch die Verantwortlichkeit für ihre Richtigkeit überlassen.


 
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