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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 4): Denkmäler der neueren Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3504#0132
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Die Kathedrale VOn EvreuX. (Hölzerne Schrankenwände.)

Die Geschichte der alten Kathedralen ist im Allgemeinen fruchtbar an Erzählungen von Zerstörungen
und Feuersbrünsten, aber keine hat vielleicht mehr von der Verwüstung durch Menschen zu erdulden gehabt,
als die Kathedrale von Evreux, die vom neunten bis vierzehnten Jahrhundert nicht weniger denn fünf Mal

Ihr Untergang war glücklicher Weise nicht vom

erhebt sie

und immer in Folge von Kriegen zerstört worden ist.

öfter sogar von denen, die sie zerstört hatten,

Schicksal bestimmt, denn immer wieder erbaut,

sich noch heut majestätischer als jemals auf derselben Stelle, von der sie fünf Mal verschwunden war.

Der Ursprung der Kathedrale von Evreux ist durchaus unbekannt; denn es ist nicht einmal eine Tra-
dition vorhanden, die davon erzählte. Das älteste historische Factum, das ihr Dasein kund thut, datirt aus
der Zeit des Einfalls der Normannen, durch die sie in Brand gesteckt wurde. Diesem Ereigniss, das gegen
das Ende des neunten Jahrhunderts statt fand, folgte bald ein Wiederaufbau der Kirche auf Befehl des
berühmten Rollo, dem bekanntlich Karl der Kahle Neustrien abgetreten hatte. Von Neuem zerstört wurde
die Kathedrale von Evreux gegen die Mitte des elften Jahrhunderts wieder erbaut, und ihre Einweihung er-
folgte 1072 auf Bitten des damaligen Bischofs Giselbert durch die Erzbischöfe von Cantorbury und von York.
Im Jahre 1119 wurde sie durch den König von England Heinrich I verbrannt, der sie im Jahre 1125 mit.
solchem Aufwand wieder erbauen Hess, dass diese neue Kirche als die schönste der Normandie angesehen
wurde. Ihre Schönheit und ihr Ruhm fanden nichts desto weniger Gnade vor dem Ehrgeiz Philipp-Augusts;
dieser Fürst liess sie am Pfingsttage des Jahres 1194 in Brand stecken. Bischof Robert de Price aber
erhob sie aus ihren Ruinen wieder.

Im Jahre 1351, zur Zeit Karls des Bösen, des Grafen von Evreux und Königs von Navarra, zerstörten
sie die Engländer noch ein Mal. Darauf begann man ihren Wiederaufbau. Aus dieser Zeit datiren der gegen-
wärtige Chor und seine Seitengänge so wie die Nebenschiffe und alle Kapellen, die die Kirche umgeben.
Diese Bauten wurden auf Kosten der Könige Johann des Guten und Karls V, der Bischöfe von Evreux, des
Domkapitels, der Grafen von Evreux und einiger anderer vornehmer Personen ausgeführt.

Die Laterne und der durchbrochen gearbeitete Glockenthurm auf ihr, der südliche Kreuzarm, die Capelle
der Jungfrau, die beiden Sacristeien, die Bibliothek und die Gewölbe der Seitenschiffe wurden unter Ludwig XI
von 1464 bis 1471 ausgeführt; der nördliche Kreuzarm und das Portal desselben wurden unter dem Episcopat
Ambroise's le Veneur von 1511 bis 1532 erbaut; das westliche Portal aber so wie der dicke nördliche Thurm
bis zu dem Stockwerk, wo die Glocken hängen, die Mauern und Fenster der Chorkapellen unter dem Bischof
Gabriel le Veneur. Diese Bauten waren im Jahre 1547 beendigt, man betrachtete die Kirche wie ein neues
Gebäude und weihte sie zum zweiten Male ein.

Der nördliche Thurm des Hauptportals wurde gegen Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts auf Kosten des
Domcapitels und der Kirchenbaukasse aufgeführt. Der dicke Thurm wurde erst gegen Ende des sechszehnten
Jahrhunderts vollendet; ein Capelan der Kathedrale, Namens M. Martin, gab dazu die Kosten her. Die
Hauptfagade der Kirche datirt im Allgemeinen ebenfalls aus dem fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert,
aber man kann an ihr ältere Theile unterscheiden. Die Strebebögen des Schiffs mit ihren monolithen Säulen
so wie die Widerlagspfeiler dieser selben Strebebögen rühren aus dem vierzehnten Jahrhundert her. Diese
Widerlagspfeiler erhielten später Spitzthürmchen zur Krönung. Es kommen sogar romanische oder Rund-
bogen-Arcaden im Schiffe vor; sie dienen zur Unterstützung der Orgelempore.

In so verschiedenen Zeiten entstanden bietet die Kathedrale von Evreux mannichfaltige Gegenstände
für das architektonische und archaeologische Studium dar; sie besitzt ferner prächtige en grisaille gemalte
Fenster, die sich leider grösstentheils in schlechtem Zustande befinden, einen prächtigen und berühmten
Reliquienkasten, ein Meisterstück der Goldschmiedekunst des dreizehnten Jahrhunderts, in dem die Gebeine
des h. Taurin aufbewahrt werden, endlich sehr zahlreiche Werke der Holzschnitzkunst aus der Zeit des
vierzehnten bis zum sechszehnten Jahrhundert, die kostbarsten derselben sind die Chorstühle, die aus dem
vierzehnten Jahrhundert herrühren und also einer Zeit angehören, aus der Werke der Holzschnitzkunst
selten sind.

Sei es nun, dass das Holz als ein sehr leicht zerstörbares Material nur von begränzter Dauer ist, oder
sei es vielmehr, dass die Holzschnitzkunst damals wenig cultivirt war, es existiren nur sehr wenige Werke
der letzteren aus romanischer Zeit, und diese haben sämmtlich mit wenigen Ausnahmen, wie z. B. die Thüren
der Marienkirche auf dem Capitol zu Köln, nur geringes Interesse, indem sie nur Bruchstücke sind, auf
denen sich fast gar keine Ornamente befinden. Gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts werden Holz-
arbeiten schon häufiger und obwohl was davon noch übrig auch sehr selten ist, so sind doch Reste in
hinreichender Zahl vorhanden, dass man den Anfang machen kann sich Rechenschaft von dem Zustande
der Holzschnitzkunst in dieser Epoche zu geben. Sie wird schon mit Geschick behandelt, scheint indess

Denkmäler der Baukunst. C. Lieferung.
 
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