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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 4): Denkmäler der neueren Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3504#0008
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Die Karthause bei Pavia.

Die Stiftung des Karthäuser-Ordens durch den heiligen Bruno gegen Ende des elften Jahrhunderts (1086)
gab einer Klasse von Gebäuden Entstehung, die man mit dem generischen Namen „Karthausen" bezeichnet,
deren Form und Anordnung sich aber wahrscheinlich wenig von denen unterschied, die bei grossen Kloster-
bauten des Mittelalters überhaupt gebräuchlich waren. Nach den Berichten der Geschichtsschreiber besassen
die Schüler des heiligen Bruno in Italien mehrere wichtige Gebäude dieser Art, unter denen wir nur das
von Ferrara, von Neapel, und vor allen das erwähnen, das in der Nähe der Stadt Pavia liegt. Um nach
dem zu urtheilen, was davon übrig ist, so muss diese letztere Karthause zur Zeit ihres Glanzes in der
That eine der berühmtesten und bedeutendsten Italiens') gewesen sein; aber die Wechsel der Zeiten
haben schon vor Alters auf sehr merkliche Art ihr ursprüngliches Aussehen verändert und Bauten aus
den verschiedensten Zeiten stören jetzt die Einheit und Harmonie, die der gebildete Reisende so gern
an ihr wahrnehmen möchte.

Die Gegend, in der das Kloster gebaut wurde, war ursprünglich ein grosser Wald oder Jagdpark, der
dem Vergnügen der Fürsten vorbehalten war; später wurde sie der Schauplatz der furchtbaren Schlacht
zwischen Karl V und Franz I, in der der ritterliche König, nachdem er die Elite des französischen Adels
verloren hatte, die mit Recht berühmten historischen Worte ausrief: „Alles ist verloren, nur die Ehre nicht!"

Wenn man einer von einigen Schriftstellern überlieferten Sage Glauben schenken kann, so war der
Bau dieser Karthause die Folge einer im Mittelalter allgemein verbreiteten Ansicht, der eine sehr grosse
Zahl von Baudenkmälern ihre Entstehung verdankt. Könige, Fürsten und vornehme Herren glaubten in
dieser Zeit ihre Sünden zu sühnen, wenn sie Kirchen und Klöster bauten. Sei nun diese Sage wahr oder
falsch, die übrigens etwas Wahres haben kann, so viel ist gewiss, dass die Karthause von Pavia dem
Herzog Johann Galeazzo Visconti ihre Gründung verdankt, dessen Leben bei Weitem nicht von jenen
Sünden frei war, die nach mittelalterlichem Begriffe wohl durch jene Bauunternehmungen hätten gesühnt
werden können. Andere Geschichtsschreiber hingegen behaupten, dass das Kloster seine Errichtung dem
Herzoge in Folge eines von seiner Gemahlin gethanen Gelübdes verdanke. — Genug, zehn Jahre
waren kaum verflossen von dem Tage, wo Johann Galeazzo den Bau des Mailänder Domes begonnen,
als er sicli zu dem dieser Karthause entschloss, und am 8. September 1396 legte er im Beisein mehrerer
Bischöfe und der Vornehmen des Landes mit grosser Feierlichkeit den ersten Stein zu diesem Gebäude.
Die Bauarbeiten wurden darauf mit solcher Thätigkeit betrieben, dass nach drei Jahren das Kloster zur
Aufnahme seiner frommen Bewohner bereit stand. Es konnte damals einen Prior und vier und zwanzig
Karthäuser aufnehmen, die ohne Aufenthalt ihre bodencultivirende Beschäftigung begannen. Sehr ansehnliche
Summen waren durch den Herzog diesen Mönchen überwiesen worden, aber in seiner Schenkungsacte
legte Galeazzo ihnen die Verpflichtung auf, alljährlich einen bestimmten Theil ihres Einkommens auf die
bauliche Vollendung und Ausstattung der verschiedenen Theile des Klosters zu verwenden, und eine gleiche
Summe an die Armen zu geben, sobald der ganze Bau fertig und vollendet sei. Der im Jahre 1402
erfolgende Tod des Herzogs unterbrach die begonnenen Bauten nicht, und die Karthäuser waren durch
die reichen Vermächtnisse des Gründers ihres Klosters, eben so durch viele andere Dodationen von Privat-
personen, zu denen noch die Erträgnisse ihrer Bodencultur kamen, in Stand gesetzt ohne Unterbrechung
die Ausführung der verschiedenen Bauarbeiten am Kloster und an der Kirche zu betreiben. Die Haupt-
fa^ade der letzteren wurde erst im Jahre 1473 errichtet, zu einer Zeit, wo die Karthause den höchsten
Punkt ihres Glanzes erreicht zu haben scheint. Dieses Factum wird übrigens von einem Zeitgenossen
bezeugt, und der Florentiner Guicciardini bezeichnet im vierzehnten Buche seiner italienischen Geschichte

iöi,

das Kloster als das schönste unter allen, die es damals auf der Halbinsel gab. Sämmtliche Bauarbeiten
waren im Jahre 1542 beendigt und von dieser Zeit an vertheilten die Mönche getreulich die von dem
Herzoge angeordneten Unterstützungen an die Armen. Bis zu dieser Zeit war der von Galeazzo bestimmte
Theil des Klostereinkommens rein für den Bau und die Verschönerung der verschiedenen Theile des
Klosters und der Kirche verwendet worden; so wurden denn während dieses langen Zeitraums alle Kunst-
werke ausgeführt, diese Sculpturen, diese Arbeiten in Gold, Bronze, Elfenbein und Ebenholz, diese Mosaiken
und Gemälde, kurz der ganze decorative Reichthum, der besonders diese Klosterkirche so berühmt macht,
hergestellt. Das siebenzehnte Jahrhundert hat noch einige Anbauten dem Karthäuserkloster gebracht, aber
dieses waren die letzten. So waren von dem Ende des XIV Jahrhunderts bis zu dieser Zeit die Baukunst,
Sculptur und Malerei, kurz alle plastischen Künste mit der Erschaffung eines der merkwürdigsten Klöster

') Dieses Kloster hat aber bei Weitem nicht den Umfang, den die grosse französische Karthanse in der Daaphfne hat, die
unter den Klöstern von der Regel des heiligen Bruno eines der wichtigsten ist.

Denkmäler der Baukunst. XIIT. Lieferung.
 
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